Serbien: Akzeptanz für Gewalt blockiert Fortschritt
26. November 2025
Gewalt ist ein Phänomen, dass in vielen Staaten weltweit auftritt. Doch in Serbien wird sie von der Spitze des Staates toleriert und gefördert. Mehr noch: Gewalt wird von der politischen Klasse als Mittel zur Machterhaltung eingesetzt.
In Serbien und anderen Staaten Südosteuropas wird die Ausbildung demokratischer Herrschaftsformen - Parlamentarismus, Gewaltenteilung, Meinungs- und Medienfreiheit oder Demonstrationsrecht - von Anfang an durch Gewalt als akzeptiertes Mittel für Konfliktlösungen verhindert.
Auffällig sind in Serbien und anderen Ländern auf dem Westbalkan die wiederholten Amokläufe - wie etwa im Mai 2023 an der Ribnikar-Grundschule in Belgrad. Ein 13-jähriger Schüler erschoss dabei neun Kinder und einen Sicherheitsmann mit zwei Pistolen, die seinem Vater gehörten.
Einen Tag später erschoss ein 21-Jähriger in der Nähe des serbischen Mladenovac neun Kinder und verletzte 13 weitere. Zwölf Menschen erschoss ein 41 Jahre alter Mann Anfang Januar 2025 in der montenegrinischen Stadt Cetinje.
Gewalt im privaten Raum
In den Familien kommt es häufig zu physischen Angriffe von Männern gegen ihre Frauen oder Partnerinnen. In Serbien wurden nach Darstellung der Gleichstellungsbeauftragten Brankica Jankovic in den letzten 14 Jahren 430 Frauen ermordet. Die Meinung, Frauen seien Eigentum der Männer, sei immer noch weit verbreitet. Und die Lage in den Nachbarländern nicht viel besser.
Ende 2023 veröffentlichte das serbische Kultusministerium eine Umfrage, nach der 85 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Gewalt gegen Frauen für ein privates Problem halten, in das man sich nicht einmischen sollte.
Vor diesem Hintergrund wird im benachbarten Bosnien und Herzegowina zurzeit heftig diskutiert, warum niemand einen Femizid mitten in der Stadt Mostar zur Kenntnis genommen hatte - obwohl das Opfer vor der Tat schreiend durch die Straßen der Stadt gelaufen war, um ihrem Ex-Partner zu entkommen.
Solche Gewaltausbrüche wären nicht möglich, wenn in der Westbalkan-Region weniger Waffen im Umlauf wären, die noch aus den Kriegen bei der Auflösung Jugoslawiens (1991-1999) stammen. 770.000 registrierte Waffen sind es offiziell, Schätzungen sprechen sogar von zwei Millionen.
Gewalt in der Öffentlichkeit
In den Parlamenten Serbiens, Montenegros und Kosovos sind Schlägereien keine Seltenheit. Auch in den Gemeinderäten von Ortschaften wie in Sjenica, Kraljevo, Cacak und Kula in Serbien oder in Stadtparlamenten von Bileca und Pljevlja in Montenegro sowie in den Vertretungen von Prnjavor, Foca sowie Sarajevo in Bosnien sind physische Attacken von Abgeordneten gegen Oppositionsvertreter an der Tagesordnung.
Ein weiteres dunkles Kapitel im öffentlichen Raum ist die Gewalt gegen die Justiz. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic stellt regelmäßig Richter und Staatsanwälte öffentlich an den Pranger, weil sie Klageschriften und Urteile nicht in seinem Sinne verfasst hätten.
Über 600 Richter und Staatsanwälte beschwerten sich im März 2025 in einem offenen Brief bitter über den Staatspräsidenten. Er habe die Justiz "versklavt" und "gedemütigt". Alles laufe auf ihre Gleichschaltung hinaus, wodurch demokratische Grundsätze des Staatsaufbaus in Serbien mit Füßen getreten würden.
Medien als Megafone der Herrschenden
Die Medien in Serbien sind eine der wichtigsten Quellen von Hass, Diskriminierung und Verleumdung. Ihre Zensur und Zentralisierung machen sie zum Propaganda- und Sprachrohr von Vucic. Der Staatschef besitzt ein direktes Durchgriffsrecht auf praktisch alle Medien - ob im Print-, TV- oder digitalen Bereich.
Die kontrollierten Medien haben mit ihren Desinformationen für die Bürger eine virtuelle Welt geschaffen, die nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Aggressivität, Hassrede und Sensationalismus sowie Lügengeschichten sind tagtäglich zu finden. Alles ist dem Ziel untergeordnet, die herrschende Elite an der Macht zu halten und ihre Gegner zu diskreditieren.
Vucic als Generator und Profiteur von Gewalt
Hauptgenerator und Profiteur von Gewalt in Serbien ist der Staatschef. Der trat, ähnlich wie in den Jahren zuvor, bis Mitte November 2025 knapp 350 mal im Fernsehen auf - wahrscheinlich Weltrekord. Weltweit einzigartig dürfte auch sein, dass Vucic nie Diskussionspartner erlaubt: Er stellt selbst die Fragen, um sie auch zu beantworten. Kernaussagen sind Warnungen vor angeblichen Feinden: Kroaten, Bosnier, Albaner, die EU, die USA, der Europarat, die UN oder Einzelne wie George Soros oder die Familie Rockefeller, gegen die Vucic die Bürger Serbiens verteidigt.
Zahlreiche serbische Experten wie die Psychologen Zarko Trebjesanin und Mila Jovanovic kritisieren Vucics Sprache als "Gassenjargon". Er etikettiere seine Gegner als Monster, Geier, Hyänen oder Verräter. Anwälte sind für ihn Abschaum, Professoren faul, Oppositionelle Verbrecher, Faschisten oder ausländische Söldner. Dieser konfrontative und vulgäre Wortschatz wirke inzwischen auch toxisch auf die Jugend des Landes. Vucics übersteigerte Präsenz in Print- und Digitalmedien dient der Angstmache. Seine Drohungen sind Teil seiner Herrschaftstechnik.
Propagierung von Gewalt führt zu deren Akzeptanz
Und damit schließt sich der Kreis: Die Propagierung von Gewalt durch die Spitzenpolitik im öffentlichen Raum bewirkt die Akzeptanz von Gewalt auch im Privaten. Über körperliche Angriffe, offene Morddrohungen und die Unterstützung von Lynchjustiz regt sich im privaten wie öffentlichen Bereich kaum jemand mehr auf.
Wie in einem Brennglas zeigt sich diese Wechselwirkung in den Dauerprotesten gegen das herrschende Regierungssystem unter alleiniger Führung von Vucic. Unzählige Male sind exzessive Gewaltausbrüche von Polizei, Fußball-Hooligans oder vom Staatschef dirigierten Schlägertrupps dokumentiert.
Auf der anderen Seite weist Vucic die Justiz an, Kritiker und Demonstranten unter fadenscheinigen Argumenten zu verhaften und zu bestrafen. Er selbst begnadigt dagegen Gewalttäter, die in seinem Sinne agiert hatten und von dem einen oder anderen "unbotmäßigen" Richter doch verurteilt wurden.