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PolitikAsien

Indien: Armutsdebatte mit umstrittenen Indizes

Murali Krishnan
29. Januar 2024

Indien will fast 250 Millionen Menschen von der Armut befreit haben. Experten zweifeln die Zahl an und beschweren sich über fehlenden Zugang zu relevanten Daten.

Indien - Armut und Unterernährung
Viele Kinder in Indien haben nicht genug zu essen und leiden unter ArmutBild: Noah Seelam/AFP/Getty Images

Auf dem Papier hat Indien viel zu feiern. Laut einem Bericht von NITI Aayog, einer Denkfabrik der Regierung, wurden in den letzten neun Jahren rund 248 Millionen Menschen im Land aus der multidimensionalen Armut befreit. 

Der Bericht geht davon aus, dass die multidimensionale Armut in den letzten neun Jahren um 18 Prozent zurückgegangen sei. Der Armutsanteil in der Bevölkerung sei demnach von 29 auf 11 Prozent zurückgegangen.

Die Zahlen scheinen Beweise für große Fortschritte der nationalistischen Regierungsarbeit geliefert zu haben, die multidimensionale Armut auf unter ein Prozent zu senken. Doch einige Ökonomen haben ernsthafte Zweifel an der Verwendung des Multidimensional Poverty Index (MPI). Ihrer Meinung nach gibt der Bericht kein vollständiges Bild wider. "Die Methodik ist fragwürdig", kritisiert Santosh Mehrotra, Gastprofessor für Entwicklungsökonomie am Centre for Development Studies der University of Bath in England. 

Wie wird multidimensionale Armut gemessen?  

Der Begriff der multidimensionalen Armut schaut in jedem Haushalt auf die Bereiche Gesundheit, Bildung und Lebensstandard. Dabei wird diesen Kategorien jeweils das gleiche Gewicht beigemessen. Die drei Kategorien werden anhand von 12 Indikatoren bewertet. Basierend auf diesen Indikatoren wird in jedem Haushalt in Indien ein Wert ermittelt.  

Der MPI, auch Alkire-Foster-Methode genannt, wurde von der Oxford Poverty and Human Development Initiative entwickelt, um das Ausmaß und die Intensität der Armut zu messen. Indien hat seinem nationalen MPI zwei weitere Parameter hinzugefügt – Muttergesundheit und Bankkonten. 

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Einige Ökonomen haben argumentiert, dass die verheerenden Auswirkungen der COVID-Pandemie auf die Armut in den Ergebnissen des Berichts gefehlt hätten. Andere weisen darauf hin, dass der Anteil der Bevölkerung unterhalb der Konsumarmutsgrenze mit der traditionellen Methode zur Schätzung der Armut weltweit statistisch nicht erfasst werden könne. 

"Mangel an relevanten Daten" 

Entwicklungsökonom Santosh Mehrotra vermutet, dass die Verwendung von MPI als Armutsindikator für Indien, obwohl zwischen 2014 und 2022 keine Umfragen zu Konsumausgaben durchgeführt worden waren, Teil einer politischen Strategie sei. "Die Reallöhne stagnierten sechs Jahre lang. Das hatte schwerwiegende Auswirkungen auf die Konsumnachfrage. Und das kann nicht mit einem Rückgang der Armutsraten vereinbar sein", sagt Mehrotra und fragt weiter: "Hält die Methodik und ihre Ergebnisse einer genaueren Betrachtung stand? Konnte der MPI das Gesamtbild erfassen?" 

Lekha Chakraborty, Professorin und Vorsitzende am National Institute of Public Finance and Policy, sagt, dass jeder zusammengesetzte Index Einschränkungen unterliege. Die spezifische Auswahl der Variablen sowie die verwendete Methodik beeinflussten das Ergebnis. "Selbst der von den Vereinten Nationen jedes Jahr erstellte Human Development Index (HDI) ist nicht frei von konzeptioneller und methodischer Kritik, da er nur auf drei ausgewählten Indikatoren basiert und die Gewichtung dieser Variablen Einfluss auf die Ergebnisse hat", sagte Chakraborty der DW.

Ihrer Einschätzung nach vereiteln Datenbeschränkungen die sinnvolle Konstruktion solcher zusammengesetzten Indikatoren; Ökonomen verwendeten immer "Proxyvariablen" oder "extrapolierten" Daten. "Armut ist dynamisch wie die Verfolgung eines sich bewegenden Ziels. Die Verwendung von MPI für politische Entscheidungen wird höchst umstritten sein", fügte sie hinzu. 

Kontroverse um Armutsschätzungen 

Im NITI-Aayog-Bericht wird außerdem behauptet, dass verschiedene Regierungsinitiativen und Wohlfahrtsprogramme eine wichtige Rolle bei der Linderung verschiedener Formen der Benachteiligung gespielt hätten. 

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Arun Kumar, ein pensionierter Wirtschaftsprofessor an der Jawaharlal Nehru University in Delhi, sagte der DW, dass der Bericht der Regierung neu interpretiert werden müsse. "Es gibt Lücken. Die Gesundheits- und Bildungsindikatoren, die den höchsten Beitrag zum MPI leisten, wurden in den Pandemiejahren 2020 und 2021 am stärksten beeinträchtigt", sagte Kumar der DW. 

Er betonte weiter: "Die Verwendung von Daten aus der fünften Nationalen Familiengesundheitsumfrage von 2019 bis 2021 muss zu erheblichen Fehlern auf der Umfrage basierenden Deprivationsindex geführt haben. Das lässt Zweifel an den Schlussfolgerungen des NITI-Aayog-Berichts zu". Kumar bezog sich dabei auf eine umfangreiche, mehrstufige Umfrage, die in einer repräsentativen Umfrage von Haushalten in ganz Indien durchgeführt wurde. 

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Kontroversen über Armutsschätzungen in Indien sind nicht neu. Schon in der Vergangenheit waren sie Gegenstand von Debatten sowohl über die Ergebnisse als auch über die verwendeten Methoden. 

Genaue Zahlen zur Armut sind wichtig für die Beurteilung des wirtschaftlichen Fortschritts eines Landes. Die Regierung benötigt diese Zahlen auch, um den Umfang von Hilfsprogrammen zu schätzen wie etwa der Verteilung von Lebensmitteln. 

Die Weltbank definiert die internationale Armutsgrenze bei 1,97 Euro pro Tag in der Kaufkraftparität (KKP) von 2017. KKP ist ein Maß für den Preis bestimmter Güter in verschiedenen Ländern und wird verwendet, um die absolute Kaufkraft der Währungen der Länder zu vergleichen. 

Im Oktober letzten Jahres belegte Indien im Welthungerindex (WHI) Platz 111 von insgesamt 125 Ländern. Dabei sind Indiens Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers seit 2015 nahezu zum Stillstand gekommen, was einen globalen Trend widerspiegelt.  

Der WHI verwendet vier Indikatoren für seine Bewertung: Unterernährung, Wachstumsverzögerung bei Kindern und Kindersterblichkeit. Die indische Regierung zweifelte das schlechte Ergebnis an und verwies auf angeblich fehlerhafte Methoden. Im veröffentlichten Index kam Indien auf einen Wert von 28,7, der deutet auf ein ernstes Hungerproblem hin. 

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein

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