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GesellschaftIndien

Indien: Wie das Kastensystem das akademische Leben prägt

3. April 2025

Indiens führende Technologieinstitute sind für hochwertige Studiengänge bekannt. Das Kastensystem verschafft Angehörigen höherer sozialer Schichten dabei Vorteile.

Indische Studentinnen bei der Vorbereitung auf das anspruchsvolle Examen der Indian Institutes of Technology
Indische Studentinnen bei der Vorbereitung auf das anspruchsvolle Examen der Indian Institutes of TechnologyBild: Saurabh Das/AP Photo/picture alliance

Als Amit (Name von der Redaktion geändert) am Indian Institute of Technology in Delhi angenommen wurde, war er glücklich. "Ich war froh, an einer so elitären Einrichtung zu studieren und deren Möglichkeiten zu nutzen", berichtet der junge Mann im DW-Gespräch.

Mit anspruchsvollen Aufnahmeprüfungen und lukrativen Jobangeboten für Absolventen gehören die Indian Institutes of Technology (IIT) zu den attraktivsten Hochschulen Indiens.

Die IIT bilden ein Netzwerk von 23 Universitäten, die allesamt für ihre Exzellenz in Forschung, Wissenschaft und Technologie bekannt sind. Wer zugelassen werden will, muss hohe Hürden überwinden: Innerhalb des gesamten Institutsnetzwerks liegt die Quote zwischen einem halben und zweieinhalb Prozent.

"Womit ich nicht gerechnet hatte, war das tief verwurzelte Kastendenken auf dem Campus", sagt Amit. "Im ersten Jahr hatte ich ständig das Gefühl, nicht dazuzugehören. Ich beschloss zwar, durchzuhalten. Aber leicht war es nicht."

Wie andere südasiatische Gesellschaften hat auch Indien ein ausgeprägtes Kastensystem, das den sozialen Status einer Person bestimmt. Personen, die als Angehörige "niederer" Kasten gelten, sind systematischer Diskriminierung ausgesetzt.

Um dem entgegenzuwirken, schreibt die indische Verfassung Maßnahmen zur Förderung von Minderheiten vor, insbesondere für Angehörige der untersten Ränge der Kastenhierarchie. 

"Als meine Kommilitonen erfuhren, dass ich zu einer geförderten Minderheit gehöre, verhielten sie sich mir gegenüber anders", berichtet Amir. "Die Studenten aus den höheren Kasten hatten ihre eigenen Cliquen. Ich fühlte mich ausgeschlossen und isoliert. Die Leute machten beiläufig Bemerkungen darüber, dass es bessere Kandidaten gäbe als mich. Denn ich sei nur aufgrund meiner Kaste aufgenommen worden."

Kastendiskriminierung auf dem Campus

Amit ist mit seinen Erfahrungen kein Einzelfall. Eine Studie des IIT Delhi aus dem Jahr 2019 - die derzeit aktuellste - ergab, dass 75 Prozent der Studierenden aus historisch benachteiligten Kastengruppen durch abfällige Bemerkungen von Studenten höherer Kasten diskriminiert wurden.

Ebenfalls ist der Studie zu entnehmen, dass rund 59 Prozent der Studierenden der "allgemeinen Kategorie" - der Begriff bezeichnet die historisch privilegierten Kasten - solch diskriminierenden Äußerungen entweder zustimmen oder gleichgültig gegenüberstehen.

Staatlich finanzierte Hochschulen in Indien reservieren im Rahmen ihrer Fördermaßnahmen einen bestimmten Prozentsatz ihrer Studienplätze für historisch benachteiligte Gruppen. Viele Studierende und Lehrende aus den oberen Kasten und der allgemeinen Kategorie sind jedoch der Ansicht, die Bestimmung untergrabe das Leistungsprinzip.

"IITs sind hochwertige Institutionen, an die es Angehörige der oberen Kasten und der Mittelschicht zieht. Sie betrachten die dortigen Plätze als ihr Monopol", sagt Surinder Singh Jodhka, Soziologe an der Jawaharlal Nehru University, der DW. Bis vor einiger Zeit, als das Quotensystem noch nicht umgesetzt war, war das auch tatsächlich der Fall."

Die Sicht auf die Quoten unterscheide sich je nach sozialer Zugehörigkeit deutlich, sagt Jodhka. Studierende aus unterprivilegierten Gruppen sähen sie als begründet an, Angehörige der privilegierten Kasten sähen die Zulassung hingegen als persönliches Verdienst. 

Bescheidenste Verhältnisse: Unterkunft einer Familie aus der untersten, der Dalit-KasteBild: DW

Subtile Diskriminierung

Der Kastenstatus lasse sich oft bereits den Nachnamen der Studierenden entnehmen, sagt ein Student des IIT Bombay, der ebenfalls anonym bleiben will. Viele indische Nachnamen würden mit einer bestimmten Kaste in Verbindung gebracht.

"Unter den Studierenden existiert eine an der Kastenzugehörigkeit ausgerichtete Segregation. Selbst wenn sich manche Kommilitonen aus höheren Kasten freundlich gegenüber Studierenden der unteren Kasten verhalten, lassen sie ihre Arroganz dennoch beiläufig durchscheinen. So geben sie uns zu verstehen, dass sie sehr wohl wissen, dass wir zu den geschützten Minderheiten gehören. Und in den sozialen Medien teilen sie Beiträge, die sich gegen den akademischen Minderheitenschutz richten", sagt der Student der DW.

"In letzter Zeit gibt es auf dem IIT-Campus Restaurants und Cafés. Diese Orte sind für viele Angehörige der unterprivilegierten Schichten unerschwinglich und tragen zusätzlich zur Segregation bei", fügt er hinzu.

Vielen Studierenden ist noch der Fall von Darshan Solanki in Erinnerung, einem 18-jährigen Erstsemesterstudenten, der sich 2023 das Leben genommen hatte. Seine Familie und Freunde berichteten, in den Tagen vor seinem Tod sei er auf dem Campus starker Diskriminierung aufgrund seiner Kastenzugehörigkeit ausgesetzt gewesen. Ein Bericht der Universität fand dafür jedoch "keine konkreten Beweise".

"Oft wird behauptet, diese Studierenden hätten sich aufgrund des akademischen Drucks oder anderer Probleme das Leben genommen. Die Angehörigen der privilegierten Kasten wollen sich mit unseren Erfahrungen nicht auseinandersetzen, die es so schwer machen, sich auf das Studium zu konzentrieren", sagt Amit.

"Wann immer es auf dem Campus zu einem Selbstmord kommt, versucht die Verwaltung, die Eltern zu beruhigen und zu versichern, sie kümmere sich um alles", sagt Narayana Sukumar, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Delhi, der DW.

"Aber auf dem Campus werden keinerlei Proteste geduldet. Schon der Versuch, diese zu organisieren, nimmt die Verwaltung zum Anlass, die Studierenden zu sanktionieren. Der Protest wird auf diese Weise zum Schweigen gebracht", sagt Sukumar, Autor eines Buchs über Kastendiskriminierung und -ausgrenzung an indischen Universitäten.

Protest gegen intransparente Ernennung von Lehrkräften in West-BengalenBild: Subrata Goswami/DW

Reaktion der Universitäten

Um Kastendiskriminierung zu bekämpfen, haben mehrere IITs in den vergangenen Jahren sogenannte Scheduled Caste/Scheduled Tribe (SC/ST)-Einheiten eingerichtet. Diese Gremien sollen sich mit Beschwerden von Studierenden befassen und sicherstellen, dass die Richtlinien zum Schutz der Unterprivilegierten bei Zulassung und Einstellung korrekt umgesetzt werden.

Einige Institute, so etwa das IIT Bombay, sind sogar noch weiter gegangen: Sie haben Kurse zur Aufklärung über das Kastensystem eingeführt. Fragebögen sollen zudem helfen, das Problem der Diskriminierung auf dem Campus besser zu verstehen.

Das indische Bildungsministerium hatte staatlich finanzierte Universitäten, einschließlich der IITs, angewiesen, alle für die Angehörigen der unteren Kasten reservierten Lehrkräftestellen bis September 2022 zu besetzen. Daten aus einem der Studierendenvertretung Ambedkar Periyar Phule Study Circle (APPSC) am IIT Bombay vorliegenden Informationsdokument zeigen jedoch, dass 14 Fachbereiche des IIT Delhi und acht des IIT Bombay bis 2023 noch keine Lehrkräfte aus dem Kreis der geschützten Minderheiten angestellt hatten.

Daraufhin erklärte der Direktor des IIT Bombay, Shireesh Kedare, das Institut bemühe sich, hochqualifizierte Kandidaten einzustellen. Auf diese Positionen würden sich aber häufig Kandidaten aus der allgemeinen Kategorie bewerben - statt aus der geschützten.

"Eine vielfältige Fakultät ist hilfreich", sagt Narayana Sukumar. Der Wandel muss jedoch auch an der Spitze stattfinden. Es müssen sich mehr IIT-Direktoren der Kastenproblematik bewusst sein und proaktiv handeln. Die SC/ST-Einheit soll natürlich vor allem für die Studierenden eintreten. Zugleich nützt sie aber auch der Universität."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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