Indien geht auf Tuchfühlung mit Taliban
8. Oktober 2025
Zwar erkennt Indien das Taliban-Regime nicht als die legitime Regierung von Afghanistan an, doch für den von den Taliban zum Außenminister ernannten Amir Khan Muttaqi rollt Neu-Delhi dennoch den roten Teppich aus. Sein Besuch beginnt am Donnerstag (9.10.25) und dauert eine Woche.
Der Taliban-Diplomat wird sich mit dem indischen Außenminister Subrahmanyam Jaishankar treffen und über Terrorismusbekämpfung, Handelsbeziehungen sowie die humanitäre und Entwicklungshilfe für Afghanistan sprechen. Wie gegen viele andere Anführer der extremistischen militanten Taliban war auch gegen Muttaqi ein Reiseverbot vom UN-Sicherheitsrat verhängt worden. Allerdings gewährte dieser eine Ausnahmeregelung für seine Indienreise.
Der 54-jährige Muttaqi wird voraussichtlich die indische Regierung ersuchen, einen offiziellen Taliban-Gesandten in der afghanischen Botschaft in Neu-Delhi zu akkreditieren. Ferner will er auch das Diplomatenpersonal in den Konsulaten in Mumbai und Hyderabad aufstocken.
Indiens vorsichtiges diplomatisches Spiel
Seit der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan 2021 bewegt sich Neu-Delhi auf einem strategischen Drahtseil. Indien pflegt inoffizielle Kontakte zu den Taliban und begrenzt gleichzeitig sämtliche diplomatischen Aktivitäten, die den Eindruck erwecken würden, dass die nationalistische BJP-Regierung die Taliban als legitime Regierung anerkennt.
Schon im Juni 2022 entsandte Indien ein "technisches Team" in die afghanische Hauptstadt, um die Lieferung humanitärer Hilfsgüter zu koordinieren. Im November 2024 traf sich der indische Spitzendiplomat JP Singh, der zwischen 2008 und 2012 indischer Botschafter in Kabul war, mehrfach mit Taliban-Vertretern. Darunter war auch Mullah Mohammad Yaqoob, der von den Taliban zum Verteidigungsminister berufen wurde und für Sicherheitsfragen zuständig ist. Schließlich sprach Indiens Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten, Vikram Misri, Anfang 2025 die Einladung an den Taliban-Außenminister Muttaqi bei einem Treffen in Dubai aus.
Während Indien auf Tuchfühlung mit den Taliban-Machthabern geht, verschlechtert sich die Beziehung zwischen den traditionellen Verbündeten Pakistan und Afghanistan. Islamabad ist zunehmend verärgert über den mangelnden Willen des Taliban-Regimes, einen mutmaßlichen grenzüberschreitenden Terrorismus zu bekämpfen. 2024 kam es zu blutigen Kämpfen in der Grenzregion. Pakistans Luftwaffe hatte die ostafghanischen Grenzprovinzen bombardiert. Das Ziel sei Terrorgruppen gewesen, die vom afghanischen Territorium aus immer wieder Anschläge vor allem gegen Armee und Polizei in Pakistan verübt hätten, hieß es aus Islamabad. Und als Vergeltung ließen die Taliban schwere Geschütze auffahren und damit in Richtung Pakistan schießen.
Indien, Pakistan und China gegen US-Stützpunkt in Afghanistan
Die Taliban möchten um mehr Unterstützung durch die regionalen Großmacht Indien werben, sagt Gautam Mukhopadhaya, indischer Botschafter in Afghanistan 2009-2013. "Diese Annäherung zielt zum Teil darauf ab, Islamabads Kontrollansprüche über Afghanistan infrage zu stellen. Die regierenden Taliban wollen mehr Unabhängigkeit von Pakistan zeigen und sich als vertrauenswürdige Partner Indiens positionieren." Das sei auch ein Schritt, um sich als international relevanter Akteur zu profilieren und mehr Aufmerksamkeit von den USA, China und Russland auf sich zu lenken, so Mukhopadhaya im DW-Interview.
Außenpolitisch steht Indien auf derselben Linie wie Islamabad, Peking und Moskau. Diese Länder wollen den Menschen in Afghanistan helfen und unterstützen deswegen die Taliban-Regierung. Diese hatte Moskau sogar im Sommer 2025 schon anerkannt. Und die Forderung von US-Präsident Donald Trump nach einer US-Militärpräsenz auf dem afghanischen Luftwaffenstützpunkt Bagram lehnen alle ab. Ausländische Militäreinsätze in der Region seien "inakzeptabel" für die Stabilität, hieß es diese Woche aus Delhi. Diese Botschaft wird zwischen den Zeilen in erster Linie als deutlicher Wink an Washington gesehen.
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Indien und Afghanistan seien in einer Interessengemeinschaft, sagt Politologin Shanthie Mariet D'Souza. Das Taliban-Regime müsse seinen Horizont der Interaktion und Legitimität erweitern, während es Neu-Delhi darum gehe, seine Engagements mit den De-facto-Machthabern Afghanistans schrittweise auszubauen, um "seinen strategischen Spielraum" zurückzugewinnen, sagt D'Souza vom unabhängigen Forschungsforum Mantraya, gegenüber der DW.
Taliban suchen Abstand zu Pakistan
Geografisch gesehen liegt Pakistan zwischen Indien und Afghanistan. Und die Taliban hätten signalisiert, dass sie Indien nicht verärgern wollten, sagt Harsh Pant, Forschungsleiter der Observer Research Foundation (ORF) in Neu-Delhi. "In gewisser Weise spiegelt die vorsichtige Annäherung eine gewisse Zuversicht wider, die derzeit in Indien hinsichtlich der Taliban als Regierung Afghanistans herrscht. Diese zuversichtliche Stimmung hatte es zu Beginn ihrer Machtübernahme noch nicht gegeben", sagt Pant gegenüber der DW.
Die Taliban möchten Afghanistan nicht zu einem verlängerten Arm Pakistans machen. "Tatsächlich haben sie sich gegen die Ideen Pakistans und seines Militärs gewehrt, Afghanistan als strategisches Faustpfand gegenüber Indien zu nutzen."
Gelinge ein Miteinander zwischen Indien und den Taliban, könne dann auch mittelbar der Einfluss Chinas auf Afghanistan geschwächt werden, sagt Pant weiter, der am Londoner King's College lehrt. China möchte eine Allianz zwischen Afghanistan und Pakistan schmieden. Bereits jetzt bezeichnet China aufgrund der vertrauensvollen umfassenden Beziehungen Pakistan als "Ba Tie", die eiserne Schwurbruderschaft.
Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan.
In einer früheren Version haben wir fälschlicherweise berichtet, dass Indiens Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten Vikram Mishri 2025 in Kabul war und dort Taliban-Außenminister Muttaqi traf. Richtig ist, dass das Treffen in Dubai stattfand. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.