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Indischer Atomreaktor im Tsunami-Gebiet

Andreas Becker19. Dezember 2012

Um seinen wachsenden Hunger nach Energie zu stillen, setzt Indien auch auf Atomkraft. Doch nach Fukushima nehmen die Proteste zu. Der Vorwurf: veraltete Technik und mangelnde Sicherheit.

Atomkraftwerk Kudankulam, Tamil Nadu, Indien (Foto: Arun Sankar. K/AP/dapd)
Kudankulam KernkraftwerkBild: AP

In Kudankulam, an der Südspitze Indiens, steht ein Atomkraftwerk. Noch ist es nicht in Betrieb, aber die beiden Reaktoren sollen einmal zwei Gigawatt Leistung bringen. Kudankulam wäre damit das größte Atomkraftwerk des Landes.

Das Kraftwerk steht in einer Region, die 2004 vom großen Tsunami im Indischen Ozean betroffen war. "Das Wasser ist damals bis auf das Reaktorgelände vorgedrungen", sagt P.K. Sundaram. "Ein Dorf in der Nähe wurde völlig zerstört. Die Bewohner wurden danach umgesiedelt, und zwar näher an den Reaktor."

Sundaram arbeitet für die Koalition für Nukleare Abrüstung und Frieden (CNDP) in der Hauptstadt Neu Delhi. Er ist Teil einer Protestbewegung, die seit mehr als einem Jahr gegen Kudankulam demonstriert. Auslöser war das Reaktorunglück im japanischen Fukushima.

Fukushima als Auslöser

"An der Südspitze Indiens leben vor allem Fischer und Bauern", sagt Sundaram. Die Proteste begannen im Sommer des vergangenen Jahres, als die Regierung bekanntgab, den Reaktor bald in Betrieb nehmen zu wollen. "Es gab eine Notfallübung mit lauten Sirenen, den Anwohnern wurde gesagt, sie sollten schnell vom Reaktor fortlaufen. Die Menschen hatten alle noch die Bilder von Fukushima im Kopf, und sie wußten, wie gefährlich Atomunfälle sein können."

Seit August 2011 ist aus den Demonstrationen der Fischer und Bauern eine Protestbewegung geworden, die im ganzen Land aktiv ist. "Überall gab es Demonstrationen mit mehr als 20.000 Menschen - in Kudankulam, in Chennai, sogar auf See", sagt Sundaram.

Die Demonstranten werfen der indischen Regierung vor, veraltete Technik einzusetzen und geltende Sicherheitsbestimmungen nicht einzuhalten. Kudankulam ist zwar noch nicht in Betrieb, doch es ist ein altes Projekt. Der Vertrag über den Bau wurde bereits 1988 geschlossen, zwischen Indien und der damaligen Sowjetunion. Wegen der politischen Umbrüche passierte dann lange nichts.

"Zu alt, zu unsicher"

Jetzt stehen in Kudankulam veraltete Reaktoren aus Russland, sagt Sundaram. "Hinzu kommt, dass es in den 1980er Jahren in Indien noch gar keine strengen Auflagen für Umweltschutz und Sicherheit gab, die sind erst später entstanden. Die indische Regierung sagt nun, diese Gesetze würden für Kudankulam nicht gelten, weil sie damals bei der Vertragsunterzeichnung noch nicht in Kraft waren."

Die staatliche Nuclear Power Corporation of India, die Kudankulam und andere Atomkraftwerke betreibt, wollte sich gegenüber DW nicht zu den Vorwürfen äußern. B.K. Chaturvedi, in der Planungskommission der indischen Regierung für den Bereich Energie zuständig, weist die Kritik zurück. Die Beurteilung der Sicherheit, so Chaturvedi gegenüber DW, sollte man am besten den Experten überlassen. "Die Aufsichtsbehörde für Atomenergie muss beurteilen, ob das Kraftwerk sicher ist. Und sie ist zum Schluss gekommen, dass alles extrem sicher ist. Es gibt überhaupt kein Problem."

Atomkraftgegner bei einer Demonstration am 29. Oktober 2012 in Chennai, der Hauptstadt von Tamil Nadu.Bild: picture-alliance/dpa

Die indische Regierung ging mit Härte gegen die Anti-Atomkraft-Demonstrationen vor. Zwei Menschen kamen ums Leben, 120 sitzen seit Monaten im Gefängnis, sagt Aktivist Sundaram. "Die Regierung hat Angst, dass es auch bei anderen Kraftwerken zu Protesten kommt, wenn sie jetzt nachgibt."

Sechs Atomkraftwerke mit 20 Reaktoren sind in Indien in Betrieb, drei Kraftwerke sind in Bau und weitere in Planung. Laut Planungskommission soll die erzeugte Energieleistung in den nächsten zehn bis 15 Jahren stark erhöht werden, von derzeit 4,7 auf bis zu 30 Gigawatt. Was aber mit dem radioaktiven Müll geschehen wird, ist noch unklar, Pläne für ein atomares Endlager gibt es nicht.

Atommüll ist "kein Problem"

"Die Aufsichtsbehörde sieht da im Moment kein Problem", sagt Chaturvedi von der Planungskommission der Regierung. "Wir versuchen, den anfallenden Atommüll zu recyclen. Außerdem wurden Vorkehrungen getroffen, damit der Atommüll sicher ist. Die Gesamtkapazität ist noch klein, deshalb ist das für uns im Moment eine nebensächliche Frage."

In einer Solidaritätsbotschaft an die Kudankulam-Gegner spottete die bekannte Schriftstellerin Arundhati Roy, die indische Regierung habe sich als unfähig erwiesen, den alltäglichen Müll zu bewältigen: "Wie wagt sie da zu behaupten, sie könne mit nuklearem Abfall umgehen?"

Atomkraftgegner wie Sundaram zweifeln zudem an der Unabhängigkeit der indische Aufsichtsbehörde. "Die Atomaufsicht in diesem Land gehört zu den schwächsten weltweit. Sie soll die Atomindustrie regulieren, berichtet aber direkt an das Ministerium für Atomenergie. Sie hat keine unabhängigen Mitarbeiter. Alle Wissenschaftler und Experten, auf die sie sich beruft, kommen aus dem Ministerium oder der Industrie, die sie eigentlich kontrollieren soll."

P.K. SundaramBild: DW/Andreas Becker

Energieprobleme

Indien produziert rund 60 Prozent seiner Energie mit Kohlekraftwerken. Wasserkraft macht rund 15 Prozent aus, Gas zehn Prozent, erneuerbare Energie sechs Prozent und Atomkraft weniger als fünf Prozent, so Planungskommissar Chaturvedi.

Dass das Land ein Energieproblem hat, bestreiten weder Regierung noch Demonstranten. Selbst in den Großstädten fällt täglich der Strom aus. Besonders deutlich wurde das Problem Ende Juli 2012, als wegen Netzproblemen die Stromversorgung in 22 Bundesstaaten zusammenbrach und 600 Millionen Menschen im Dunkeln ließ.

Wachstumspolitik

Der "größte Stromausfall der Geschichte" tauge allerdings nicht als Begründung für noch mehr Großkraftwerke, meint Atomkraftgegner Sundaram. "In den letzten 20 Jahren hat sich die Energieproduktion fast verdoppelt. Doch der Anteil der Dörfer, die überhaupt keinen Strom haben, blieb unverändert hoch bei 40 Prozent."

Das sei Ausdruck einer falschen Wachstumspolitik. "Die ganze Energie geht an Einkaufszentren, Verkehrsprojekte und die Großindustrie. Die Dörfer bleiben dagegen ohne Strom, wie im Mittelalter." Wenn die Regierung für die etwas tun wolle, so Sundaram, müsse sie stärker auf dezentrale, nachhaltige Energieproduktion setzen.

Ob das Atomkraftwerk Kudankulam in Betrieb gehen darf, hängt nun von den Richtern am Supreme Court ab, dem höchsten Gericht des Landes. Sie entscheiden über eine Klage der Atomkraftgegner. Die Nuclear Power Corporation of India erwartet laut ihrer Homepage, dass der erste Reaktor im Januar 2013 ans Netz geht, der zweite soll im August folgen.

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