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"In Moskau wird ernst die Möglichkeit analysiert, Südossetien in den Bestand Russlands aufzunehmen"

17. Juni 2004

– Eine neue Wende in den Beziehungen zwischen Moskau und Tbilissi

Moskau, 16.6.2004, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Jelena Bajkowa, Anatolij Gordijenko

Moskau und Tbilissi sind in diesen Tagen mit einer Schlüsselfrage beschäftigt: Ist Russland berechtigt, Südossetien zu annektieren? Diese nicht anerkannte Republik, die de jure ein Teil Georgiens ist, hat in der ganzen letzten Woche alles mögliche unternommen, damit Moskau ihr das Recht einräumt, in den Bestand der Russischen Föderation aufgenommen zu werden. Noch kürzlich sah eine solche Wende in den Beziehungen zwischen Tbilissi und Moskau völlig unwahrscheinlich aus. Davon, dass sich in den georgisch-russischen Beziehungen in den letzten Tagen etwas verändert hat, zeugen indirekt die äußerst harten Äußerungen des Botschafters Georgiens in der Russischen Föderation, Konstantin Kemularija. Er hat sich in den russischen Medien aktiv dagegen ausgesprochen, dass die Staatsduma überhaupt die Frage über den möglichen Anschluss Südossetiens an Russland erörtert. Der Berufsjurist Kemularija ist der Ansicht, dass die entstandene Kollision lediglich durch eines erklärt werden kann – den Mangel an juristischem Wissen. "Verbietet doch sogar das russische Gesetz, Territorien anderer souveräner Staaten dem Land anzuschließen", sagte der georgische Botschafter in einem Interview für Radio "Echo Moskwy".

Die Situation wurde in der letzten Woche von der südossetischen Seite gesprengt, die an Moskau die offizielle Bitte richtete, die dort lebenden russischen Bürger vor einer georgischen Aggression zu schützen". Der Präsident Südossetiens, Eduard Kokojty, bat die russische Führung ferner, die Unabhängigkeit dieser ehemaligen georgischen Autonomie anzuerkennen und sie in den Bestand der Russischen Föderation aufzunehmen. Dieses Dokument wurde bei einer gemeinsamen Sitzung von drei Duma-Ausschüssen – für GUS-Angelegenheiten, für internationale Angelegenheiten und für Sicherheit – erörtert. Wie der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten und Beziehungen zu den Landsleuten, Andrej Kokoschin, vor Journalisten sagte, "hat sich die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten dafür ausgesprochen, die entschlossensten Maßnahmen des Präsidenten Russlands zum Schutz der strategischen, lebenswichtigen russischen Interessen in dieser Region, zum Schutz des Lebens, der Gesundheit, der Ehre und Würde, des Eigentums der russischen Bürger, die auf diesem Territorium leben, zu unterstützen, sowie dafür, ihnen humanitäre und andere Hilfe, je nach den Umständen, zu leisten.

Mit anderen Worten wird in Moskau die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, sich "entschieden" in die Beilegung des georgisch-ossetischen Konfliktes "einzumischen". Der Vizepräsident der Akademie für geopolitische Probleme Leonid Iwaschow sagte einem Korrespondenten der "Nesawissimaja gaseta", dass Südossetien im Endeffekt ein Teil Russlands werden könnte. "Die Ereignisse könnten sich in diese Richtung entwickeln. In den nationalen Beziehungen, in den Beziehungen zwischen den Staaten sind zwei Prinzipien wichtig – das Recht der Nation auf Selbstbestimmung und die Unantastbarkeit der Grenzen. Gleichzeitig haben wir heute viele Beispiele, wo große Staaten, z. B. Jugoslawien, in kleine zerfallen", sagte er. Leonid Iwaschow präzisierte jedoch sofort: "Das muss ein allmählicher Prozess sein, mit Beteiligung von Tbilissi. Die Lage, in der sich Abchasien und Südossetien heute befinden, muss als vorübergehend verankert werden. Danach muss beschlossen werden, in welche Richtung man sich bewegt." "Das Wichtigste ist der Wille der Völker der nicht anerkannten Republiken [Abchasien und Südossetien], der bei einem Referendum geäußert wird", so der russische Experte. Zur Erinnerung: Beim Referendum im Jahr 1992 sprach sich die überwiegende Mehrheit der Einwohner Südossetiens für den Anschluss ihrer Republik an Russland aus. (...) (lr)