Hindu-Fest: Hätte die Massenpanik verhindert werden können?
30. Januar 2025
In den frühen Morgenstunden des Mittwochs (29.01.2025) brach beim Hindu-Fest Maha Kumbh Mela eine Panik aus - 40 Todesopfer und Hunderte Verletzte sind derzeit zu beklagen. Alle zwölf Jahre pilgern Millionen von Gläubigen nach Prayagraj im Norden Indiens, um an diesem Fest teilzunehmen. Die Maha Kumbh Mela gilt als das größte religiöse Pilgerfest der Welt und dauert insgesamt 45 Tage. Höhepunkt dabei ist das rituelle Bad in nach hinduistischem Glauben heiligem Wasser, das von Sünden reinigen und den Kreislauf der Wiedergeburt durchbrechen soll.
Der Vorfall ereignete sich, als unzählige Pilger versuchten, sich einen Platz am Zusammenfluss der Flüsse Ganges, Yamuna und Saraswati zu sichern. Augenzeugen berichten, dass Barrikaden durchbrochen wurden und Menschen übereinander stolperten, während Tausende versuchten, sich ans Flussufer zu retten.
"Es war etwa 1:45 Uhr morgens, als sich die Menschen in einem Handgemenge gegenseitig niederdrückten. Ich konnte sehen, wie die Menge immer weiter nach vorne drängte", berichtet Saurabh Singh, ein Festivalbesucher, der DW. "Viele Frauen und Kinder schliefen, als es passierte. Eine Stunde später lagen überall leblose Körper."
Indra Shekhar, der seit über einer Woche auf dem Fest campierte, besuchte den Ort kurz nach dem Vorfall. Er sah, wie Hunderte von Verletzten auf Tragen abtransportiert wurden, während Krankenwagen die Schwerverletzten in Krankenhäuser brachten.
"Diese Tragödie hätte vermieden werden können", sagte Shekhar. "Es gab zu wenig Kontrolle über die Menschenmassen und zu wenig Polizeipräsenz. Zudem wurden über 28 Brücken zum Fluss für VIPs reserviert und für die Öffentlichkeit gesperrt. Das hat das Chaos nur verschärft."
Wiederkehrende Tragödien bei religiösen Festen
Die Massenpanik beim Maha Kumbh Mela-Fest leider kein neues Phänomen. Auch bei anderen religiösen Großveranstaltungen in Indien gab es in der Vergangenheit tödliche Zwischenfälle.
Im Juli 2024 starben mehr als 120 Menschen während einer Massenpanik in der Stadt Hathras, wo ein selbsternannter Guru eine Versammlung abhielt. Die Situation eskalierte, als Sicherheitskräfte versuchten, Anhänger zurückzudrängen, die niedergekniet waren, um den Boden zu berühren, auf dem der Guru gegangen war.
"Fast alle dieser Tragödien haben dieselben Ursachen: Überfüllung, schlechtes Management großer Menschenmengen sowie Panik, die oft durch Gerüchte ausgelöst wird", erklärte ein hochrangiger Vertreter der Black Tiger Security Services im Gespräch mit der DW.
Welche Sicherheitsmaßnahmen wurden getroffen?
Nach den bisherigen Erfahrungen hatten die Behörden diesmal verschiedene Maßnahmen zur Kontrolle der Menschenansammlung eingeführt. Über 2700 Kameras wurden installiert, darunter 300 mit künstlicher Intelligenz, um die Bewegungen der Menschenmengen in Echtzeit zu analysieren.
Drohnen wurden eingesetzt, um das Pilgerfest aus der Luft zu überwachen und rechtzeitig auf Überfüllung reagieren zu können. Zudem waren mehr als 40.000 Polizisten im Einsatz, unterstützt von einer Kommandozentrale, die mithilfe von Echtzeitdaten mögliche Gefahrenzonen identifizierte.
Zusätzlich erhielten Besucher Armbänder mit Echtzeit-Tracking, um vermisste Personen schneller zu finden und die allgemeine Sicherheit zu erhöhen.
Warum haben die Maßnahmen nicht gereicht?
Trotz dieser Vorkehrungen konnte die Massenpanik nicht verhindert werden. "Selbst mit modernster Technik wie KI war es nicht möglich, die Menschenmenge effektiv zu kontrollieren", sagte Yashovardhan Azad, ein ehemaliger Polizeibeamter. "Es braucht dringend neue Strategien und Ansätze für den Umgang mit solchen Menschenmengen."
Dirk Helbing, Professor für computergestützte Sozialwissenschaften an der ETH Zürich, verweist auf das Phänomen der "Massenturbulenz". Dieses tritt auf, wenn sich eine große Menge auf engem Raum bewegt und einzelne Personen keinen Bewegungsspielraum mehr haben.
"Genau das könnte hier passiert sein", sagte Helbing. "In solch riesigen Menschenansammlungen kann schon ein kleines Gerücht ausreichen, um eine Panik auszulösen."
Wie lässt sich eine Massenpanik verhindern?
Der tragische Vorfall zeigt, dass technologische Lösungen allein nicht ausreichen, um Massenpaniken zu verhindern. Anna Sieben, Professorin für Kultur- und Sozialpsychologie an der Universität St. Gallen, forscht seit Jahren zur Dynamik von Menschenmengen. Sie betont, dass Menschen oft erst realisieren, dass sie sich in einer Panik befinden, wenn es bereits zu spät ist.
Expertinnen und Experten fordern umfassendere Maßnahmen, darunter eine bessere Regulierung der Besucherströme, mehr Fluchtwege sowie eine stärkere Aufklärung der Teilnehmer über Sicherheitsrisiken.
Solange sich an diesen grundlegenden Problemen nichts ändert, bleiben religiöse Großveranstaltungen in Indien eine gefährliche Gratwanderung zwischen Spiritualität und Risiko.
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein