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PolitikIndien

Indien-Kanada-Streit: Mord an Sikh-Aktivist verschärft Krise

Murali Krishnan in Neu-Delhi
20. September 2023

Kanada beschuldigt Indien, an einem Mordkomplott beteiligt zu sein. Die Ermordung des Sikh-Aktivisten Nijjar in Kanada belastet die ohnehin gespannten Beziehungen.

Kanada, BC, Surrey | Khalistan-Flaggen und ein Plakat sind vor dem Guru Nanak Sikh Gurdwara Sahib Tempel zu sehen
Opfer Nijjar auf dem Plakat vor dem Sikh-Kulturzentrum im Juni 2023Bild: Chris Helgren/REUTERS

Der Protest aus Indien kam prompt. Die Anschuldigungen Kanadas, dass Indiens Regierung an einem Mord im Ausland beteiligt sein soll, sei "absurd", hieß es vom indischen Außenministerium vom Dienstag (19.09.). Indien fordert Kanada auf, "umgehende und effektive rechtliche Schritte" gegen alle "anti-indischen Aktivitäten, die von dessen Boden aus agieren", zu unternehmen. 

Einen Tag zuvor berichtete der kanadische Premierminister Justin Trudeau vor dem Parlament, seine Regierung habe "glaubwürdige Hinweise", dass "Agenten der indischen Regierung" verantwortlich für die Ermordung von Hardeep Singh Nijjar, einem kanadischen Staatsbürger, seien.

Nijjar war ein Sikh-Aktivist und forderte einen unabhängigen Sikh-Staat auf dem indischen Boden. Im Juni war er vor einem Sikh-Kulturzentrum in der westkanadischen Region British Columbia von unbekannten maskierten Tätern erschossen worden.

"Die Beteiligung einer ausländischen Regierung an der Tötung eines kanadischen Bürgers auf kanadischem Boden ist eine inakzeptable Verletzung unserer Souveränität", sagte Trudeau vor dem Unterhaus.

In Kanada lebt die größte Sikh-AuslandsgemeindeBild: Chris Helgren/REUTERS

Keine stille Diplomatie, aber warum?

Für den ehemaligen indischen Diplomaten Anil Wadhwa sei es falsch, dass Kanada anstatt stiller Diplomatie die Angelegenheit hat absichtlich eskalieren lassen. "Der Streit wird in erheblichem Maße auf unsere Handelsbeziehungen und die zivilgesellschaftlichen Kontakte auswirken. Dieser Abwärtstrend wird sich auch in internationalen Formaten abspielen", warnt Wadhwa. 

Priti Singh, Professorin am Zentrum für kanadische, US-amerikanische und lateinamerikanische Studien an der Jawaharlal Nehru University in Delhi, sagte, Trudeau nutze den Mordfall, um sein Image angesichts sinkender Umfragewerte zu stärken. "Dieses Thema wurde von Kanada öffentlich aufgegriffen, obwohl es hinter den diplomatischen Kulissen eine mögliche Lösung gegeben hätte. Die scharfe Rhetorik zeigt, dass Trudeau seine Unterstützung im Inland verliert", sagte Singh gegenüber DW. 

Zwischen Indien und Pakistan - Das Dilemma der Sikhs

27:21

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Andauernder gewaltsamer Konflikt zwischen Hindus und Sikhs

Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Sikh-Community betrachtet die Regierung in Neu Delhi als Sicherheitsbedrohung. Es kam immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen im nordindischen Bundesstaat Punjab. Von den 27 Millionen Menschen dort sind mehr als 57 Prozent Mitglieder der Sikh-Religionsgemeinschaft.

In den 1980er-Jahren herrschten heftige Unruhen zwischen den Hindus und Sikhs. Die damalige Premierministerin Indira Gandhi kam 1984 bei einem politisch motivierten Anschlag durch ihre Sikh-Leibwächter ums Leben. Bei den darauf folgenden Anti-Sikh-Pogromen kamen mindesten 3000 Sikhs ums Leben. In Punjab wurde lange Jahre der Ausnahmezustand verhängt. Der Bundesstaat stand direkt unter zentraler Verwaltung.

1985 wurden die in Kanada ansässigen Sikh-Separatisten für den Terroranschlag auf Air India Flug 182 verantwortlich gemacht. Alle 329 Passagiere und Besatzungsmitglieder starben, als an Bord ein Sprengstoffkoffer auf der Reisehöhe vor der Küste Irlands detonierte, darunter 268 kanadische Staatsbürger. 

Größte Sikh-Auslandsgemeinde in Kanada

Nach Angaben der indischen Behörden habe Nijjar, der 1979 nach Kanada gekommen war und Asyl beantragt hatte, in der Sikh-Gemeinde eine inoffizielle Volksabstimmung organisieren wollen. Die indische Regierung hatte ihn als Terroristen bezeichnet und ersuchte seit Jahren seine Auslieferung.

Kanada beherbergt die größte Auslandscommunity von Sikhs mit circa 800.000 Mitgliedern. "Dass kanadische Politiker Sympathie für die Sikh-Bewegung offen äußern, erfüllt uns nach wie vor mit großer Sorge", erklärte die indische Regierung in einer Stellungnahme als Reaktion auf Trudeaus Äußerung im Unterhaus.

Am Dienstag haben Kanada und Indien je einen Diplomaten zu Persona ingrata erklärt. Die Ausweisungen verschärften die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen Kanada und Indien. Bereits 2022 hatte die separatistische Sikh-Gruppe in der kanadischen Stadt Brampton eine Abstimmung über einen unabhängigen Sikh-Staat, den Khalistan, organisiert. Die indische Regierung verurteilte Kanada damals dafür, die Abstimmung stattfinden zu lassen.

Die bisherigen Gespräche zwischen Premier Trudeau (l.) und seinem indischen Amtskollegen Modi zur Beilegung des Streits blieben erfolglosBild: AFP

Erfolgloses Gespräch zwischen Trudeau und Modi

Am Rande des jüngsten G-20-Gipfels Anfang September sprach der indische Premierminister Narendra Modi mit seinem Amtskollegen Justin Trudeau über seine Bedenken hinsichtlich "extremistischer Aktivitäten" der Sikh-Bewegung in Kanada. Trudeau hatte dabei nach Insider-Informationen die Ermordung von Nijjar direkt bei Modi angesprochen und die indische Regierung gebeten, mit Kanada zusammenzuarbeiten. Später kündigte Kanada auf dem G-20-Gipfel an, Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Indien auszusetzen. 

Meera Shankar, ehemalige indische Botschafterin in den USA, sagte, der Streit sei bedauerlich, da Indien und Kanada viel zu gewinnen hätten, wenn sie ihre Zusammenarbeit stärken würden. Shankar sagte gegenüber DW, dass "extremistischen Elementen" in Kanada "freie Hand" gelassen werde und behauptete, dass die Regierung Trudeau Sikh-Wählern politische Unterstützung zugesichert habe. "Eine liberale Gesellschaftsordnung oder ein demokratischer Wahlkampf sollten nicht die Duldung von Gewalt, Drohungen gegen indische Diplomaten oder die Finanzierung von Separatistenbewegung in Indien beinhalten", sagte sie. 

Khalistan sei eine "Utopie", so Ravinder Singh Ahuja, Präsident des Sikh-Forums in Neu-DelhiBild: Darryl Dyck/The Canadian Press/ZUMA press/picture alliance

In der politischen Landschaft von Kanada ist die Sikh-Gemeinde sehr aktiv. Schon im Kabinett von Trudeau 2015 saßen vier Sikh-Minister mit am Regierungstisch. Ravinder Singh Ahuja, Präsident des Sikh-Forums in Neu-Delhi, sagte gegenüber DW, dass die "Khalistan"-Bewegung oft falsch verstanden werde. Sie repräsentiere nicht den Willen der gesamten Sikh-Gemeinschaft weltweit. "Die Idee von Khalistan ist rein utopisch", sagte er.