In Merkels sicheren Händen
16. Juni 2013Salomon Reyes, der Wahlkampfstratege der Piraten, ist von erfrischender Offenheit. "2009 haben wir 800.000 Stimmen gekriegt, nur durch Zensursula. Wir werden uns diesmal wieder eine Person raussuchen und voll draufhauen." Bei der vorigen Bundestagswahl stellten die Piraten die CDU-Ministerin Ursula von der Leyen als Zensorin mit einem Wortspiel ("Zensursula") an den Pranger, weil diese im Kampf gegen Kinderpornographie im Internet Zugangssperren ausweiten wollte. Eine Kampagne, die die Piraten deutschlandweit bekannt machte.
Amüsiertes Lachen der versammelten Politprofis verrät, sie glauben nicht mehr an die Zukunft der Piraten, die nach kurzem Höhenflug bei maximal drei Prozent in den Umfragen gelandet sind. Natürlich, so fügt Reyes schnell hinzu, werde man diesmal auch einen thematischen Wahlkampf führen: Bürger und Grundrechte, digitale Demokratie, Offenheit und Integrität von Politik. Doch Politikprofessor Werner Weidenfeld hält die Piraten für ein zeitweiliges "Phänomen", für das Produkt von "Kommunikationswolken, die über unser Land ziehen und dann weiterziehen". Gerade einmal 400.000 Euro haben die Piraten für ihren Wahlkampf. Bei der SPD - die Partei mit dem größten Etat - sind es 23 Millionen.
Reichlich drei Monate vor der Bundestagswahl diskutierten in der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin Vertreter von Parteien, Politik- und Medienwissenschaftler über Wahlkampfstrategien 2013. "Kommt Merkel erneut mit ihrer Strategie der Demobilisierung durch?", war eine zentrale Frage. Oder noch provokanter: "Wie viele potentielle Wähler der Gegenseite kann die Kanzlerin mit ihrem Themenklau bei Grünen und Sozialdemokraten einlullen?"
"Wie im Kühlhaus"
Politikberater Werner Weidenfeld hat kürzlich mehrere Monate heißen Wahlkampf in Israel erlebt. Er fühlt sich in der deutschen Innenpolitik derzeit "wie im Kühlhaus". Dass ein möglichst langweiliger, konfliktarmer Wahlkampf der populären Kanzlerin hilft, wissen die Wahlforscher ziemlich sicher. Je weniger Bürger sich herausgefordert fühlen, zur Urne zu gehen, umso mehr profitiert das "bürgerliche Lager" von CDU, CSU und FDP. Das Kalkül der Kanzlerin deshalb: keine Angriffsfläche bieten, populäre gegnerische Forderungen übernehmen, den SPD-Kanzlerkandidaten weitgehend ignorieren und seine rhetorischen Fehltritte genießen.
In der Debatte fällt das Wort vom "Ozean der Beliebigkeit", in dem die Parteien rudern. Erinnert wird an eine berühmte Interview-Äußerung der Kanzlerin aus dem Jahr 2010: "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial. Und das macht die CDU aus."
Leider hat die CDU keinen Vertreter aus ihrer Wahlkampfzentrale in die Konferenz entsandt, um dieses Bild zurecht zu rücken. Nur Peter Radunski ist im Saal, der bis 1990 einige Bundestagswahlkämpfe der CDU unter Helmut Kohl managte. Er kann sich an keinen Kanzlerkandidaten vor Angela Merkel erinnern, "der so außerhalb jeder Konkurrenz lief".
Wie mobilisiert man die Wähler gegen eine übermächtig scheinende Kanzlerin, die gerade im Hochwasser-Einsatz weitere Sympathie bei den Bürgern einheimst?
"Nah bei den Menschen sein", meint Hans-Roland Fässler aus der Wahlkampfleitung der SPD, die in ihrer Kampagne immerhin vier Millionen Hausbesuche eingeplant hat. Unbeirrt werde man mit Spitzenkandidat Peer Steinbrück und der Kernbotschaft einer solidarischen Gesellschaft werben, auch wenn seine Partei in den Umfragen seit längerem deutlich unter 30 Prozent liegt und selbst zusammen mit den Grünen keine Mehrheit erreicht. Kommunikations-Pannen des Kanzlerkandidaten würden sich nicht wiederholen, macht sich der SPD-Mann Mut. Gerade hat Kanzlerkandidat Steinbrück den eigenen Pressesprecher gefeuert.
Riskante grüne Ehrlichkeit
Die Grünen setzen auf Glaubwürdigkeit. Sie werden laut Umfragen als ehrlichste Partei vom Bürger geschätzt. Robert Heinrich aus der Wahlkampfzentrale der Öko-Partei bekräftigt, man werde den Wählern reinen Wein einschenken, auch über beabsichtigte Steuererhöhungen. Da werde es kein Zurückweichen geben. Riskant sei das, gibt Politikwissenschaftler Ralf Tils von der Agentur für Politische Strategie (APOS) zu bedenken. Denn die Steuererhöhungen für Gutverdiener träfen auch die Stammwähler der Grünen. Ob sie mit den Steuersenkungen für ärmere Schichten neue Wähler mobilisierten, sei dagegen ungewiss. Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sagt, seine Partei wolle jenes Drittel der Bevölkerung erreichen, das von Wahlen nichts mehr erwarte: "In manchen ostdeutschen Stadtteilen sind Politiker gar nicht mehr gelitten", berichtet Höhn. FDP-Mann Dennis Schmidt-Bordemann sieht beim wichtigen Thema Euro-Stabilität Kompetenzvorteile für seine Freidemokraten.
Einig ist man sich, dass die Zahl der Stammwähler schrumpft. Immer mehr Deutsche entscheiden sogar erst auf dem Weg zum Wahllokal, wo sie ihr Kreuzchen machen. Das Internet spielt für alle Parteien eine größere Rolle, im Unterschied zu den USA allerdings weniger für die direkte Ansprache der Wähler als für die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Ex-CDU-Wahlkampfmanager Peter Radunski wendet ein: "Sie können heute mit 17 bis 18 Prozent der Wähler einen Wahlkreis direkt gewinnen, da kann die Mobilisierung von Unterstützern durch Social Media eine große Rolle spielen."
Merkels Trumpf: Euro-Egoismus
Man müsse die Wahl von Angela Merkel aus denken, sie sei "die zentrale Spielerin", betont Politikwissenschaftler Ralf Tils. Bei Merkel fühlten sich die Deutschen in der Eurokrise in sicheren Händen ("Sie hält unser Geld zusammen"). Gegen diesen "Euro-Egoismus" sei schwer anzukommen. Dahinter verblassten auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kanzlerin in anderen Dingen, wie beispielsweise bei ihrem jüngsten Schwenk zugunsten einer Mietpreisbremse, die ursprünglich eine Idee von Sozialdemokraten war. "Die Deutschen mögen Merkel, weil sie so ist, wie sie selbst sind", sagt Tils. Dagegen befürchten sie bei den Sozialdemokraten, die könnten zu leichtfertig mit dem Geld umgehen. Merkel, so meint Tils, werde wohl - in welcher Konstellation auch immer - Kanzlerin bleiben. Dabei sei ihr die Große Koalition mit der SPD womöglich die liebste Variante, denn damit habe sie von 2005 bis 2009 gute Erfahrungen gemacht. Selbst FDP-Vertreter Schmidt-Bordemann glaubt: "Frau Merkel hat eine Neigung zur großen Koalition."
Wo sind die Schwachpunkte der Kanzlerin? Politikberater Weidenfeld sieht auch in Merkels langer Verweildauer im Amt ein "Negativum", vor allem weil die Nachfolge völlig offen sei. Und Merkels "Sozialdemokratisierung" fördere Konkurrenz von Rechts, wie sie jüngst mit der Alternative für Deutschland (AfD) entstanden sei. Die konservative Partei ist ein Sammelbecken für Kritiker der Euro-Rettung.