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PolitikAsien

Diplomatische Krise zwischen Indien und Kanada

Murali Krishnan
16. Oktober 2024

Die Beziehungen zwischen Indien und Kanada haben einen Tiefpunkt erreicht. Spitzendiplomaten wurden ausgewiesen. Indische Experten erwarten eine weitere Verschlechterung der Lage.

Indien Neu Delhi | Justin Trudeau und Narendra Modi
Kanadas Premier Justin Trudeau (l.) und sein indischer Amtskollege Narendra Modi trafen sich im September 2023 während des G20-Gipfels in Neu-Delhi.Bild: Sean Kilpatrick/AP/picture alliance

Die Ermordung des Sikh-Kanadiers Hardeep Singh Nijjar in British Columbia vor mehr als einem Jahr hat einen tiefen Konflikt zwischen Kanada und Indien entfacht. Die bilateralen Beziehungen haben nun einen neuen Tiefpunkt erreicht, nachdem beide Länder am Montag die Spitzendiplomaten des je anderen Staates ausgewiesen haben.

Die Entwicklungen deuten auf einen nahenden Abbruch der Beziehungen hin, sagten außenpolitische Experten und ehemalige Diplomaten in Indien gegenüber der DW. C. Raja Mohan, Gastprofessor am Institut für Südasienstudien in Singapur, sagte, die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern würden "noch schlimmer werden". Seiner Ansicht nach werde es "lange dauern, bis die Beziehungen wieder in Gang kommen".

Was ist passiert?

Im Zentrum des Streits steht Hardeep Singh Nijjar, ein bekannter Befürworter der Schaffung eines eigenen Heimatstaates für die Sikhs, bekannt als Khalistan, der von Indien abgetrennt werden soll. Die Sikhs sind eine religiöse Minderheit, der rund zwei Prozent der indischen Bevölkerung angehören und deren spirituelles Kernland der Bundesstaat Punjab ist. Die indische Regierung betrachtet Nijjar als Terroristen und beschuldigte ihn, Anschläge und Morde in Indien unterstützt zu haben.

Im Juni 2023 wurde Nijjar von zwei maskierten Angreifern erschossen, als er einen Sikh-Tempel in Surrey, British Columbia, verließ.

Die kanadischen Behörden, darunter Premierminister Justin Trudeau, beschuldigten Agenten mit Verbindungen zur indischen Regierung, an der Ermordung beteiligt gewesen zu sein. Neu-Delhi wies diese Vorwürfe als "absurd" und "lächerlich" zurück.

Guru Nanak Sikh Gurdwara Tempel in Kanada nach dem Mord an dem Sikh Hardeep Singh NijjarBild: Chris Helgren/REUTERS

Im vergangenen Jahr eskalierte der Streit, als Kanada einen indischen Diplomaten auswies. Als Reaktion verwies Indien einen kanadischen Diplomaten des Landes und stellte die konsularischen Dienste für Kanadier für fast zwei Monate ein.

Im Mai 2024 verschärfte sich die Lage erneut, als die kanadische Polizei erklärte, sie habe drei indische Staatsbürger festgenommen, denen die Beteiligung an Nijjars Ermordung vorgeworfen werde. Es werde dabei auch untersucht, ob es Verbindungen zur indischen Regierung gebe.

Am Montag erklärte Kanada, Indiens oberster Diplomat im Land sei eine "Person von (polizeilichem) Interesse" in dem Fall. Außenministerin Melanie Joly brachte fünf weitere ausgewiesene indische Beamte mit Nijjars Ermordung in Verbindung und sagte, Kanada habe "ausreichend klare und konkrete Beweise gesammelt", die sechs Personen als "Personen von (polizeilichem) Interesse" im Fall Nijjar identifizieren.

Die Royal Canadian Mounted Police erklärte unterdessen, sie habe Beweise für die Beteiligung indischer Agenten an "schweren kriminellen Aktivitäten in Kanada" gefunden, darunter Verbindungen zu "Morden und Gewalttaten" sowie Eingriffen in die demokratischen Prozesse Kanadas.

Indische Diaspora "am stärksten betroffen"

Indien hat die Anschuldigungen Kanadas scharf zurückgewiesen und erklärt, Ottawa habe "trotz zahlreicher Anfragen" aus Neu-Delhi "nicht den geringsten Beweis" an die indische Regierung weitergegeben. Das indische Außenministerium bezeichnete die Anschuldigungen als "Teil einer gezielten Strategie, Indien aus politischen Gründen zu diffamieren". Neu-Delhi wies vor diesem Hintergrund Kanadas amtierenden Hochkommissar und fünf weitere Diplomaten aus.

Anil Wadhwa, ein ehemaliger Diplomat, machte Kanada und Premierminister Trudeau für die aktuelle Krise verantwortlich. Er sagte: „Ich glaube nicht, dass der Handel stark beeinträchtigt wird. Allerdings werden die Visa-Dienste betroffen sein und auch die Studenten werden die Auswirkungen zu spüren bekommen. Es bleibt zu hoffen, dass die Vernunft siegt."

Amitabh Mattoo, Professor für internationale Beziehungen an der Jawaharlal Nehru University in Delhi, teilt diese Ansicht. Er befürchtet, dass "die größten Leidtragenden" die fast zwei Millionen Menschen umfassende indische Diaspora in Kanada sein werde, die etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung des nordamerikanischen Landes ausmacht. Mattoo forderte die indische und die kanadische Regierung auf, "einen ernsthaften offenen Dialog" zu diesem Thema zu führen.

Trotz der politischen Spannungen, so Raja Mohan, seien die Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen den beiden Seiten bisher nicht beeinträchtigt worden. Er forderte beide Seiten auf, "ihre Maßnahmen so zu steuern", dass es nicht zu "ausgewachsenen wirtschaftlichen Folgen" komme.

Grund der Spannung

Der Streit hat die separatistische Sikh-Bewegung erneut ins Rampenlicht gerückt, die einst Indien zu spalten drohte und in den 1980er und 1990er Jahren zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte, die Zehntausende von Menschen das Leben kosteten. Neu-Delhi ging hart gegen separatistische Gruppen vor, um den Konflikt zu beenden. Einige in Indien befürchten nun eine Wiederbelebung des militanten Sikh-Separatismus.

Versammlung vor dem Goldenen Tempel in Punjab nach der Ermordung von Hardeep Singh NijjarBild: REUTERS

Kanada ist die Heimat der weltweit größten Sikh-Diaspora mit etwa 800.000 Menschen. Das sind etwa zwei Prozent der Bevölkerung. Neu-Delhi hat sich oft bei der kanadischen Regierung über die Aktivitäten von Sikh-Hardlinern in der Diaspora beschwert, die versuchten, den Aufstand im nordindischen Punjab wiederzubeleben. Dieses Thema sorgte seit langem für Spannungen in den bilateralen Beziehungen zwischen Indien und Kanada.

Im vergangenen November behaupteten US-Staatsanwälte außerdem, ein indischer Beamter stecke hinter einem Mordkomplott gegen einen Sikh-Aktivisten in New York. Neu-Delhis Reaktion auf diesen Fall war jedoch deutlich gemäßigter als auf die Anschuldigungen aus Kanada.

Aus innenpolitischen Gründen?

Ehemalige indische Diplomaten, die mit der DW sprachen, sagten, die Vorwürfe der kanadischen Regierung könnten innenpolitisch motiviert sein. Ajay Bisaria, ein ehemaliger Hochkommissar in Kanada, bezeichnete die jüngste Eskalation als „unnötige Verschärfung einer bereits angespannten Situation durch die Trudeau-Regierung". Er argumentierte: "Im September 2025 finden in Kanada Wahlen statt. Die Liberalen werden voraussichtlich verlieren, mit oder ohne Trudeau. Dieses Problem wird wahrscheinlich bis dahin bestehen bleiben, da die politischen Beziehungen eingefroren sind und die diplomatische Vertretung auf niedrigem Niveau liegt."

"Die Hoffnung ist, dass die Krise nicht weiter eskaliert und es zu keiner drastischen Maßnahme wie dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen kommt. Indien behandelt das als ein Trudeau-Problem und nicht als ein grundsätzliches Problem mit Kanada", fügte Bisaria hinzu.

Meera Shankar, eine ehemalige indische Botschafterin in den USA, äußert sich ähnlich:  "Es ist bedauerlich, dass Kanadas Innenpolitik ihre potenzielle geopolitische Annäherung an Indien negativ beeinflusst." Sie fügte hinzu, dass Indien der Meinung sei, Kanada habe auf seine Bedenken über extremistische Aktivitäten von Sikh-Hardlinern, die von kanadischem Boden aus gegen Indien agieren, nicht ausreichend reagiert.

Dal Khalsa, eine pro-Khalistan-Organisation, erklärte dagegen, ihre Haltung zu Nijjars Ermordung habe durch die jüngsten kanadischen Anschuldigungen Bestätigung erhalten. "Für die Sikhs des Punjab gab es nie den geringsten Zweifel daran, dass die indische Regierung und ihr Auslandsgeheimdienst RAW die Hauptverdächtigen waren", sagte Kanwarpal Singh, ein Sprecher der Dal Khalsa, in einer Erklärung. "Es ist an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft Indien für die transnationale Unterdrückung zur Rechenschaft zieht", fügte er hinzu.

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein

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