1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Seehofer: "Das ist zutiefst bedauerlich"

11. Juli 2018

Nach dem Selbstmord eines Flüchtlings wenige Tage nach seiner Abschiebung nach Afghanistan gerät Innenminister Horst Seehofer unter Druck. Dieser weist Rücktrittsforderungen vehement zurück.

Deutschland Abschiebung von Flüchtlingen in München nach Afghanistan
In München kommen Afghanen am Flugzeug an, mit dem sie abgeschoben werden sollen (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/M. Balk

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat den Rücktrittsforderungen von Linken und FDP nach dem Suizid eines abgeschobenen afghanischen Flüchtlniges eine Absage erteilt. Er verstehe diese Forderungen überhaupt nicht, sagte Seehofer in Innsbruck vor Journalisten. Der Bund sei bei der Auswahl der Flüchtlinge für den Abschiebeflug nicht zuständig. "Der Flüchtling wurde uns von der Hansestadt Hamburg gemeldet", sagte Seehofer. Die Bundesländer würden die Flüchtlinge auswählen. Warum ausgerechnet dieser Mann ausgewählt worden sei, müssten die Hamburger Behörden sagen.

Seehofer sagte, "der Vorgang ist natürlich zutiefst bedauerlich". Er habe erst am Mittwochvormittag davon erfahren. Zu dem Zeitpunkt seiner umstrittenen Äußerungen über den Abschiebeflug habe er noch nichts davon gewusst. 

Der abgeschobene Asylbewerber hatte sich nach seiner Rückkehr in seine Heimat Afghanistan erhängt. Der vor einer Woche aus Hamburg abgeschobene Mann sei in einer Unterkunft der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Kabul tot aufgefunden worden, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mit. Auch die IOM bestätigte dies. Alles deute nach Angaben der Behörden vor Ort auf einen Selbstmord hin.

Der 23-jährige Mann stammte aus der nordafghanischen Provinz Balkh. Laut der Flüchtlingshilfsorganisation "Pro Asyl" habe er acht Jahre lang in Deutschland gelebt, bevor er abgeschoben worden sei. In der Unterkunft, in der er gefunden wurde, gewährt die IOM Flüchtlingen, die zurück kommen und nicht wissen wohin, für einige Tage ein Dach über dem Kopf.

In Kabul bietet die IOM erste Orientierung für RückkehrerBild: Getty Images/C. Hondros

Masood Ahmadi von der IOM bestätigte der DW den Vorfall. "Die IOM hat keine Rolle bei der Rückführung des Mannes nach Afghanistan gespielt", so Ahmadi. "Wir arbeiten nur mit Menschen zusammen, die freiwillig zurückkehren, bieten aber trotzdem zeitlich begrenzte Unterkünfte für Abgeschobene an, wenn sie das wollen." Die Organisation appelliere weiterhin an die Regierungen auf der ganzen Welt, Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr zu schaffen. "Wir erleben herzzerreißende Ereignisse, wenn Menschen gewaltsam nach Afghanistan zurückgeschickt werden", so Ahmadi.

"Allen Jungs geht es sehr schlecht", berichtete Abdul Azim Sultani, einer der in dem Hotel untergebrachten abgeschobenen Asylbewerber, der Deutschen Welle. "Viele der Jungs hier haben geweint und mir ging es auch nicht viel besser. Wir haben sowieso schon viele Probleme und kein Geld. Jetzt haben wir auch noch Angst."

Verurteilter Straftäter

Unterdessen haben die Behörden in Hamburg bestätigt, dass der abgeschobene Afghane in der Hansestadt gelebt hat. Sie betonten zugleich, dass Hamburg nach Afghanistan nur Straftäter und Gefährder sowie Menschen abschiebe, die sich der Identitätsfeststellung verweigerten. Der betroffene 23-Jährige sei rechtskräftig wegen Diebstahls, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden, sagte ein Sprecher der Hamburger Ausländerbehörde. Es hätten noch weitere Strafanzeigen unter anderem wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung gegen den Mann vorgelegen.

Der Afghane war den Angaben zufolge 2011 eingereist und hatte im selben Jahr einen Asylantrag gestellt. Dieser sei 2012 abgelehnt worden. Die dagegen eingereichte Klage sei 2017 mit einem Beschluss des Verwaltungsgerichts zurückgenommen worden, weil sie vom Kläger nicht weiter betrieben worden sei. Kurz danach habe der Mann im März 2017 noch eine Duldung bekommen, weil die Abschiebung nicht vollziehbar gewesen sei. Er sei dann vor einer Woche abgeschoben worden, weil er nun vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei, sagte der Sprecher des Hamburger Einwohnerzentralamts. Der Afghane sei ledig gewesen und habe keine Kinder gehabt. 

69 Flüchtlinge an Seehofers Geburtstag abgeschoben

Mit dem jüngsten Abschiebeflug aus Deutschland hatten Bund und Länder mit 69 Passagieren ungewöhnlich viele abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. Allein Bayern hatte 51 Menschen zurückgeschickt. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich zufrieden über die hohe Zahl der Abgeschobenen geäußert. Er hatte am Dienstag bei der Vorstellung seines "Masterplans Migration" in Berlin gesagt: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war."

Für diese Äußerung erntete Seehofer massive Kritik von Hilfsorganisationen und Oppositionspolitikern. Flüchtlingsaktivisten von Pro Asyl und dem Bayerischen Flüchtlingsrat hatten kritisiert, dass die seit einem schweren Anschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul geltende Selbstverpflichtung, nur Straftäter, terroristische Gefährder und sogenannte Identitätstäuscher abzuschieben, weggefallen sei. Selbst "gut integrierte Personen" würden nun abgeschoben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe dem öffentlich beigepflichtet. "Sie trifft damit eine Mitverantwortung", erklärten die Menschenrechtler.

"Pro Asyl hält Abschiebungen nach Afghanistan wegen der unsicheren Situation generell nicht für vertretbar", sagte Bernd Mesovic von der Hilfsorganisation der DW. "Umso mehr gilt dies für junge Männer, die die Realität des Landes nach Jahren im Ausland kaum noch kennen und die es kaum schaffen können, sich ein Auskommen zu schaffen unter den vielen Binnenflüchtlingen, die die Situation in den Großstädten extrem schwierig machen. Für die jungen Menschen kommen wohl ein Gefühl des Gescheitertseins und die Perspektivlosigkeit zusammen."

Kritik von SPD und Regierungsopposition

Aus den Reihen der SPD werden unterdessen Rücktrittsforderungen laut. Juso-Chef Kevin Kühnert schrieb bei Twitter, Seehofer sei ein "erbärmlicher Zyniker und dem Amt charakterlich nicht gewachsen". Sein Rücktritt sei überfällig. SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel twitterte zudem, Zynismus verbiete sich, das hätten die letzten Stunden wieder einmal bewiesen.

Die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe ging noch weiter, forderte bei Twitter Seehofers Entlassung. Er habe Menschenleben auf dem Gewissen und sei als Minister "nicht tragbar".

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), es sei zynisch, dass Seehofer Witze über Abschiebungen mache. "Ganz offensichtlich ist er in seinem Amt moralisch überfordert und schlicht ungeeignet, seine Aufgaben verantwortungsvoll zu erfüllen." Der Fall beweise, wie unmenschlich die deutsche Asylpolitik geworden sei. "Abschiebungen in Kriegsgebiete sind falsch", sagte Hofreiter. 

Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke hat im Zusammenhang mit dem Suizid des Afghanen ein Ende der Abschiebungen in das Land gefordert. "Die Lage dort wird immer schlimmer, aber Deutschland weitet die Abschiebungen aus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das tödliche Folgen hat", sagte die Innenpolitikerin der Linkspartei der Deutschen Presse-Agentur.

"Vor dem Hintergrund dieses Selbstmordes wird die öffentlich geäußerte Freude Seehofers, an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben zu haben, umso widerwärtiger", fügte sie hinzu. Jelpke erklärte: "Wer nach Afghanistan abschiebt, tötet." Seehofer habe "ganz offenbar ein unheilbares Defizit an Mitmenschlichkeit". Es sei höchste Zeit, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel "den Mann rausschmeißt".

jmw/sam (dpa, rtr, kna DW)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen