1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Indien: Wird Modi Wirtschaftsreformen durchsetzen können?

5. Juni 2024

Der indische Premierminister Narendra Modi wird wohl im Amt bleiben. Allerdings mit einer knappen Parlamentsmehrheit. Das könnte die Durchsetzung wichtiger Wirtschaftsreformen erschweren.

Indiens Premierminister Narendra Modi
Kein Erdrutschsieg, aber Narendra Modi wird wohl trotzdem im Amt bleibenBild: Hindustan Times/IMAGO

Am Dienstag hat sich Indiens Premierminister Narendra Modi zum Sieger der Parlamentswahl erklärt. Das ist das Ergebnis der sechswöchigen Wahl in Indien, der größten Wahl der Welt. Allerdings erreichte die Nationale Demokratische Allianz (NDA) unter der Führung von Modis hindu-nationalistischer Bharatiya Janata Party (BJP) nur eine knappe Parlamentsmehrheit. 

Nach Auszählung nahezu aller Stimmen liegt die NDA bei 290 der 543 Sitze in der Lok Sabha, dem Unterhaus des indischen Parlaments. Vorhersagen waren von einem Erdrutschsieg ausgegangen.

Die BJP selbst verfehlte die absolute Mehrheit. Das bedeutet, dass die Partei wahrscheinlich auf Koalitionspartner angewiesen sein wird, um an der Macht zu bleiben, anders als in den letzten beiden Amtszeiten.

Indiens Weg an die Spitze

05:26

This browser does not support the video element.

Indien will globales Produktionszentrum werden

Unternehmer und Investoren erwarten von der neuen Modi-Regierung politische Stabilität und politische Kontinuität im weltweit bevölkerungsreichsten Land. Indiens Wirtschaftsleistung wuchs im März im Jahresvergleich um über acht Prozent und damit am stärksten unter den großen Volkswirtschaften der Welt. Dazu haben eine robuste Nachfrage und staatliche Infrastrukturausgaben beigetragen.

Dadurch war die Stimmung in Bezug auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung positiv, trotz Problemen wie der chronischen Jugendarbeitslosigkeit. Die wiegt umso schwerer, da in Indien schätzungsweise 65 Prozent der Menschen unter 35 Jahre alt sind. Um das Wachstum anzukurbeln und Arbeitsplätze für die Millionen von Menschen zu schaffen, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt strömen, will Modis Regierung Indien zu einem globalen Produktionszentrum machen.

Kann Modi Indiens Wirtschaftswunder aufrechterhalten?

02:41

This browser does not support the video element.

In den letzten fünf Jahren hat Neu Delhi ausländische Tech-Giganten wie Apple dazu gebracht, in Indien Produktionsstätten zu errichten. Begünstigt wurde das, weil viele multinationale Unternehmen versuchen, aufgrund der wachsenden geopolitischen Spannungen zwischen Peking und dem Westen ihre Lieferketten über China hinaus zu diversifizieren.

"Indien wird zu Recht als der führende Kandidat bei der China+1-Strategie angesehen", so Amit Kumar, Forscher an der TakshashilaInstitution in Bengaluru. Als "China+1" werden Versuche ausländischer Firmen bezeichnet, zusätzlich zu ihrer Produktion in China auch in einem anderen Land Kapazitäten aufzubauen.

Indien stehe im Wettbewerb mit Ländern wie Vietnam, Thailand, Malaysia und der ASEAN insgesamt. Auch Mexiko sei ein Konkurrent. Indien sei aber eine viel sicherere Wette als die anderen, so Kumar zur DW. Dabei spiele auch das wachsende geopolitische Gewicht Indiens und der riesige Verbrauchermarkt eine Rolle.

Mehr ausländische Investitionen

In den letzten zehn Jahren hat die Regierung Modi enorme Summen in die Verbesserung der Infrastruktur gepumpt, unter anderem in den Bau von Straßen, Eisenbahnen und Häfen. Außerdem hat sie sich bemüht, ausländische Investitionen anzuziehen und die Herstellung beispielsweise von Produkten mit hochwertiger Elektronik anzukurbeln.

"Indien ist als Drehscheibe für ausländische Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen aus den USA, der EU, Asien und dem Nahen Osten immer attraktiver geworden", sagt Rajiv Biswas, Ökonom und Autor des Buches "Asian Megatrends", gegenüber DW. Das verdanke Indien seiner Demokratie und einem der größten und am schnellsten wachsenden Verbrauchermärkte der Welt.

"Das habe zu einer Verdoppelung der ausländischen Direktinvestitionen in den letzten zehn Jahren geführt, wobei die kumulierten ausländischen Direktinvestitionen in Indien zwischen 2014 und 2023 auf rund 600 Milliarden Dollar (552 Milliarden Euro) angestiegen sind", erläutert er.

Shilan Shah, stellvertretender Chefvolkswirt für Schwellenländer bei Capital Economics, erklärte in einer kürzlich erschienenen Notiz zwar, dass Indien Fortschritte bei der Erhöhung seines Anteils an den weltweiten Exporten hochwertiger Elektronik gemacht habe.

"Aber Indien konnte keine zusätzlichen Marktanteile gewinnen bei den weniger hochwertigen Industriegütern, die in der Regel arbeitsintensiver sind." Das liege auch daran, dass chinesische Unternehmen produktiver geworden seien, weil sie solche Waren kapitalintensiver gemacht hätten, so Shah. "Für indische Firmen ist der Wettbewerb härter geworden", sagt er. Daher müsse die nächste Modi-Regierung das Tempo der Strukturreformen erhöhen.

Günstige Arbeitskräfte, aber viel Bürokratie

In Indien gibt es ein riesiges Angebot an Arbeitskräften und die Löhne in der verarbeitenden Industrie sind im Allgemeinen niedriger als in China. Aber die Vorteile werden zunichte gemacht durch Probleme bei der Produktivität, in der Logistik und den Geschäftsbedingungen, die die Unternehmen behindern würden, so Pravin Krishna, Professor für International Economics and Business an der Johns Hopkins University, gegenüber DW.

In Indien gibt es viele gut ausgebildete und Englisch sprechende ArbeitskräfteBild: Thomas Imo/photothek/picture alliance

"Ironischerweise ist Indien nicht in der Lage gewesen, Investitionen in Bereichen anzuziehen, die von Indiens Überfluss an Arbeitskräften profitieren und für mehr Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe sorgen. Während China den arbeitsintensiven Textil- und Bekleidungssektor zu verlassen scheint, konnte Indien davon nicht profitieren", sagt er.

Kumar, der Takshashila-Forscher, der sich auf die chinesische Wirtschaft und die Beziehungen zwischen Indien und China spezialisiert hat, sagt, die Gründung von Unternehmen sei in Indien "immer noch mühsam" im Vergleich zu China oder anderen Konkurrenten Indiens. Die verschiedenen bürokratischen Genehmigungen, die unter anderem für Land, Arbeit, Strom und Wasser erforderlich seien, würden viel Zeit in Anspruch nehmen.

"Wenn die Regierung an Vorzeigeprojekten beteiligt war, hat dies zu einer zügigen Bearbeitung der Anträge geführt, aber das waren Ausnahmen. Nicht alle ausländischen Unternehmen, die in Indien investieren wollen, haben den gewünschten politischen oder staatlichen Rückhalt", so Kumar.

Proteste gegen Arbeitslosigkeit: Ende 2022 gingen Menschen, die den Eignungstest für Lehrer bestanden haben, auf die Straße, weil sie keine Stelle bekommen habenBild: Satyajit Shaw/DW

Wirtschaftsreformen könnten schwer durchsetzbar sein

Es gab die Hoffnung, Modi würde in seiner dritten Amtszeit unternehmensfreundliche Reformen durchsetzen. Ohne Mehrheit ist die BJP bei solchen Reformen aber auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen.

Zwar wolle die Modi-Regierung ausländische Unternehmen dazu bringen, in Indien zu investieren, um das Land zu einem wichtigen Akteur im verarbeitenden Gewerbe zu machen, sagte Kumar. Aber es gebe auch eine Tendenz zur Autarkie. Die werde noch verstärkt, weil nationale Akteure gegen eine Öffnung lobbyieren.

"Ein Großteil der inländischen Unternehmen ist einfach nicht wettbewerbsfähig". Sie durch protektionistische Maßnahmen zu unterstützen sei teuer, ohne dass es eine Garantie dafür gebe, dass sie sich zu weltweit wettbewerbsfähigen Akteuren entwickeln, fügt Kumar hinzu.

Wie Modis Politik Indien verändert hat

03:47

This browser does not support the video element.

Nach Ansicht einiger Experten wird die indische Regierung in den nächsten fünf Jahren versuchen, die Qualität der Infrastruktur weiter zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes im verarbeitenden Gewerbe zu steigern.

Neu Delhi sollte auch die digitale Transformation beschleunigen, indem es die Integration von industrieller Automatisierung und generativer KI in indische Fertigungsprozesse fördert, meint Rajiv Biswas.

"Eine der größten Herausforderungen für Indien im Hinblick auf die Einbindung in die globalen Lieferketten des verarbeitenden Gewerbes besteht darin, dass das Land nicht Mitglied der beiden größten regionalen Handelsblöcke im asiatisch-pazifischen Raum ist, nämlich des Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) und des Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP)", betont der Wirtschaftswissenschaftler.

Das RCEP ist ein Freihandelsabkommen zwischen den zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten und fünf weiteren Staaten in der Region Asien-Pazifik. Es ist die größte Freihandelszone der Welt. Das CPTPP ist ein Handelsabkommen zwischen Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Peru, Neuseeland, Singapur and Vietnam.

Die indische Regierung sollte daher bilaterale Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften beschleunigen, um Handelshemmnisse weiter abzubauen, so Biswas.

 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen