80 Prozent der Menschen in Indien leben in Gebieten, die als vom Klimawandel bedroht gelten. Doch bei den laufenden Wahlen spielt die Erderwärmung keine Rolle. Wenn überhaupt, beschäftigen sich Politiker mit den Folgen.
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In der Niederung der Yamuna-Ebene vor den Toren der indischen Hauptstadt Neu Delhi betreibt Bhagwati Devi eine kleine Gemüsefarm. Der Yamuna ist der wichtigste Nebenfluss des Ganges und durchfließt unter anderem die Hauptstadtregion Delhi. Als der Strom im vergangenen Jahr über seine Ufer trat, musste die Gegend um Devis Farm evakuiert werden: "Wir verbrachten die gesamte Nacht auf einem Baum und warteten darauf, gerettet zu werden", erzählt sie.
Umweltverschmutzung in Delhi: Giftiger Schaum auf dem Yamuna
Delhi gilt als eine der am stärksten verschmutzten Hauptstädte der Welt. Nicht nur Smog macht den Bewohnerinnen und Bewohnern derzeit das Leben schwer: Auf dem für Hindus heiligen Fluss Yamuna treibt giftiger Schaum.
Bild: ANUSHREE FADNAVIS/REUTERS
Schneise im Schaum
Es scheint, als würden die beiden Männer ihr Boot durch eine schneebedeckte Eisdecke navigieren - tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Schicht giftigen Schaums, der den Fluss Yamuna in Indiens Hauptstadt Neu Delhi stellenweise komplett bedeckt. Auslöser ist der hohe Phosphatgehalt des Yamuna, der einer der am stärksten verschmutzen Flüsse weltweit ist.
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Feier im Fluss
Schlechtes Timing: Ausgerechnet zu Beginn des viertägigen hinduistischen Festes Chhath Puja tauchte der giftige Schaum am Samstag auf dem Yamuna auf. Doch die Gläubigen ließen sich nicht abschrecken und feierten das religiöse Fest zugunsten des Sonnengottes Surya nicht nur am, sondern auch im Fluss.
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Opfer für den Sonnengott
Mit Opfergaben und Räucherstäbchen waten die Menschen hüfttief in den Fluss und beten in Richtung der untergehenden Sonne. Chhat Puja ist ein weibliches Fest: Die meisten Feiernden sind Frauen, die um Glück für ihren Ehemann und die Familie beten. Das Fest dauert die ganze Nacht hindurch und endet mit der Begrüßung des Sonnenaufgangs.
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Giftige Gischt
Der Schaum, der sich hier am Ufer wie Gischt am Meer türmt, stamme von abgelagertem Schlamm und Abfällen, sagte Umweltingenieur Ankit Srivastava, ein ehemaliger Berater der Regierung von Delhi, der Nachrichtenagentur Reuters. "Der Schaum ist nicht per se tödlich", so Srivastava. Man sterbe nicht daran, wenn man mit ihm in Berührung komme. "Aber man wird krank."
Der toxische Schaum kann Haut- und Atemprobleme auslösen. Schon seit Längerem verspricht die in Delhi regierende Aam Aadmi Party (AAP) den heiligen, aber schmutzigen Fluss zu reinigen. Bisher bleibt die Situation jedoch unverändert. Als Sofortmaßnahme versprühte die Wasserbehörde der Stadt am Montag Chemikalien und Enzyme in Lebensmittelqualität, die den Schaum auflösen sollen.
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Andacht unter der Brücke
Nicht Nebel, sondern Smog umhüllt vier Gläubige, die Opfergaben an Surya entrichten. Denn auch die Luft in Indiens Hauptstadt ist toxisch: Eine dicke, gelb-graue Wolke liegt über Neu Delhi. Die Luftverschmutzung durch Abgase von Fabriken und Verkehr wird durch saisonale landwirtschaftliche Brände noch verstärkt.
Bild: ANUSHREE FADNAVIS/REUTERS
Dichter Dunst
Geisterhaft: Im dichten Dunst ist dieser Passant kaum zu erkennen. 32 Millionen Menschen in der zweitgrößten Stadt der Erde leiden unter einer Feinstaubbelastung, die den Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation um das Hundertfache übersteigt. Viele Menschen klagen vor allem in Herbst und Winter, wenn der Smog besonders dicht über Delhi hängt, über Atembeschwerden, Husten oder Kopfschmerzen.
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Gefährliche Luft
Anfang November waren Notmaßnahmen angeordnet worden, die der Luftverschmutzung entgegenwirken und die Bevölkerung schützen sollten. Neben Schulschließungen gehörte dazu etwa der vorübergehende Stopp von Bauarbeiten, die Staub verursachen. Erst am Montag öffneten die Schulen wieder; der Luftqualitätsindex liegt jedoch immer noch im gefährlichen Bereich.
Bild: MONEY SHARMA/AFP
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Wochenlang, sagt die 37-Jährige, hätten sie unter miserablen Bedingungen auf einer Autobahn hausen müssen, mitten im größten Ballungsraum Indiens. Ihre Hütte und die meisten ihrer Habseligkeiten hatten die Fluten weggespült. Weil das Hochwasser außerdem ihre Ernte vernichtet habe, hätten sie monatelang kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Umweltexperten machen die mangelhafte Stadtplanung, aber auch die starken Regenfälle im Norden Indiens für die Katastrophe verantwortlich. Überschwemmungen sind in Zeiten des Monsun, der sommerlichen Regenzeit, keine Seltenheit. Doch Wissenschaftler gehen davon aus, dass steigende Durchschnittstemperaturen auf der Erde das Ausmaß verstärken.
Devi hat vom Phänomen des Klimawandels, der ihr Leben auf so katastrophale Weise verändert haben könnte, noch nie gehört. Und es wird keinen Einfluss darauf haben, wem sie bei den laufenden Parlamentswahlen ihre Stimme gibt. Doch damit ist sie nicht allein. Der Klimawandel spielt im indischen Wahlkampf kaum eine Rolle.
Warum spricht niemand über den Klimawandel?
Es sei nicht so, dass man in Indien nicht über den Klimawandel diskutiere, meinen Experten, es werde nur anders darüber gesprochen: "In Indien wird Klimaschutzpolitik nicht unbedingt unter der Überschrift 'Klimawandel' diskutiert, aber das heißt nicht, dass der Klimawandel nicht auch die Politik in Indien beeinflusst", versichert Aditya Valiathan Pillai vom Sustainable Futures Collaborative, einer unabhängigen Organisation mit Sitz in Neu Delhi, die zum Klimawandel forscht.
Indien: Die größte Wahl der Welt
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Klimaschutzpolitik beschäftige sich meist damit, Wege zu finden, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen, erläutert Pillai. Deutlich werde das zum Beispiel bei den Themen Bewässerung und Zugang zu Trinkwasser, bei der Forderung, Bauern Kreditschulden zu erlassen, und so weiter. "In vielen Parteiprogrammen werden Versprechungen gemacht, die mit dem Klima im Zusammenhang stehen, sie werden aber nicht unter dem Punkt Klimawandel aufgeführt."
Was bedeutet der Klimawandel für indische Wähler?
Aarti Khosla ist Gründerin von Climate Trends, einer indischen Initiative für forschungsgestützte Beratung. Sie bestätigt, dass Ursachen und Gegenmaßnahmen des Klimawandels für viele Menschen nicht im Vordergrund stünden. Wichtig sei die Erderwärmung nur, wenn sie andere Probleme verschärfe: "Wir denken noch immer, dass Klimaschutzpolitik nur gemacht wird, wenn es eine grüne Partei gibt wie im Westen oder wenn der Begriff 'Klimawandel' in den Parteiprogrammen erwähnt wird", führt Khosla aus. In Indien sei dies jedoch nicht absehbar.
Nur neun Prozent der Menschen in Indien sagen von sich, dass sie "viel" über die globale Erwärmung wüssten, so eine Studie aus dem Jahr 2022. Doch wenn sie eine kurze Definition hören, sind 84 Prozent überzeugt, dass sie stattfindet, und 81 Prozent sind darüber "sehr besorgt". Khosla glaubt: "Die Menschen sind sich dessen sehr viel bewusster, als wir ihnen zugestehen."
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Wie reagieren Politiker auf den Klimawandel?
Selbst im indischen Parlament findet der Klimawandel kaum Beachtung. Laut einer anderen Studie aus dem Jahr 2022 befassten sich zwischen 1999 und 2019 nur 0,3 Prozent der von Politikern gestellten Fragen mit dem Klimawandel.
"Reden zum Klimawandel finden in der Bevölkerung nur Resonanz, wenn es ein aktuelles Problem gibt", sagt Rajeev Gowda, der in Bengaluru für die Kongresspartei kandidiert. Die südindische Stadt leidet unter einer Wasserkrise.
Naturkatastrophen ohne Ende, dieses Mal ein Zyklon in Südindien
Der Wirbelsturm Mischaung trifft auf die zwei Bundesstaaten Andhra Pradesh und Tamil Nadu in Südindien, mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern.
Bild: R. SATISH BABU/AFP/Getty Images
Mehrere Tote durch Überschwemmungen und schweren Regen
Laut indischen Medienberichten gibt es bereits 19 Tote, darunter ein Kind, das durch den Einsturz einer Mauer ums Leben kam. Hier kämpft sich ein Krankenwagen durch eine überschwemmte Straße.
Bild: R. SATISH BABU/AFP/Getty Images
Mit dem Kajak durch die Straßen
Extreme Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Hier nutzt ein junger Mann ein Kajak, um durch die Straßen der südindischen Metropole Chennai zu fahren.
Bild: R. SATISH BABU/AFP/Getty Images
Ältere sind bei Katastrophen besonders betroffen
In der Millionenstadt Chennai kämpft sich ein älterer Mann durch die schwer überfluteten Straßen mit ein kaputten Schirm, der das Unwetter nicht ausgehalten hat.
Bild: R. SATISH BABU/AFP/Getty Images
Wasser überall, aber kaum ein Tropfen zu trinken
Die schweren Überschwemmungen führten zu zweitägigen Stromausfällen und Wasserknappheit. Zwei Männer sind zu einem Wassertanklaster gewatet, um etwas Trinkwasser zu bekommen.
Bild: ASSOCIATED PRESS/picture alliance
Einsatzkräfte gehen Risiken ein
Die Behörden mobilisierten Einsatzkräfte, wie die National Disaster Response Force, um Menschen zu retten. Die Lage wurde kritisch, als ein Krokodil durch eine Straße schwamm.
Bild: R. SATISH BABU/AFP/Getty Images
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"Wir verprellen eine Menge Leute, wenn wir sagen, es geht um Klimawandel", sagt Khosla. "Wenn wir den Klimawandel in Verbindung mit besser greifbaren Ereignissen des täglichen Lebens ansprechen, erreichen wir die Menschen damit besser." Die jüngsten Überflutungen könnten ein solches Ereignis sein.