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Film

Indigenes Kino auf der Berlinale

Gero Schließ
12. Februar 2017

In der Reihe Native widmet sich die Berlinale in diesem Jahr der kältesten Region der Erde: der Arktis. Besonders sorgte “Maliglutit“, ein Inuit-Western des kanadischen Regisseurs Zacharias Kunuk, für Furore.

Berlinale 2017 Filmstill Maliglutit
Bild: Kingubillit Productions

In der Arktis scheint alles überlebensgroß: die unendlichen Weiten der schneeweißen Eislandschaft, die riesenhaften Gestalten der Menschen in ihren dicken Fellkleidern und auch ihre emotionalen Ausbrüche, die alles Mäßigende, zivilisiert Zurückgenommene abgestreift haben.

Ein Western auf Inuit-Art

Als Kuanana zusammen mit seinem Sohn von der Jagd zum Iglu seiner Familie zurückkehrt, macht er eine schreckliche Entdeckung: Frau und Tochter sind entführt, der Rest seiner Familie getötet. Kuanana richtet sich im Schnee in voller Länge auf, stößt einen markerschütternden Schrei aus und schwört den Tätern Rache. Das ist einer der stärksten Momente in Zacharias Kunuks Film "Maliglutit" – "Searchers", der jetzt auf der Berlinale gezeigt wurde. Er ist einer von zehn Filmen der Sonderreihe NATIVe, in der indigene Filmemacher ihre Werke vorstellen. Viele von ihnen beschäftigen sich mit Themen wie Assimilation, Klimawandel oder Zwangsumsiedlung. Es sind filmische Auseinandersetzungen mit existenziellen Herausforderungen vor dem Hintergrund einer überwältigenden, oftmals feindlichen Natur und einer ursprünglichen, uns fremden Lebensweise. Die überwiegende Mehrzahl der gezeigten Filme sind Dokumentarfilme.

Auf der Jagd nach den Entführern von Frau und Kind: Benjamin Kunuk als Kuanana in "Maliglutit"-Bild: Kingulliit Productions Inc.

Nicht so "Maliglutit". Der bei den Filmfestivals in Cannes und Toronto ausgezeichnete Kunuk hatte sich nämlich entschlossen, einen Spielfilm zu drehen. Maliglutit - "Searchers" ist ein Western geworden, inspiriert von einem Klassiker des Genres: John Fords "The Searchers" aus dem Jahre 1956 mit John Wayne.

Für Zacharias Kunuk ist das die Wiederbegegnung mit seiner Jugend, erzählte er der DW. Er erinnert sich, wie er als neunjähriger Junge das erste Mal einen Western sah. Es war noch die Zeit der 16 Millimeter Filme. Kunuk hat manche Szenen noch heute vor Augen: Cowboys und Indianer – und John Wayne. ”Unsere Geschichten sind fast die gleichen", sagt er. "Es gibt ein auslösendes Ereignis, dann passiert etwas, und es gibt einen Helden".

Kein Hollywood-Remake

Zacharias KunukBild: Kingubillit Productions/AJMessier Photo

Bei John Ford geht es um ein von Komantschen entführtes Mädchen, das Wayne nach langer Suche schließlich aufspürt und aus den Fängen des Stammes und seines Häuptlings befreit. Bei Kunuk werden Kuananas Ehefrau und Tochter von vier jungen Inuit-Kriegern geraubt. Auch Kuanana macht sich auf den Weg, um Frau und Tochter zu befreien und die Tat zu rächen. Zacharias Kunuk knüpft damit zwar an den Plot des Hollywood-Western an, aber sein Film ist kein Remake: "Es ist ein Western, aber wir haben ihn nach Inuit-Art gemacht”, sagt er.

Karge Landschaft, sparsame Dialoge

Es wirkt so, als hätte ihn die karge Landschaft der Arktis zu einer konsequenten Reduktion der filmischen Mittel inspiriert. Kunuk erzählt die Geschichte von Mord, Raub und unbarmherziger Jagd in sparsamen Dialogen und langen Kamera-Einstellungen. Dadurch gewinnt "Maliglutit" eine einzigartige Intensität. Close-ups von wettergegerbten Gesichtern und atemberaubende Totalen von der arktischen Schneelandschaft wechseln sich ab, plötzlich unterbrochen von Gewaltexzessen, als etwa die vier Krieger in den Iglu von Kuananas Familie eindringen und ihr blutiges Handwerk verrichten.

Frauen zu "stehlen" sei ein Teil der Inuit-Kultur gewesen. "Früher haben nur wenige von uns im extremen Wetter überlebt. So wenige, dass sie die Heiraten manchmal schon im Alter von fünf Jahren arrangiert haben", sagt er Regisseur.

Dokument für die Nachwelt 

Leben im Iglu: Szene aus "Maliglutit"Bild: Kingubillit Productions

Auch das zeigt "Maliglutit". Denn es ist nicht nur ein Filmdrama, sondern vermittelt auch Lebensrhythmus und Sitten der Inuit. Etwa wie sie ihre Fellkleidung anziehen, Essen zubereiten, Iglus bauen und ihre Hunde führen.

Kunuk hat den Film in seiner Heimat gedreht, auf der Baffininsel, der größten Insel des kanadisch-arktischen Archipels. 13.000 Menschen leben hier, die meisten sind Inuit. Darunter auch Kunuks Großfamilie, von denen viele im Film mitwirken. Gedreht wurde im März vergangenen Jahres. Es ist der kälteste Monat mit Temperaturen unter minus 30 Grad.

Alles soll echt sein, unter realen Bedingungen gedreht – was übrigens auch ein Unterschied zu Hollywood ist. Das Bestreben wird spürbar, eine möglicherweise untergehende Kultur für die Nachwelt zu dokumentieren.

Dass zum Leben der Inuit auch der Schamanismus gehört, wird gleich zu Beginn des Films deutlich: Aus dem off meldet sich eine Schamanin mit einer düster-dräuenden Prophezeiung: "Tod liegt in der Luft". Damit sind die mystisch-spirituellen Vorzeichen für einen atmosphärisch dichten Film gesetzt, der seinen Regisseur als einen Großen seines Faches ausweist.

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