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Bauernproteste in Indien mit Spätwirkung?

Murali Krishnan
1. März 2024

Im April stehen die Parlamentswahlen in Indien an. Ausgerechnet jetzt protestieren die Bauern flächendeckend gegen die Agrarpolitik vom Premier Modi. Jeder zweite Erwerbstätige in Indien arbeitet in der Landwirtschaft.

Indien Bauernproteste
Bauernproteste in Indien - hier an der Grenze zwischen den beiden Bundesstaaten Punjab und Haryana, 20. Februar 2024Bild: ANUSHREE FADNAVIS/REUTERS

Tausende von Traktoren blockieren die Straßen: Bauern aus dem nordindischen Bundesstaat Punjab protestieren an den Grenzen zu den Nachbarstaaten Haryana und Uttar Pradesh. Sie fordern eine gesetzliche Garantie für einen Mindestpreis aller landwirtschaftlichen Produkte sowie einen Erlass von Schulden für alle Landwirte.

Die Szenen erinnern an die Bauernproteste in Indien in den Jahren 2020 und 2021, als Hunderttausende von Menschen, die in der Landwirtschaft  beschäftigt waren, die Regierung von Premierminister Narendra Modi dazu drängten, drei Gesetzentwürfe zur Reform der Agrarwirtschaft fallen zu lassen.

Die Regierung versprach einen Neuanfang und erklärte sich bereit, die Forderungen der Bauern zu erfüllen. Die protestierenden Landwirte sagen jetzt, dass diese Versprechen gebrochen wurden.

Landwirtschaft in der Krise

Etwa 260 Millionen Menschen in Indien arbeiten in der Landwirtschaft. Das sind laut offiziellen Angaben über 45 Prozent der Arbeitsplätze des Landes. "Zwischen 2004 und 2018 war die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft um 67 Millionen gesunken, da die Arbeiter diese Niedriglohnlandwirtschaft verließen, um stattdessen besser bezahlte Berufe in der Industrie und im Dienstleistungssektor anzunehmen", sagt Jairam Ramesh, Generalsekretär der oppositionellen Kongresspartei im Gespräch mit der DW.

Der Trend kehrte sich aber um. Die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte sei nun um 60 Millionen gestiegen. Die Rückkehr zur Landwirtschaft habe ihren Anfang schon vor der COVID-19-Pandemie genommen. "Anstatt Indien auf den Weg des Wohlstands zu bringen, haben die Fehler und das Missmanagement des Premierministers unsere wirtschaftliche Transformation um 20 Jahre zurückgeworfen", so die Kritik von Ramesh.

Mehr als 45 Prozent der Erwerbstätigen Indiens sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Hier: Feldarbeiterinnen in AssamBild: Anuwar Hazarika/NurPhoto/picture alliance

Himanshu, Wirtschaftsprofessor an der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi, sieht das ähnlich. Indiens Landwirtschaft befinde sich in der Dauerkrise. Die Regierung habe es versäumt, das Problem mit ausreichenden gezielten Investitionen anzugehen.

"Bei steigenden Diesel-, Strom- und Düngemittelpreisen erleiden die Bauern mehr Verluste, wenn sie mehr produzieren." sagte Himanshu der DW. Das passiere genau dann, wenn die Preise für die Produkte langsamer steigen als eben die Kosten.

Mindestpreise seien aber kein Allheilmittel, um der Krise in der Landwirtschaft zu begegnen, warnt Lekha Chakraborty, Professorin und Vorsitzende am National Institute of Public Finance and Policy.

Chakraborty glaubt, dass die von der Regierung versprochene Verdoppelung des Einkommens für die Landwirte nur möglich sei, wenn die Wachstumsrate des Agrarsektors deutlich ansteige, was aber noch nicht geschehen sei. Auch gezielte Geldtransfers an die Landwirte hätten das Problem nicht vollständig lösen können.

Doch wenn Indien den Agrarsektor vernachlässige, werde es schwierig für weiteres Wachstum sein. Die Landwirtschaft sei "eng mit anderen Sektoren verbunden und gewährleistet die Ernährungssicherheit", sagte sie der DW. "Eine gedankenlose Fokussierung auf die physische Infrastruktur ohne einen angemessenen Augenmerk auf Ernährungssicherheit, Klimawandel oder die soziale Sicherheit für gefährdete Bevölkerungsgruppen, einschließlich der Landwirte, kann die Ungleichheiten weiter wachsen."

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04:29

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Ökonom empfiehlt Blick nach China

Die Regierung ist bereits in vier Verhandlungsrunden mit Bauernverbänden zusammengekommen. Die Gespräche blieben aber bisher ohne greifbare Ergebnisse.

Die Unzufriedenheit der Bauern könnte der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) Probleme bereiten. In diesem Jahr stehen Wahlen an und Regierungschef Narendra Modi strebt eine dritte Amtszeit in Folge an.

"Wir hoffen, dass wir eine einvernehmliche Lösung für die Krise der Landwirte finden. Das sollte für die Partei kein Problem darstellen", zeigt sich ein hochrangiger Minister, der an den Verhandlungen beteiligt ist, im Gespräch mit der DW zuversichtlich.

Santosh Mehrotra, Ökonom und Gastprofessor an der britischen University of Bath, empfiehlt, den Blick nach China zu richten. "Um die Beschäftigung auch außerhalb der Landwirtschaft und ein hohes BIP-Wachstum zu erzielen, müsste Indien eine ähnliche Produktionsstrategie wie China verfolgen und sich auf die arbeitsintensive Produktion konzentrieren", sagte er der DW. "Während eine schwache Weltwirtschaft die Exportnachfrage einschränken kann, kann die Ankurbelung der Binnennachfrage Arbeitsplätze schaffen." Es sei unwahrscheinlich, dass der Fokus hauptsächlich auf den Dienstleistungssektor dafür ausreichen werde.

Weltweite Bauermisere "akuter geworden"

"Armut und unzureichende Nachfrage müssen von den politischen Entscheidungsträgern bekämpft werden, indem sie sich auf das Wohlergehen der großen Mehrheit konzentrieren, und nicht nur auf das Wohlergehen von Unternehmen und Wohlhabenden", fordert Ökonom Arun Kumar, der über Konjunktur und Sozialstaat forscht.

Ein Hauptproblem sei das unzureichende Einkommen von rund 85 Prozent der Bauern, die kleine Betriebe mit weniger als zwei Hektar Land bewirtschaften, sagt Kumar.

"Die bisher versuchte Einzel- und Ad-hoc-Maßnahme hat zu Widersprüchen und anhaltender Armut geführt. In letzter Zeit haben Landwirte auch in Europa Straßen und Autobahnen blockiert, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Nach der Pandemie ist das Problem eines angemessenen Einkommens in der Landwirtschaft weltweit akuter geworden", sagt Kumar im Gespräch mit der DW.

Redaktion: Sou-Jie von Brunnersum

Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand