1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Inflationsrate springt auf 3,8 Prozent

29. Juli 2021

Die Teuerung in Deutschland zieht deutlich an. Volkswirte hatten das erwartet - und machen Verbrauchern etwas Hoffnung: Der Preissprung sollte vorübergehend sein.

Supermarktregal
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Die Teuerung in Deutschland hat im Juli deutlich angezogen und erstmals seit 13 Jahren die Drei-Prozent-Marke überschritten. Die Verbraucherpreise lagen um 3,8 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag anhand einer vorläufigen Berechnung mitteilte. Damit lag die jährliche Inflationsrate in Europas größter Volkswirtschaft erstmals seit August 2008 wieder über der Marke von drei Prozent. In der damaligen Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die Teuerung wiederholt über drei Prozent gelegen.

Von Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich 3,3 Prozent erwartet, nachdem die Inflationsrate im Juni noch bei 2,3 Prozent gelegen hatte. "Verantwortlich für den weiteren Anstieg der Inflationsrate im Juli 2021 ist insbesondere ein Basiseffekt, der auf die coronabedingte Senkung der Mehrwertsteuersätze im Juli 2020 zurückzuführen ist", erklärten die Statistiker. Die Bundesregierung hatte die Mehrwertsteuer in der zweiten Jahreshälfte 2020 im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gesenkt, was viele Waren und Dienstleistungen günstiger machte. Jetzt kehrt sich dieser Effekt um.

Bauen wird deutlich teurer, weil Holz und Stahl so teuer geworden sindBild: Winfried Rothermel/picture alliance

Fünf Prozent durchaus möglich

Ökonomen zufolge dürfte sich der Preisauftrieb in den kommenden Monaten weiter beschleunigen. "Es sollte niemanden überraschen, wenn die Verbraucherpreise am Jahresende in Deutschland nahe bei fünf Prozent und ohne Mehrwertsteuereffekt bei vier Prozent im Plus liegen", sagte der Chefvolkswirt des Vermögensverwalters HQ Trust, Michael Heise. Auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann rechnet damit, dass sich die Inflationsrate in diese Richtung bewegen könnte. Entspannung ist wohl erst im nächsten Jahr in Sicht, wenn der Mehrwertsteuereffekt wieder verschwindet. "Für eine auch längerfristig spürbar über zwei Prozent liegende Inflationsrate müssten allerdings auch die Löhne anziehen, wofür es bisher noch keine Anzeichen gibt", sagte Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen.

Für Friedrich Heinemann vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat damit "der erwartete starke Anstieg der Inflation begonnen". In den nächsten Monaten dürfte Deutschland den stärksten Inflationsschub seit drei Jahrzehnten erleben. "Die aktuelle Inflation ist eine Folge der Pandemie und ihrer weltweiten ökonomischen Verwerfungen. Eine über viele Monate aufgestaute Nachfrage trifft derzeit auf ein immer noch begrenztes globales Güterangebot." Auch wenn etliche dieser Effekte nur vorübergehender Natur seien, dürfe man die Folgen und Risiken des starken Inflationsanstiegs nicht verharmlosen.

Hohe Nachfrage treibt die Preise

"Hinter dem aktuellen Preisauftrieb stehen starke Verteuerungen verschiedenster Rohstoffe sowie Lieferengpässe bei wichtigen Vorleistungen, die zu langen Lieferzeiten und geringen Lagerbeständen geführt haben", sagte Heise. So verteuerte sich Energie im zu Ende gehenden Monat um 11,6 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Nahrungsmittel kosteten 4,3 Prozent mehr. "Außerdem haben einige Dienstleister erwartungsgemäß das Wiederöffnen genutzt, um bei hoher Nachfrage auch ihre Preise anzuheben", sagte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. "Die Bürger wollen ja wieder in die Gaststätten und Kneipen."

Auch Störungen im weltweiten Warenverkehr wie die Havarie der "Ever Given" im Suezkanal sorgen für steigende PreiseBild: AFP/Getty Images

Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt in der Währungsunion mittelfristig eine Teuerung von zwei Prozent an. Für eine Übergangszeit nimmt sie auch ein Überschreiten dieser Zielmarke in Kauf, um weiterhin mit viel billigem Geld die Konjunkturerholung in der Euro-Zone anschieben zu können. Die EZB hilft damit auch hoch verschuldeten Staaten wie Italien, die sich deshalb sehr günstig refinanzieren können.

Für viele Arbeitnehmer bedeutet die hohe Inflation einen realen Kaufkraftverlust. Die Löhne von Millionen Beschäftigten mit einem Tarifvertrag werden dem gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) zufolge 2021 erstmals seit einem Jahrzehnt langsamer steigen als die Verbraucherpreise. Unter Berücksichtigung der im ersten Halbjahr abgeschlossenen Verträge und der in den Vorjahren für 2021 vereinbarten Erhöhungen dürften die Tariflöhne um durchschnittlich 1,6 Prozent zulegen.

hb/ul (dpa,rtr)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen