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Indien: Exportbranchen durch US-Zölle verunsichert

Murali Krishnan aus Neu-Delhi
Veröffentlicht 11. August 2025Zuletzt aktualisiert 12. August 2025

Wichtige Sektoren in Indiens Wirtschaft geraten durch eine weitere Erhöhung der US-Zölle in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Weitreichende Arbeitsplatzverluste könnten die Folge sein.

Indien Diamantenindustrie in Surat
Von US-Zöllen hart betroffen: Diamanten-Industrie in Surat, einer Millionenstadt im nordwestindischen Bundesstaat GujaratBild: Ajit Solanki/AP/picture alliance

Jagdish Prajapati sitzt in der schmuddeligen Sarthana-Gasse in Surat und schleift gerade einen Rohdiamanten. Die Millionenstadt im westindischen Bundesstaat Gujarat gilt als das größte Zentrum für die Verarbeitung von Diamanten weltweit. Gujarat ist der Wahlkreis des indischen Premiers Narendra Modi von der hindunationalistischen Partei BJP. 

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Prajapati - seit 20 Jahren im Geschäft - ist nun wie viele seiner Kollegen in der Altstadt beunruhigt: "Wir haben schon seit Jahren mit einer wirtschaftlichen Flaute zu kämpfen, die auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zurückzuführen ist", sagt der 49-Jährige. "Die Belastung jetzt durch hohe US-Zölle auf indische Diamanten-, Edelstein- und Schmuckexporte hat weitere Ängste geschürt."

Jobverlust droht

Am 27. August sollen zusätzliche US-Strafzölle von 25 Prozent auf indische Textilien, Autoteile, Schuhe und Pharmaexporte - und eben auch auf Edelsteine - in Kraft treten. Aufaddiert zu den bereits bestehen Zöllen wird damit ein effektiver Zollsatz von 50 Prozent erreicht. Indien muss nun zusammen mit Brasilien den bisher höchsten Zollsatz für Exporte in die USA verkraften.

Das betrifft auch die Diamantenstadt Surat. "Viele Werkstätten haben Kurzarbeit eingeführt", sagt Prajapati im DW-Interview. "Neu einstellen tut sowieso keiner mehr. Wenn die Zölle in Kraft treten, werden viele Familien Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen."

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Nach Angaben der Branchengewerkschaft "Diamond Workers Union Gujarat" sind 800.000 bis eine Million Schleifhandwerker in rund 6000 Diamantenschleifereien beschäftigt. Die meisten von ihnen haben keinen festen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber und werden nur nach Bedarf eingesetzt.

Die USA sind der größte Einzelmarkt für Diamanten, die in Indien verarbeitet werden. Jährlich werden Edelsteine im Wert von über zehn Milliarden US-Dollar in die USA exportiert. Das mache fast 30 Prozent des weltweiten Handels mit Diamanten aus, sagt Kirit Bhansali, Vorsitzender des Gem & Jewellery Export Promotion Council, einer Lobbyisten-Organisation. "Die Folgen einer pauschalen Verzollung in dieser Größenordnung sind für den Sektor verheerend."

US-Präsident Trump begrüßte Indiens Premier Modi am 13.2.2025 im Weißen HausBild: Alex Brandon/AP Photo/picture alliance

USA erhöht Druck auf Indien

Fast jeder zweite geschliffene Diamant aus Indien geht in die USA. "Mit der revidierten Zollerhöhung könnte die gesamte Branche zum Erliegen kommen", befürchtet Bhansali. "Das würde einen immensen Druck auf alle Teile der Wertschöpfungskette ausüben: vom einzelnen Schleifer bis hin zu großen Werkstätten."

Indien muss deswegen so hohe Strafzölle für Exporte in die USA zahlen, weil das bevölkerungsreichste Schwellenland in der Kritik steht, russisches Rohöl zu günstigen Preisen zu importieren. Indien beabsichtigt damit, den immensen Energiebedarf im Land zu decken. Russland ist derzeit der größte Einzelexporteur von Öl nach Indien.

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Für Washington sind solche Energiegeschäfte aber eine mittelbare Finanzierung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Der Westen hat als Reaktion auf diesen völkerrechtlich illegalen Angriffskrieg geschlossen russische Energieprodukte sanktioniert.

Noch im Februar hatten sich Indiens Premierminister Narendra Modi und US-Präsident Donald Trump kurz nach dessen Amtseinführung im Weißen Haus getroffen, um Handelsfragen zu besprechen. Sie haben sich auf die Verdopplung des bilateralen Handels auf 500 Milliarden US-Dollar bis 2030 geeinigt.

Der Druck von Trump auf Indien, seine Ölimporte aus Russland einzustellen und die Sanktionen gegen den Iran einzuhalten, hat jedoch die Beziehungen zwischen Washington und Neu-Delhi schwer belastet.

Verluste in der Textilindustrie: Arbeiter zeigt einen bestickten Schal in der Nazakat Shawl Factory in SrinagarBild: Firdous Nazir/NurPhoto/picture alliance

Verunsicherung auch in der Textilindustrie

Im Bezirk Tiruppur im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu arbeiten mehr als eine Million Menschen in der Textilindustrie und daran angeschlossenen Gewerken. Die Region ist weltweit als Standort der Baumwollindustrie bekannt, mit zahlreichen Strickereien, Bleichereien und anderen Werkstätten. Auch Reißverschlüsse und Knöpfe werden dort hergestellt. Da das Geschäft bisher gut lief, ist die Bevölkerung in der Stadt ständig gewachsen.

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Etwa 30 Prozent der Exporte aus Tiruppur gehen in die USA, insbesondere eben im Bereich Baumwolle- und Strickwaren. Nach Angaben der Exportverbände erreichte die Ausfuhr in die USA im letzten Geschäftsjahr 2024 ein Volumen von 5,1 Milliarden US-Dollar.

Treten die US-Strafzölle wie geplant Ende August in Kraft, wären bis zu 200.000 von insgesamt 1,25 Millionen Arbeitsplätzen gefährdet, so der lokale Branchenverband. "Da die Preise der indischen Textilien in den USA aufgrund dieser Zölle steigen, ist mit erheblichem Rückgang der Umsätze zu rechnen", fürchtet K. M. Subramanian, Präsident der Tirupur Exporters' Association, Im DW-Interview. Er fügt hinzu, dass dies "die Branche hart treffen wird". Es bleibe abwarten, wie sich das entwickele

Zu den Abnehmern in den USA gehören große Einzelhandelsketten und Modemarken wie Walmart, Costco und GAP. Im Wettbewerb mit anderen asiatischen Ländern wie Pakistan, Vietnam oder Bangladesch würden indische T-Shirts und Dessous um 30 bis 35 Prozent teurer.

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"Die erste Runde von 25 Prozent Zöllen schickte unsere Branche auf die Intensivstation. Mit den zusätzlichen 25 Prozent Strafzöllen wegen russischer Ölimporte fallen wir direkt ins Koma", sagt Textilexporteur Kumar Doraiswamy von Eastern Global Clothing. "Das hat die Exporteure in eine Krise gestürzt. Die Arbeitsplätze, die Einnahmen und das weltweite Ansehen des indischen Textilsektors sind alle gefährdet."

Zulieferbetriebe der Autobranche zittern

Ähnlich sieht sich der Automobilzuliefersektor, der einen großen Teil der indischen Exporte in die USA ausmacht, dem Risiko sinkender Aufträge aufgrund gestiegener Kosten für amerikanische Käufer ausgesetzt. Für Indien sind die USA der größte Markt - gefolgt von der EU. Für Vinnie Mehta von der Automotive Component Manufacturers Association (ACMA) ist das ein "starker Gegenwind". Im Gespräch mit der DW weist sie aber auch darauf hin, dass sich "viele andere konkurrierende Länder, darunter auch China, in derselben Lage befänden. "Ehrlich gesagt ist es eine Situation, in der man abwarten und beobachten muss. Man weiß nicht, was das Morgen bringt."

Diversifizierung der Exporte? Arbeiter entladen Säcke beim Güterbahnhof JalandharBild: AFP

Strategisches Dilemma für Indien

Export ist ein treibender Faktor für Indiens Wirtschaftswachstum. Bei einem Inkrafttreten der US-Zölle rechnen Volkswirte mit einem deutlichen Rückgang der indischen Exportwirtschaft. Der US-indische Handel macht mit einem jährlichen Volumen von 74,7 Milliarden Euro bisher 2,5 Prozent des indischen Bruttoinlandsprodukts aus.

Die indische Regierung sucht zwar weiterhin nach diplomatischen Lösungen. Doch Neu-Delhi will nicht auf russische Ölimporte verzichten. Das macht die Verhandlungen mit Washington sehr schwierig. Die Beziehungen zwischen Indien und den USA haben sich in den letzten Monaten abgekühlt.

Um dem Mittelstand einen Ausweg zu weisen, ermutigt Indien seine Unternehmen, die Exporte zu diversifizieren und die Abhängigkeit vom amerikanischen Markt durch die neuen Handelspartnerschaften zu verringern. Der Staat will mit günstigen Krediten und Exportgarantien für neue Märkte heimische Arbeitsplätze sichern und so Wachstum generieren. In einer Erklärung betont die ACMA den Willen, die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors in Indien zu verbessern, die Wertschöpfung zu stärken und neue und diversifizierte Märkte zu erschließen.

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"Angesichts der Zollkonflikte mit den USA wird sich das ohnehin große Handelsdefizit kurzfristig tatsächlich noch vergrößern", sagt Lekha Chakraborty, Professorin am National Institute of Public Finance and Policy in Neu-Delhi. Es gebe zwei Möglichkeiten, diese Krise zu überwinden: "Die erste besteht darin, zu diversifizieren und zuverlässige neue Märkte unweit von Indien zu erschließen. Damit ist der Transportweg deutlich kürzer, um sich so von großen Handelspartnern zu lösen."

Die Alternative: Indien ziehe mehr Auslandsdirektinvestitionen aus den USA an, um das Defizit auszugleichen. "Hierfür brauchen wir gute Zinsentscheidungen der indischen Zentralbank, um die Kapitalflucht zu vermeiden und ausländisches Kapital ins Land zu holen."

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Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan

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