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"Industrie und Politik brauchen neue Kultur"

Gero Rueter30. September 2015

Lasche Kontrollen machten Manipulationen bei VW möglich. Auto-Experte Stefan Bratzel empfiehlt einen Kulturwandel in Industrie und Politik. Er sieht in der Krise auch einen Impuls für mehr Elektromobilität.

Deutschland Martin Winterkorn und Angela Merkel auf der Hannover Messe
Angela Merkel wird auf der Hannover Messe im April 2015 vom damaligen VW-Chef Marin Winterkorn begrüßt.Bild: AFP/Getty Images/T. Schwarz

Deutsche Welle: Herr Bratzel, Autos sollen die Luft immer weniger verschmutzen und immer weniger CO2 ausstoßen. Vor welchen Herausforderungen steht hier die Automobilindustrie?

Die Herausforderung ist groß, aber nicht neu. Es geht um neue Antriebstechnologien für den Klimaschutz. Dazu zählten bislang Verbrennungsmotoren, auch der Dieselmotor, um die CO2-Ziele in Europa von 95 Gramm pro Kilometer ab 2020 / 2021 zu erreichen.

Längerfristig - und da sind sich die Branchenverantwortlichen einig - gibt es eine zunehmende Elektrifizierung mit Batterie oder Brennstoffzelle. Der Weg zu einer zunehmenden Null-Emissionsorientierung in der Flotte ist vorgegeben. Unklarheiten gibt es über die Geschwindigkeit und Zeiträume.

Die deutschen Hersteller setzten bisher auf die Dieseltechnologie. War die Strategie richtig?

Die deutschen Hersteller sind Spezialisten des Verbrennungsmotors, vor allem beim Diesel. Zur Erreichung der CO2-Ziele haben sie versucht, die Optimierung voranzutreiben.

Allerdings hat man vielleicht zu spät mit der Elektrifizierung und auch Hybridisierung begonnen. In diesem Bereich sind andere Hersteller deutlich weiter und da muss man jetzt aufholen. Langfristig ist der Verbrennungsmotor keine vernünftige Strategie. Die Krise kann jetzt ein Anlass für die stärkere Elektrifizierung sein.

Für Elektroautos braucht man Batterien. Steht die Batterietechnologie in Deutschland nicht vor dem Aus?

In der deutschen Automobilindustrie wurde die Batterietechnologie vor vielen Jahren als nicht relevant erachtet und so wurde sie nach Korea und Japan verkauft. Im Moment fehlt für die Elektromobilität die Batterie als wichtiger und zentraler Wertschöpfungsbestandteil.

Autoexperte Prof. Stefan BratzelBild: Center of Automotive Management

Auch ist es so, dass man diese Technologie nicht in dieser Generation wieder an den Standort Deutschland holen kann. Es wird eine große Herausforderung und man braucht viel Geld, um vielleicht die nächste oder gar die übernächste Generation der Batterietechnologie an den Standort Deutschland wieder zurück zu holen. Also dieses Thema ist in der Tat verschlafen worden.

Ist der Zug hier schon abgefahren?

Ich glaube, nicht grundsätzlich. Der Zug ist für diese Batteriegeneration abgefahren. Die Technologie liegt bei Panasonic, LG und Sanyo und das kann man jetzt nicht so schnell aufholen.

Ich sehe eine Chance in der Größenordnung von zehn Jahren, wenn man jetzt mit geballten Kräften von Herstellern und Zulieferern, vielleicht auch mit staatlicher Unterstützung, in dieses neue Technologiefeld einsteigen würde. Dann gibt es eine Chance, die Batterietechnologie wieder nach Deutschland zu holen.

Werden Tesla und andere Newcomer schon eine Bedrohung für die alte Automobilindustrie?

Tesla hat die Elektromobilität erst salonfähig gemacht. Tesla ist schon ein Stachel im Fleisch der Premiumhersteller und hat gezeigt, dass Elektromobilität Spaß macht und Reichweiten von 500 Kilometern möglich sind.

Natürlich gibt es auch die Befürchtung, dass Tesla mit weiteren Modellen seinen Marktanteil ausweitet. Das wird sehr genau beobachtet. Angesichts der homöopathischen Stückzahlen von rund 50.000 Fahrzeugen ist das Wort "Bedrohung" vielleicht übertrieben. Aber mittlerweile nehmen die Automobilhersteller das Thema sehr ernst.

Kanzlerin Merkel präsentiert ein Elektroauto mit einer leichten Karosserie aus CarbonfasernBild: Reuters

Es gibt die Sorge, dass die Automobilindustrie ein ähnliches Schicksal wie die fossile Energiewirtschaft erleben könnte, so wie Eon und RWE. Wie sehen Sie das?

Der Übergang von großen Technologien führt häufig dazu, dass starke Akteure mit alten Technologien nicht mehr zu den Gewinnern der neuen Technologie zählen. Das war beim Thema Eisenbahn so und könnte jetzt auch beim Thema Automobil so sein.

Über 100, 120 Jahre war der Verbrennungsmotor der zentrale Baustein der Automobiltechnologie und wenn dieser Wertschöpfungsanteil wächst und wir alle künftig elektrisch fahren - und vielleicht zunehmend autonom - dann kommen hier ja die Googles und Apples dieser Welt ins Spiel. Unsere Automobilplayer müssen sehr darauf achten, dass sie nicht verlieren. Im Moment liegt das Rennen bei 50/50.

Es wird sehr kritisiert, dass die Autoindustrie in Deutschland zu lasch kontrolliert wurde, um die saubere Mobilität voran zu bringen. Wie sehen Sie das?

In Deutschland gab es eine Kultur des Wegschauens über viele Jahre. Es gab immer wieder Hinweise von unabhängigen Umweltgruppen, vom ADAC und von anderen, dass die Prüfwerte sehr stark abweichen von den Realwerten.

Bewirkt der VW-Skandal einen neuen Umgang zwischen Autoindustrie und Politik?Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

Diesen Vorwürfen ist man einfach nicht nachgegangen und man hat die Augen zugemacht. Das hat auch mit dazu beigetragen, dass Automobilhersteller vielleicht geglaubt haben, man kann über diese Themen hinweg gehen und kann sogar manipulieren.

Wären also ambitionierte Gesetze und Kontrollen auch für die Autobranche hilfreich?

Beides ist notwendig. Es ist eine intensive Kooperation zwischen Industrie und Regierung notwendig, damit die Regierung die richtigen Rahmenbedingungen setzen kann. Aber das darf nicht mit laschen Kontrollen verbunden sein. Es gibt gesellschaftliche Ziele wie Umweltschutz, Luftreinhaltung und Sicherheit. Und die Einhaltung ist nur mit scharfen Gesetzen und Kontrollmechanismen möglich.

Welche Empfehlung geben Sie jetzt?

Es sollte einen Ruck in der Industrie und Politik geben. Die Affäre könnte in der Industrie dazu beitragen, dass man intensiver die Elektromobilität verfolgt und dafür sich weniger um den Verbrennungsmotor kümmert.

Für die Politik gilt, dass auch sie einen Kulturwandel durchleben muss und die Kultur des Wegguckens durch scharfe Kontrollen ersetzt, ohne die wichtige Weiterentwicklung der Industrie zu gefährden. Ich glaube, in der Industrie und Politik sollten die Ereignisse der letzten Tage zu einem kulturellen Wandel führen.

Stefan Bratzel ist Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach und Leiter des dortigen Center of Automotive.

Das Interview führte Gero Rueter

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