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GesellschaftIndien

Indien: Mit eigenen Medien raus aus der Kastenblindheit

Adil Bhat
4. Juli 2023

Rund 300 Millionen Inder gehören als Dalit zur untersten Gruppe der Gesellschaft. Sie sind in den Mainstream-Medien unterrepräsentiert. Jetzt erheben sie auf eigenen Nachrichtenplattformen ihre Stimme.

Journalistin Meena Kotwal
Dalit-Journalistin Meena KotwalBild: Adil Bhat

Meena Kotwal entstammt einer Arbeiterfamilie und ist in einem Dalit-Viertel in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi aufgewachsen. Sie ist Dalit und gehört damit zu einer Gruppe, die im jahrtausendealten hinduistischen Kastensystem auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie steht. Die rund 300 Millionen Dalits werden von denjenigen, die sich so genannter höherer Kasten zuordnen, abwertend als "Unberührbare" bezeichnet. Obwohl die Verfassung der Republik Indien jegliche Diskriminierung aufgrund von Kasten verbietet, sind Dalits nach wie vor vielfacher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt.

Meena Kotwa ist Journalistin. Sie arbeitete zuerst für verschiedene Mainstream-Medien in Indien. Doch ihre Erfahrungen als junge Medienschaffende hätten ihr bewusst gemacht, "dass meine Identität als Dalit in den indischen Mainstream-Redaktionen weitgehend ignoriert wurde und dass eine weit verbreitete Kastenblindheit herrschte", sagt sie im Gespräch mit der DW. "Diese veranlasste mich dazu, meine eigene Medienplattform zu gründen, die die Geschichten von den Randgruppen Indiens erzählt".

So startete Meena Kotwal 2019 die Online-Nachrichtenplattform namens "Mooknayak", was "Anführer der Stimmlosen" bedeutet. Gemeinsam mit 14 Journalisten aus verschiedenen sozialen Gruppen Indiens recherchiert Kotwal Geschichten von Dalits und anderen Randgruppen, über die in den Mainstream-Medien kaum berichtet wird. Für den Namen der Plattform ließen sie sich vom Wirken Bhimrao Ramji Ambedkars (1891- 1956), selbst ein Kämpfer gegen das Kastensystem und Architekt der indischen Verfassung, inspirieren. Die Nachrichtenredaktion finanziert sich durch Spenden, die sie über Crowdfunding erhält. Kürzlich erhielt sie auch eine Finanzierung durch die Google News Initiative.

Schulmädchen und ihre Lehrerin ehren Bhimrao Ramji Ambedkar, Kämpfer gegen das Kastensystem und Architekt der indischen Verfassung.Bild: Rajesh Sachar/Pacific Press/picture alliance

Um eine größere Reichweite zu erzielen, veröffentlicht die Nachrichtenplattform Artikel sowohl in Hindi als auch in Englisch. Zudem werden Videos für ihren YouTube-Kanal produziert, um über Themen zu berichten, die von anderen nicht behandelt werden, so über soziale Ungerechtigkeiten und auch über Gräueltaten, denen Dalits ausgesetzt sind. Meena Kotwal betreibt ihre Nachrichtenplattform von Pushpa Bhawan aus, dem Dalit-Viertel in Delhi, in dem sie aufgewachsen ist.

Indiens kastenbasierte Nachrichtenredaktionen

Ein im Oktober 2022 von Oxfam und dem indischen digitalen Nachrichtenportal "Newslaundry" veröffentlichter Bericht zeigt die eklatante Unterrepräsentation von Dalits in indischen Nachrichtenredaktionen auf. Dem Bericht zufolge gehörten im Jahr 2019 fast 88 % der Journalisten in Indien der oberen Kaste an oder gaben als Kategorie "allgemein" an.

Von den 121 untersuchten Führungspositionen in den Redaktionen, darunter Chefredakteure, leitende Redakteure, Büroleiter und Input/Output-Redakteure, wurden 106 von Journalisten der oberen Kaste besetzt, nur fünf von Angehörigen anderer Kasten und sechs von Journalisten aus Minderheitengemeinschaften. Die Identität der übrigen vier Personen war nicht bekannt. 

Ashoka Das kennt diese Situation. Seine Erfahrungen als Dalit-Journalist in den von der oberen Kaste dominierten indischen Nachrichtenredaktionen verdeutlichen, wie sehr die Identität die Karriere behindern kann. "Du steigst nicht über einen bestimmten Rang hinaus. Deine Beförderung wird verzögert. Und das liegt eindeutig an deiner Kastenidentität", erklärte er und fügt hinzu: "Das Gatekeeping der oberen Kaste ist in indischen Institutionen, einschließlich der Justiz und der Wissenschaft, allgegenwärtig. Die Medien sind da keine Ausnahme."

Ashok Das gründete ein Monatsmagazin, um über Dalit-Themen zu berichten Bild: Suresh K Pandey

Im Jahr 2012 gründete Ashoka Das das Monatsmagazin und Nachrichtenportal "Dalit Dastak", das darauf abzielt, das Bewusstsein über die Dalit-Gesellschaft durch Nachrichten und Massenmedien zu verbessern. "Dalit Dastak" greift Themen auf, die in den Mainstream-Medien kaum vorkommen. Seitdem hat die Plattform an Popularität gewonnen, steht aber vor anhaltenden Herausforderungen wie der Suche nach Finanzmitteln und der Aufrechterhaltung eines stabilen Teams.

Neben diesen alternativen Dalit-Medien gibt es weitere Medieninitiativen wie "Round Table India" und "The Dalit Voice", die ausführlich über Dalit-Themen berichten, um das Bewusstsein der indischen Bürger zu schärfen.

"Der Aufstieg der Dalit-Medien als Alternative ist sehr wichtig und entscheiden dafür, das dominante Narrativ der Mainstream-Medien herauszufordern, die die Berichterstattung über Dalit-Gräueltaten und Dalit-Perspektiven in ihren Berichten stets unterschlagen", sagte Harish Wankhede im Gespräch mit der DW. Er ist Professor an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi und seine Forschung konzentriert sich auf die Darstellung der Kasten in den indischen Medien. Wankhede findet die Berichterstattung über Dalit-Themen in den Mainstream-Medien "beunruhigend" und fügt hinzu: "Um mit den Mainstream-Medien zu konkurrieren, die von Geschäftsleuten aus der oberen Kaste betrieben werden, haben es die Dalit-Medien schwer und haben einen langen Weg vor sich."

Zurück in Pushpa Bhawan sitzt Meena Kotwal an ihrem Schreibtisch und überlegt, wie sie die Finanzierung vor Beginn des nächsten Monats sicherstellen kann. Sie hofft, dass die Crowdfunding-Kampagne Erfolg haben wird. Ihr Team ist motiviert und bereit.

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