Kein Frieden in Myanmar
15. März 2017Das politische Programm der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) lässt keinen Zweifel: Als wichtigstes Ziel nennt es die Lösung der ethnischen Konflikte und das Streben nach Frieden. Doch ein Jahr nach Amtsantritt der Regierung von Aung San Suu Kyi schweigen die Waffen nicht. Aus dem Shan-Staat an der Grenze zu China werden seit Anfang März heftige Kämpfe vermeldet. Mindestens 20.000 Menschen sollen nach chinesischen Angaben über die Grenze nach Südchina geflohen sein. Die Zahl der Toten ist unklar. Die sogenannte Nord-Allianz, in der sich vier Unabhängigkeitsarmeen zusammengeschlossen haben, kollidiert in Nord-Myanmar seit Monaten immer wieder mit der Armee. Daneben kam es im Südosten des Landes zu Kämpfen. Tausende sind dort auf der Flucht. Insgesamt hat sich die Lage seit Amtsantritt der neuen Regierung zugespitzt.
Andauernder Bürgerkrieg
Die Beurteilung der Regierung in Hinblick auf den Frieden fällt unter Beobachtern entsprechend schlecht aus. Der Politologe Robert Taylor sagt im Interview mit der Deutschen Welle: "Obwohl die NLD Frieden und Versöhnung zur obersten Priorität erklärte, hat sie mit Ausnahme einer Reihe von Konferenzen nicht viel erreicht."
Die jetzige Regierung von Aung San Suu Kyi hat allerdings auch wenig Spielraum. Sie bewegt sich in den vom Militär vorgegebenen Bahnen, wie Tim Schröder betont, der als Berater im Friedensprozess für die lokale Beratungsfirma Covenant Consult in Myanmar tätig ist. "Die NLD hat den Friedensprozess von der Vorgängerregierung geerbt und bis heute kein Mittel gefunden, die Kämpfe zu unterbinden oder Einfluss auf die Armee zu nehmen." Die Armee ist unter der aktuellen Verfassung des Landes keiner zivilen Kontrolle unterworfen.
Unvollständiger Waffenstillstand
Wie verfahren die Situation ist, zeigt sich am Grundwiderspruch des Konflikts. Einige ethnische Gruppen fordern die Einstellung aller Kämpfe und die Anerkennung aller bewaffneten Gruppen. Und zwar ohne dass sie ihre Waffen abgeben müssen, bevor sie das von der Vorgängerregierung unter Präsident Thein Sein noch auf den Weg gebrachte landesweite Waffenstillstandsabkommen (NCA) unterzeichnen. Dazu wiederum ist die Armee nicht bereit. Sie fordert die Entwaffnung der ethnischen Gruppen und beharrt auf dem Grundsatz, dass es in einem Staat nur eine Armee geben kann. Ohne NCA aber kann der politische Dialog über den eigentlichen Friedensprozess nicht beginnen.
Es gibt keinerlei Anzeichen, dass die bewaffneten Gruppen oder das Militär von ihren unvereinbaren Positionen abweichen, die sich im Übrigen mit Amtsantritt der neuen Regierung nicht geändert haben. Solange das der Fall ist, kann die NLD kaum etwas bewirken, deren Einfluss sowohl auf das Militär als auch die Rebellenarmeen sehr beschränkt ist.
Wer die größere Verantwortung für das Patt trägt, ist umstritten. Schröder sieht das Militär tendenziell als Blockierer des Friedensprozesses, da es auf der Entwaffnung der Rebellenarmeen besteht. Taylor demgegenüber hält das Militär insgesamt für flexibler, da es nur bezüglich der Fragen der Entwaffnung unnachgiebig ist.
Vertiefung des Misstrauens
Einige ethnische Minderheiten sehen die Rolle der NLD mit Blick auf den Friedensprozess vor diesem Hintergrund kritisch, wie Taylor sagt: Sie sähen die Verhandlungspartner von der NLD als wenig konstruktiv im Vergleich zu den Leuten der früheren Regierung. "Die neue Regierung ist weniger flexibel, wenn es darum geht, Treffen zu vereinbaren, bei denen für beide Seiten etwas herauskommen soll."
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Marco Bünte von der Monash-Universität in Kuala Lumpur: "Von Seiten der ethnischen Gruppen hört man, dass die nationale Aussöhnung eigentlich nur auf burmesischer Seite stattfindet. So zumindest die Wahrnehmung der Minderheiten." Die ehemaligen Kontrahenten, das Militär auf der einen Seite und die Demokratiebewegung auf der anderen Seite, hätten einen Kompromiss geschlossen, die Minderheiten blieben weitgehend außen vor. Das könne die Gräben zwischen der Mehrheitsbevölkerung der Bamar, zu der nicht nur Aung San Suu Kyi sondern auch die meisten Armeeangehörigen zählen, und den Minderheiten vielleicht sogar vertiefen. Schröder bestätigt das wachsende Misstrauen in einem anderen Zusammenhang: "Aung San Suu Kyis Stillschweigen während der Offensiven des Militärs im Norden von Myanmar hat zu einem Vertrauensverlust geführt."
Fehlstart und Überforderung
Für die Vertrauensbildung ist wenig hilfreich, dass die NLD, als sie im März 2016 die Regierungsgeschäfte übernahm, als erstes das Myanmar-Friedenszentrum der Vorgängerregierung in Yangon auflöste, einen Großteil der Mitarbeiter entließ und ein neues Friedens- und Versöhnungszentrum in der Hauptstadt Naypyitaw eröffnete. "Die neuen Mitarbeiter hatten aber nur wenig oder kaum Erfahrungen", sagt Taylor und Schröder fügt hinzu: "Der NLD-Regierung fehlt es insgesamt an Kapazitäten und einer Strategie, um einen erfolgreichen Dialog mit den bewaffneten ethnischen Gruppen zu führen."
So erklärt sich auch, warum die erste Friedenskonferenz unter Regie der NLD im September 2016 kein Erfolg war. Sie scheiterte schon an protokollarischen Bagatellen. So verließ die United Wa State Army, die immerhin über die größte, bis zu 30.000 Soldaten umfassende Rebellen-Armee verfügt, am zweiten Tag die Konferenz. Sie fühlten sich nicht ernst genommen, da die Organisatoren sie nur als "Beobachter" und nicht als "Sprecher" bezeichnet hatten.
Die neue Regierung ist, so der Tenor der Gesprächspartner der DW, überfordert. Die NLD hat sehr viele Probleme, mit denen sie sich gleichzeitig auseinandersetzen muss, und Aung San Suu Kyi hat innerhalb der Regierung eine zu dominante Position. Bei ihr laufen letztlich alle Fäden zusammen. Sie legt die Grundlinien der Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik fest. Sie ist auch tonangebend beim Friedensprozess. Die Folge: "Sie hat nur wenig Zeit, um sich dem Friedensprozess zu widmen", sagt Taylor und fügt kritisch hinzu: "Es gibt keinerlei neue Ideen oder Ansätze und bisher hat Aung San Suu Kyi nur Sonntagsreden über die Einheit des Landes gehalten."
Trotz aller Schwierigkeiten bestehen die NLD, die Armee und die vorherige Regierung auf einer hausgemachten Lösung, wie Taylor sagt. Externe Akteure wie etwa die Europäische Union hätten kaum Einfluss und könnten den Prozess nur sehr eingeschränkt unterstützen. Trotz der beschränkten Einflussmöglichkeiten werde sich die EU weiterhin engagieren, ist Bünte überzeugt. Die europäische Union will Myanmar bis 2020 mit 90 Millionen Euro jährlich unterstützen. Die Friedensarbeit ist ein Schwerpunkt.