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GesellschaftIndien

Indien: Sucht nach Online-Wetten und Fantasy-Gaming

Murali Krishnan
31. März 2025

Wett-Apps und Fantasy-Gaming werden in Indien immer beliebter. Viele Nutzer haben die Grenze zur Sucht überschritten. Der Staat ergreift nun erste gesetzliche Maßnahmen.

Ein Smartphone mit online-Glücksspiele
Digitale Glücksspiele: gerade für junge Menschen riskantBild: Khalid Khan/DW

Seit zwei Jahren leidet Pradeep Kumar an Spielsucht. Der 24 Jahre alte Postgraduierte aus der Stadt Kanpur im Norden des Landes kommt von den digitalen Wett-Apps nicht los. Um seine Sucht zu finanzieren, nimmt er regelmäßig Kredite auf.

"Einmal verlor er über 125.000 indische Rupien (1.350 Euro) in einer Cricket-App", sagt seine Mutter Ranjani der DW. "Das hätte ihn fast ruinierte. Wir gehen mit ihm zur Therapie, aber er fällt immer wieder in sein Suchtverhalten zurück. Denn diese Apps locken mit schnellem Geld."

Kumars Geschichte ist keine Seltenheit. In Indien kursieren viele Geschichten von Menschen, die erhebliche Summen verlieren und damit ihre Familien finanziell stark belasten. In der Stadt Nizamabad im Zentrum des Landes nahm sich vergangenes Jahr eine dreiköpfige Familie das Leben, weil sie einen Kredit von drei Millionen Rupien (32.400 Euro) nicht zurückzahlen konnte. Die Schulden hatte der Sohn durch Online-Glücksspiel angehäuft.

Eine florierende Branche

In Indien nehmen mehr als 140 Millionen Nutzerinnen und Nutzer regelmäßig an Online-Glücksspielen und -Wetten teil. Bei Großveranstaltungen wie dem Cricket-Turnier der Indian Premier League (IPL) steigt diese Zahl gar auf 370 Millionen Personen.

Neben den Online-Wett-Apps boomt ein weiteres digitales Unterhaltungsgenre: das Fantasy-Gaming. Apps wie etwa "Dream11", "My11Circle" und "MPL" ermöglichen es, virtuelle Teams aus echten Spielern zu bilden, die dann gemeinsam Punkte sammeln.

Einem Bericht des Thinktanks Think Change Forum aus dem Jahr 2023 zufolge zählt das gesamte Segment mehr als 180 Millionen Nutzer und umfasst mehr als 300 Plattformen. Cricket macht 85 Prozent des Umsatzes aus, gefolgt von Fußball mit mehr als sechs Prozent.

Beflügelt haben den Markt demnach der Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Smartphone-Nutzung. Populär sind die Apps auch, weil immer wieder Prominente und Social-Media-Influencer Werbung für sie machen. 

"Solche Apps können die eigene Identität beeinflussen, da man ständig mit Wetten beschäftigt ist", sagt der Psychiater Achal Bhagat aus Neu-Delhi der DW. "Das wirkt sich auf die finanzielle Situation und auch auf Beziehungen aus. Nutzt jemand Wett-Apps in einem Maß, dass sein Alltag beeinträchtigt wird, ist es Zeit, sich Hilfe zu suchen."

Beliebt auch bei Sportwetten: das indische CricketBild: Debajyoti Chakraborty/NurPhoto/picture alliance

"Entwicklung zur Epidemie"

Die Neuropsychiaterin Anjali Nagpal hat zur Spielsucht geforscht. Diese entwickele sich in Indien zu einer regelrechten Epidemie, sagt sie. "Wenn Prominente in den sozialen Medien für die Apps werben, sehen junge Menschen darin nicht so sehr eine Gefahr, sondern eher eine modische Freizeitaktivität. Das erzeugt ein falsches Sicherheitsgefühl. Und wenn die jungen Leute dann sehen, wie sich ihre Vorbilder für die Apps einsetzen, denken sie: So schlimm kann es gar nicht sein", sagt Nagpal im DW-Interview. 

In die Falle tappten die Nutzer nach den ersten Siegen, sagt Nagpal. Diese lösten einen Dopaminschub aus und bescherten den Spielern ein Erfolgserlebnis. "Aber je größer die Belohnungen werden, desto tiefer werden die Spieler in das System hineingezogen, oft ohne es zu merken. Selbst nach einigen Niederlagen hält die Erinnerung an frühere Siege sie süchtig und setzt einen endlosen Kreislauf in Gang. Die Folgen sind hohe finanzielle Verluste, Schulden, familiärer Druck und ständige Enttäuschung. All dies wirkt sich stark auf die psychische Gesundheit aus. Dem muss mit strengeren Gesetzen schnell und konsequent begegnet werden."

Schmiede für online-Glücksspiele: Zypern. Blick in die Altstadt von Nikosia Bild: Kirill Makarov/PantherMedia/IMAGO

Juristische Gegenmaßnahmen

Um illegale Wett-Apps einzudämmen, hat die indische Regierung bereits Maßnahmen ergriffen. So ist das das dem Finanzministerium angehörende Directorate General of Goods and Servic Tax Intelligence (DGGI) dazu übergegangen, die Anbieter stärker zu kontrollieren.

Das DGGI konzentriert sich auf Unternehmen, die in Geldwäsche verwickelt sind, ohne Lizenz operieren oder Sicherheitsrisiken bergen. Auf dem Radar stehen rund 700 an Online-Wetten oder -Glücksspielen beteiligte Offshore-Unternehmen. Doch ist es schwierig, deren Geschäfte einzudämmen.

"Viele illegale Wett-Apps werden auf Servern außerhalb Indiens gehostet, oft in Ländern wie Curaçao, Malta oder Zypern, wo Glücksspiel legal oder nur schwach reguliert ist. Die Anzahl illegaler Apps ist überwältigend", sagt ein hochrangiger, auf seiner Anonymität bestehender Beamter der DW.

Dem Think Change Forum zufolge generiert der illegale Sportwettenmarkt allein in Indien jährlich rund 100 Milliarden US-Dollar (930 Milliarden Euro). Um entsprechende Auflagen zu umgehen, tarnen sich einige Wett-Apps als Fantasy-Plattformen. Rechtlich gilt Fantasy-Gaming als Geschicklichkeitsspiel, dessen Ausgang vom Wissen und der Strategie der Spieler abhängt. Wetten hingegen gelten als Glücksspiel und basieren auf einem ungewissen Ereignis.

"E-Sport und Echtgeld-Gaming werden oft in einen Topf geworfen", sagt Rushindra Sinha, Mitbegründer des Unternehmens Global Esports, der DW. "Tatsächlich liegen zwischen ihnen Welten. Beim E-Sport geht es um Geschick, Strategie und Wettbewerb. Die Spieler trainieren stundenlang, und das Ergebnis hängt ganz von ihrer Leistung ab. Im Kern geht es um Unterhaltung, Gemeinschaft und Meisterschaft."

Potentiell suchterzeugend: digitale GlücksspieleBild: Iolanda Paz/DW

"Ein schmaler Grad"

Es sei besorgniserregend, wie einige Plattformen die Popularität und Glaubwürdigkeit von Videospielen für ihr Marketing ausnutzten, sagt Sinha.  "Wären sie genauer gekennzeichnet, würden sie meiner Ansicht nach einer ganz anderen Aufsicht und Regulierung unterliegen." Viele Spielestudios bauten Casino-ähnliche Funktionen in ihre Spiele ein, um kleine Kinder anzusprechen. Auch das sei schädlich.

"Zwischen Wetten und solchen Apps liegt ein sehr schmaler Grad, insbesondere dann, wenn sie sich an jüngere Zielgruppen richten, die sich der Risiken gar nicht bewusst sind", sagt Sinha. "Klarere Definitionen und bessere Sicherheitsvorkehrungen sind wichtig - nicht um Innovationen einzuschränken, sondern um die Nutzer zu schützen und sicherzustellen, dass wir ehrlich darüber sprechen, was diese Plattformen wirklich sind."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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