Indische Frauen in der Gig-Economy fordern gleiche Bezahlung
28. Mai 2023Manisha Singh ist 29 Jahre alt. Sie war froh, als sie über eine Online-Jobbörse nach gelegentlicher Beschäftigung suchen konnte. Die Plattform ist auf "haushaltsnahe Dienstleistung" wie Reinigung spezialisiert und verspricht ihren Mitgliedern zusätzliches Einkommen bei flexiblen Arbeitszeiten. Der Betreiber dieser Handy-App sitzt in Bengaluru, dem indischen IT-Zentrum im Süden des Landes.
Doch Manishas Glück war nur von kurzer Dauer. "Eines Tages war die App auf meinem Handy blockiert", sagt sie der DW. "Ich konnte nicht darauf zugreifen und erfuhr später vom Betreiber, dass ich eine Anfrage eines Kunden storniert hätte." Das sei nicht ihre Schuld gewesen. "Es war ein Bedienungsfehler. Ich flehe das Unternehmen immer noch an. Vergeblich!"
Priya Seth hat ähnliche Erfahrung gemacht. Die 32-Jährige nahm einen Job als Lebensmittellieferantin in der Hauptstadt Neu Delhi an. Sie will die flexible Arbeitszeit nutzen, um ihre beiden schulpflichtigen Kinder betreuen zu können.
Doch der Auftraggeber hat vor einem Monat ihre Bezahlung ohne Vorankündigung gekürzt. Seth verdient jetzt 15 Rupien (etwa 0,17 Euro) pro Zustellung anstatt 25 Rupien. Zuschläge für Hauptverkehrszeiten wurden ebenfalls gestrichen. "Ich habe protestiert, aber das brachte nichts. Viele von uns sind gezwungen, zu konkurrierenden Unternehmen zu wechseln", erzählt Priya der DW.
Arbeit für Millionen Menschen
Schätzungsweise 7,7 Millionen Menschen in Indien finden über Handy-Apps kurzfristige Nebenjobs. Als Betreiber solcher Plattformen engagieren sich - neben dem globalen Riesen Uber - auch indische Firmen wie Urban Company und Zomato. Dieses Businessmodell wird "Gig-Economy" genannt.
Und es wächst. Bis 2030 werden in Indien 23,5 Millionen Menschen derartige Online-Jobbörsen nutzen, so die Schätzung der regierungsnahen Denkfabrik NITI Aayog in Delhi. Die US-Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG) geht langfristig von 90 Millionen Jobsuchenden in der Gig-Economy aus, und das allein in den nicht-landwirtschaftlichen Sektoren.
20 bis 30 Prozent der Jobsuchenden in der Gig-Economy sind Frauen. Und viele von ihnen beklagen sich wie Manisha und Priya über Schikanen auf diesem nicht regulierten Online-Arbeitsmarkt. Dabei geht es meistens um unfaire Bezahlung und Kürzungen der Zuschläge.
Große Lohnlücke zwischen Geschlechtern
Eine Studie des unabhängigen Institute of Social Studies Trust bestätigt die mangelnde Lohngerechtigkeit in diesem neuen Sektor. Das Institut hat vier Branchen in den Metropolen Neu-Delhi, Bengaluru und Mumbai untersucht: haushaltsnahe Dienstleistung, Schönheitspflege, Taxifahren und Essenslieferung. Dabei zeigt sich, dass Frauen oft viel weniger Geld verdienen und mit schlechteren Arbeitsbedingungen konfrontiert sind als Männer.
Weil Frauen nicht zu jeder Zeit arbeiten können und zusätzliche Aufgaben im Haushalt übernehmen müssen, haben sie keine Möglichkeit, weitere Zuschläge und Prämien zu verdienen, heißt es in dem Bericht. Auch gelte es als schwierig, dass sich die weiblichen Online-Jobsuchenden in Arbeitnehmervertretungen organisieren. Allerdings gebe es keine Gewerkschaft, die von Arbeitnehmerinnen geführt oder gegründet wurde.
Aktivistinnen fordern Gesetzesänderungen
Lekha Chakraborty ist Professorin am Internationalen Institut für Öffentliche Finanzen (IIPF) mit Sitz in München. Sie fordert die indische Regierung zu neuen Gesetzgebungen auf, um die Rechte der Arbeitnehmerinnen in der Gig-Economy besser zu schützen. "Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss bei der Formulierung der Verantwortungsmechanismen in der Gig-Wirtschaft im Vordergrund stehen. Es sollten Gesetze erlassen werden, um geschlechtsspezifische Lohnunterschiede zu bekämpfen", sagte Chakraborty im DW-Interview.
In den Augen der Frauenrechtsaktivistin Kavita Krishnan ist Ausbeutung das Markenzeichen der Gig-Economy. "Ein Wandel muss stattfinden. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Gig-Economy müssen sämtliche Arbeitsschutzmaßnahmen gelten. Sie müssen sich auch gewerkschaftlich organisieren dürfen."