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Politik

Weihnachten im Verborgenen

Julian Küng
24. Dezember 2018

Nach einer Serie von Selbstmordanschlägen auf indonesische Christen sind die Behörden alarmiert. 90.000 Soldaten und Polizisten sollen christliche Gotteshäuser über die Festtage schützen. Julian Küng aus Sumatra.

Indonesien Indonesien christliche Kirchen
Küster Sarmen Manik von der Huria Kristen Bantak-Kirche Bild: DW/Julian Küng

Noch im Flugzeug unterwegs nach Banda Aceh berieseln Weihnachtslieder die Passagiere. Zu "Merry Christmas” und "Jingle Bells” öffnen die Flugbegleiterinnen die Luke. Der Kontrast nach dem Verlassen der Fluggastbrücke könnte nicht grösser sein. "Unzüchtige” Kleidung und Weihnachtsgrüsse sind verboten in der Hauptstadt der Provinz Aceh auf der Insel Sumatra. Unter den Einheimischen auch "Der Balkon Mekkas” genannt, ist hier die Scharia seit über zehn Jahren Gesetz. Nach einem 30 Jahre anhaltenden Bürgerkrieg mit tausenden Opfern gewährte die liberal-muslimische Zentralregierung der Povinz Aceh 2005 das Sonderrecht auf die islamische Rechtssprechung.

Wovon die örtlichen Behörden regen Gebrauch machen. Vor drei Jahren wurde der Weihnachtsgruß "Merry Christmas” verboten und Neujahrsfeiern aus dem Stadtbild verbannt. Wer das Verbot nicht befolgt, bekommt es mit der patrouillierenden "Scharia-Polizei” zu tun. Die wenigen Kirchen in der Region versuchen möglichst unbehelligt und verborgen ihren Glauben auszuüben. Eine davon ist die katholische "Sacred Heart”-Kirche in der Innenstadt von Banda Aceh. 

Krippe hinter Kirchenmauern

Vier Soldaten sitzen unter dem Vordach der Kirche und tippen in ihre Smartphones. "In der Nähe befindet sich ein Militärstützpunkt. Wir fühlen uns deshalb recht sicher," sagt Pfarrer Hermanus Sahar. "Die Krippe und weitere Ornamente bereiten wir hinter den Kirchenmauern vor und zu laute Musik oder Gesänge sind außerhalb der Kirche tabu." Auch bei der nahen Methodistenkirche sucht man weihnachtliche Stimmung vergebens. Einzig das Kreuz auf den kahlen Betonmauern weist auf das christliche Gotteshaus hin. "Klar würden wir die Festtage gerne öffentlich verbringen, aber wir haben uns an die jetzige Situation gewöhnt", sagt Schuldirektorin Sheilisa Pieter. In ihrem Büro hängt ein Portrait des Staatchefs Joko Widodo, der für ein friedliches Zusammenleben der Religionen steht.

"Wir haben uns an die Situation gewöhnt," sagt Schuldirektorin Sheilisa PieterBild: DW/J. Küng

"Jokowi, wie er hier genannt wird, ist für uns Sinnbild einer harmonischen Ko-Existenz zwischen den Religionen. Ich hoffe, dass er auch nächstes Jahr wieder unser Land führen darf”, sagt Pieter über die anstehenden Präsidentschaftswahlen im April 2019. Angesprochen auf die Serie von Bombenanschlägen auf Kirchen in Ost-Java diesen Frühling mit 25 Todesopfern oder die drei Kirchen in der Provinz Jambi, die kürzlich von lokalen Behörden aus "administrativen Gründen” geschlossen wurden, ringt die Schuldirektorin mit den Tränen und  starrt sekundenlang an die Wand: "Sie müssen verstehen, wir leben hier in einer sehr fragilen Umgebung, weshalb ich diese Vorkommnisse besser nicht weiter kommentiere. Ich möchte, dass die Stimmung ruhig bleibt. Aber natürlich bete ich für meine Brüder und Schwestern im Süden.”

Molotow-Cocktails gegen Kirchen

Rund 14 holprige Fahrstunden südlich der Hauptstadt Banda Aceh liegt die Grenze zu Nordsumatra. Hier beträgt der Anteil der Christen fast 40Prozent. In der Kleinstadt Sidikalang sind die Häuser reich verziert mit Weihnachtskränzen und Lichterketten. Abends tönen Adventslieder aus alten Lautsprechern. Auf der anderen Seite der Grenze, hinter der Gebirgskette Gunung Salak dominieren dagegen Muezzin-Gesänge und Moscheen das Stadtbild von Subulussalam. Eine explosive Mischung für die religiös vermengten Dörfer der Grenzregion Singkil. Auf dem Boden der islamischen Rechtssprechung Acehs leben hier mehrere hundert Christen inmitten von Palmölplantagen und Dschungelwildnis.

Ein Junge im Bergdorf Suka Makmur zeigt auf einen Stapel weiß bemalter Fahrzeug-Reifen. "Das ist unser Schneemann.” Dahinter liegt die Brandruine der protestantischen Kirche Huria Kristen Batak, die von radikalen Muslimen niedergebrannt wurde. Noch immer riecht es verbrannt. "Seit dem Brandanschlag beten wir unter einer blauen Plastikplane”, sagt Hadianto Tumangger. "Tausende sind nach den Brandanschlägen nach Nordsumatra geflüchtet. Die Sonntagsmessen können nur noch unter Polizeischutz abgehalten werden.” An Weihnachten und Neujahr wird ein Großaufgebot von Militär und Polizei die Zeremonie bewachen. "Trotz Allem freuen wir uns auf das Weihnachtsfest,” sagt Tumangger. Im gesamten Inselstaat werden 90.000 Einsatzkräfte der Zentralregierung rund 50.000 Kirchen schützen. Auch moderate Muslime werden Wache stehen vor den Messen. Die paramilitärische Gruppe "Banser”, zu deutsch Panzer, will damit ein Zeichen setzen gegen Extremismus und schickt tausende junge Muslime zur Unterstützung vor die Kirchen.

Schneemann aus Autoreifen an der Huria Kristen Bantak-KircheBild: DW/J. Küng

Keine Bewilligung für christliche Kirchen

Zurück im Dorf Suka Makmur laufen die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest auf Hochtouren. Rote und grüne Strohhalme werden zu einem Christbaum verknüpft. Ein alter knattriger Lastwagen biegt in die unbefestigte Strasse, liefert hunderte Plastikstühle für die geplante Messe. Etwas abseits des Rummels steht Sarmen Manik, beäugt die sorglosen jungen Christen skeptisch. Dem Küster der Kirche steckt der Brandanschlag von 2015 noch zu  tief in den Knochen: "Wir wussten, dass eine Karawane bestehend aus fanatischen Muslimen auf dem Weg war, haben uns deshalb flankiert von Polizisten schützend vor die Kirche gestellt,” erinnert sich der Kirchendiener. "Die Angreifer waren in der Überzahl. Nachdem der erste Molotow-Cocktail die Kirchenwand traf, wurden wir von der Menschenmasse überrannt, viele flüchteten in die Wälder. Ich blieb wie angewurzelt stehen, magnetisiert von dem lodernden Flammenmeer meiner heiligen Kirche”.

Der Angriff erfolgte, nachdem Mitglieder der radikal islamistischen "Islamic Defenders Front” von den lokalen Behörden die Schließung der zehn Kirchen in der Region gefordert hatten. Mit der Begründen, dass keine Bewilligungen für sie vorlägen. "Wir haben mehrfach versucht, Bewilligungen bei den lokalen Behörden einzuholen”, sagt Manik. Eine Genehmigung kann nicht erteilt werden, wenn sich 60 Muslime aus dem Gebiet dagegen aussprechen. Eine beliebte Verhinderungstaktik konservativer Kräfte. Nach dem Brandanschlag zog der Mob weiter, um weitere Kirchen dem Erdboden gleichzumachen. Doch an der nächsten Kirche wurden sie bereits von einem mit Luftgewehr bewaffneten Christen erwartet, der in die Menge feuerte. Ein Muslim wurde dabei tödlich getroffen. Drei weitere wurden verletzt. Nach den Ausschreitungen wandte sich Präsident Joko Widodo via Twitter an die Bevölkerung: "Beendet die Gewalt in Aceh Singkil. Gewalt jeglichen Ursprungs untergräbt die Vielfalt unseres Landes.” Ein Ruf nach Pluralismus, der bis heute kein Gehör findet in der Provinz Aceh, wie ein Wahlkampfauftritt Jokowis von letzter Woche zeigt.

Der indonesische Präsident Widodo auf Wahlkampftour in Banda AcehBild: DW/J. Küng

"Jokowi, geh nach Hause"

Der Andrang war groß am Eingang der Baiturrahman-Moschee in Banda Aceh vor dem Eintreffen des Präsidenten. Schnell staute sich eine Menschentraube an der Sicherheitsschleuse. Jeder Besucher wurde minutiös durchsucht, Metall-Detektoren filterten unerlaubte Objekte aus den Taschen. Während der politischen Ansprache Jokowis verließen viele die Gebetsstätte vorzeitig, "Jokowi, geh nach Hause”, war vereinzelt aus der Menge zu hören. "Er hat schon auch Gutes getan für die Leute”, attestierten ihm manche. "Er ist muslimisch genug", ist noch das höflichste Statement auf die Frage, ob er den Islam denn ausreichend vertrete. "Obwohl meine Partei die Präsidentschaft Jokowis offiziell unterstützt, ist er für mich und viele meiner Parteikollegen nicht mehr wählbar” sagte ein Lokalpolitiker der "Partai Golongan Karya”, der nicht mit Namen zitiert werden möchte. "Zu viele seiner Entscheide gehen gegen den muslimischen Glauben.” Forderungen wie das Streichen der Konfession von indonesischen Identitätskarten haben Jokowi bei konservativen Wählerkreisen unpopulär gemacht.

Aber auch sein Gegenspieler Prabowo Subianto hat kaum Rückhalt bei der Stimmbevölkerung im nördlichsten Zipfel Sumatras. Subianto gibt sich zwar fromm, spielt mit muslimischer Kopfbedeckung gekonnt auf der Klaviatur des neuen islamischen Populismus. Einen ehemaligen Militärgeneral zum Staatschef zu ernennen, kommt für die bürgerkriegsgebeutelte Provinz Aceh aber kaum in Frage: "Als Militär-General war Prabowo an Operationen in Aceh beteiligt. Das nehmen ihm die Bürger hier übel”, sagt der Lokalpolitiker. So wird Aceh ungeachtet des Ausgangs der Wahlen wohl auch weiter nach eigenen strikt islamischen Regeln spielen und kaum näher an die moderatere Regierung Indonesiens rücken.

 

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