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PolitikIndien

Indiens Musliminnen hoffen auf einheitliches Zivilrecht

Sobhan Shakeel
13. August 2023

Ehe, Scheidung, Erbrecht: Bisher haben die religiösen Gruppen in Indien eigene Zivilgesetze. Die Modi-Regierung will diese nun vereinheitlichen. Bisher benachteiligte Musliminnen hoffen auf mehr Gleichberechtigung.

Zwei indische Musliminnen, die eine vollverschleiert, die andere mit Brille, Hut und Dekolleté
Nutznießerinnen eines einheitlichen Zivilgesetzbuches: muslimische FrauenBild: Frank Bienewald/imageBROKER/picture alliance

Im Mai 2024 sind Parlamentswahlen in Indien - der Wahlkampf nimmt langsam Fahrt auf. Und ein Vorhaben der Regierung kommt ebenfalls in die Gänge: ein einheitliches Zivilgesetz. Denn das bisherige Zivilrecht erlaubt es den unterschiedlichen religiösen Gruppen des mehrheitlich hinduistischen Landes, speziell auf sie zugeschnittene Gesetze zu befolgen.

Dass die Zentralregierung ein verbindliches Zivilgesetzbuch, den Uniform Civil Code (UCC), für alle einführen will, ganz unabhängig von der Religionszugehörigkeit, trifft auf viel Zustimmung im Land, besonders bei muslimischen Frauen. Sie haben die Hoffnung, das Zivilgesetzbuch könnte ihrer Gemeinschaft helfen, archaische und patriarchalische Gesetze zu überwinden.

"Eine Vereinheitlichung wird für muslimische Frauen von Vorteil sein. Denn mit einem einheitlichen Zivilgesetzbuch wird die Geschlechtergerechtigkeit umgesetzt", sagt die Verfassungsexpertin Shireen Tabassum zu der derzeit von der indischen Regierung geprüften Rechtsvorlage.

Ebenso sieht es auch die Frauenrechtlerin Zakia Soman. "Bei der Konzeption des UCC ging es ganz wesentlich um die Rechte der indischen Frauen. Der Code sollte positiv und inklusiv sein, um geschlechtergerechte Praktiken einzuführen und diskriminierende Praktiken zu beenden."

Hoffnung auf Gleichberechtigung: Muslimische Braut bedeckt ihr Gesicht mit ihrer Henna-bemalten Hand Bild: Nasir Kachroo/NurPhoto/imago images

Ein seit Jahrzehnten bestehendes Projekt

Das zur Prüfung vorliegende UCC umfasst Gesetze, die für alle indischen Bürger gelten, unabhängig von Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Das Werk regelt unter anderem Fragen zu Scheidung und Erbrecht.

Viele in Indien würden eine Reform begrüßen. Denn das derzeitig gültige System, das unterschiedliche Personenrechte für verschiedene Religionsgemeinschaften zulässt, diskriminiert Frauen in vielerlei Hinsicht. Käme es zu einer Reform, würde das Zivilgesetzbuch UCC mit dem indischen Strafrecht gleichgesetzt. Denn dieses gilt bereits für sämtliche Bürger des Landes, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit.

Das nun anvisierte Konzept wurde seit der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 immer wieder ins Auge gefasst, allerdings nie umgesetzt.

Premierminister Narendra Modi entfachte die Diskussion im vergangenen Monat neu, als er erklärte, Indien solle keine separaten Gesetze für separate Gemeinschaften haben. Doch ein für alle Bürger geltendes Gesetzbuch durchzusetzen ist in einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern, verteilt auf zahlreiche religiöse und ethnische Gruppen, ausgesprochen problematisch.

Kritik am einheitlichen Zivilgesetzbuch 

Befürworter des UCC argumentieren, dieses fördere die Gleichheit. Seine Kritiker hingegen befürchten eine Aushöhlung der religiösen und kulturellen Autonomie der konfessionellen Gemeinschaften.

Besonders hartnäckig ist der Widerstand innerhalb der muslimischen Gemeinschaft. In Indien leben fast 200 Millionen Muslime. Viele von ihnen sind der Ansicht, ein einheitliches Personenrecht werde ihr Recht auf Religionsfreiheit beeinträchtigen.

So setzt die Nichtregierungsorganisation All India Muslim Personal Law Board die Umsetzung des UCC mit einem Verlust der muslimischen Identität gleich. Die Organisation setzt sich dafür ein, dass Muslime ihre rechtlichen Angelegenheiten durch die Scharia regeln.

Starke Präsenz: fast 200 Millionen der 1,4 Milliarden Inder sind Muslime. Szene einer Muharram-Prozession in Srinagar, KaschmirBild: Tauseef Mustafa/AFP

Vorteile vor allem für muslimische Frauen

Am stärksten bekommen die Last der patriarchalischen Auslegung der Scharia-Gesetze in Indien die Frauen zu spüren. Experten sind der Ansicht, das Patriarchat enthalte den Frauen Rechte vor, die ihnen im Islam anderswo zugestanden würden.

"Muslimische Frauen brauchen dringend rechtlichen Schutz in Ehe-, Scheidungs- und Familienangelegenheiten", sagt die Aktivistin Zakia Soman. "Leider hat der Klerus bei der Reform des muslimischen Personenrechts versagt. Dies hat zu Diskriminierung und Rechtsverweigerung gegenüber muslimischen Frauen geführt. Ein echter und positiver UCC kann diese Anomalie korrigieren."

Nach der in Indien praktizierten Auslegung der Scharia-Gesetze dürfen muslimische Männer vier Ehefrauen haben. Zudem sind sie bei Scheidungsfällen sowie beim Ehegatten- und Kindesunterhalt in einer stärkeren Position. Das gilt auch für Erbschaftsfragen: Derzeit erhalten Töchter nach den traditionellen Normen nur die Hälfte des Anteils, den Söhne erben. Auch das Erbrecht von Adoptivkindern ist in der Scharia nicht eindeutig geregelt.

Das gesetzliche Heiratsalter in Indien liegt derzeit bei 21 Jahren für Männer und bei 18 Jahren für Frauen. Nach dem muslimischen Personenstandsgesetz hingegen ist Heirat ab der Pubertät zulässig.

Das müsse sich ändern, sagt die Kolumnistin Amana Begam Ansari, die sich mit dem UCC eingehend auseinandergesetzt hat. "Polygamie muss unbedingt abgeschafft werden", fordert sie. Das Heiratsalter sollte für alle gleich sein. "Zudem sollte jede Heirat von minderjährigen Mädchen juristisch als Vergewaltigung gelten ".

Der Staat als treibende Reformkraft

Jegliche Reformen dürften auf Widerstand stoßen, erwartet Tabassum. Dennoch müsse die Regierung an dem UCC festhalten. "Bräuche wie Sati (Verbrennung von Witwen zusammen mit dem Leichnam ihres Mannes), Kinderheirat und Triple Talaq, (sofortige Scheidung) wurden ja ebenfalls nur dank der kontinuierlichen Bemühungen mehrerer aufeinander folgender Regierungen sowie des Obersten Gerichtshofs abgeschafft." Derzeit streiten auch die hinduistischen Frauen für ihre Rechte. So wurde zuletzt ein Tempel nur für Frauen eröffnet. 

"Radikale soziale Reformen kommen nie von der Gesellschaft selbst. Es sind die Regierungen, die sie vorantreiben müssen", sagt Tabassum.

Einige Kritiker des UCC plädieren hingegen dafür, das Personenrecht zu reformieren, statt ein gemeinsames Recht für alle einzuführen. Eine solche Reform wäre zwar ebenfalls zu begrüßen, sagt Ansari. Allerdings würden die Religionsgemeinschaften dann weiterhin versuchen, juristische Autorität zu beanspruchen und sich jeder Änderung zu widersetzen.

"Sinnvoller wäre darum ein gemeinsames auf den universellen Menschenrechten basierendes Recht", sagte Ansari. "Wenn das Strafrecht dasselbe ist, warum dann nicht auch das Personenrecht?"

Säkulare Instanz: der Oberste Gerichtshof in DelhiBild: picture-alliance/NurPhoto/N. Kachroo

Zweifel am Kurs der Regierung Modi

Obwohl muslimische Frauen für das einheitliche Zivilgesetzbuch eintreten, hegen Teile der muslimischen Gemeinschaft Befürchtungen hinsichtlich der von Modis rechtsgerichteter Regierung propagierten Lösungen. Weder Modi noch seine Bharatiya Janata Party (BJP) stehen in dem Ruf, Frauen und Minderheitenrechte zu schützen.

In diesem Zusammenhang verweist Tabassum auf andere Gesetze, die die Regierung derzeit durchzudrücken versucht - so etwa das höchst umstrittene Landwirtschaftsgesetz oder Änderungen des Rechtsstatus für die Region Kaschmir. Diese Beispiele zeigten, dass die Regierung an einem Konsens nicht interessiert sei, so Tabassum.

"Der UCC ist Teil des Wahlprogramms der BJP", sagt Tabassum. "Aber wir brauchen einen kooperativen Ansatz, der alle Gemeinschaften einbezieht. Das Vorhaben darf nicht zu einem weiteren Schritt gegen Minderheiten werden."

 

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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