Seehofer will mehr Polizeischutz
21. Februar 2020Der Bundesinnenminister drückte seine Besorgnis aus, dass es zu Nachahmungstaten sowie Vorfällen aus Wut über den Anschlag von Hanau kommen könne. Seehofer verwies zudem auf die zahlreichen Großveranstaltungen etwa zum Karneval, die für die kommenden Tagen geplant sind.
Über die neuen Schutzmaßnahmen habe er bereits mit seinen Amtskollegen aus den Ländern gesprochen und ein konkretes Vorgehen abgestimmt. Die Bundespolizei werde die Polizeibehörden der Länder unterstützen.
Seehofer wurde auch sehr konkret bei der Gefahreneinschätzung: "Wir haben im rechten Bereich eine sehr hohe Gefährdungslage für unser Land, für unsere Demokratie und für den Schutz unserer Bevölkerung. Von diesem Bereich geht derzeit die höchste Bedrohung für die Sicherheit in unserem Lande aus", sagte der CSU-Politiker.
Keine Vergleiche
Andere Bedrohungslagen, etwa Islamismus oder Reichsbürger, behalte man im Blick. Vergleiche und Relativierungen lehne er ab. Zu sagen, "aber wir haben doch auch einen Linksextremismus", akzeptiere er überhaupt nicht, sagte Seehofer. Den gebe es und man bekämpfe ihn auch. Aber man dürfe damit nicht die Gefährdungslage, die hohe Gefährdungslage durch Antisemitismus, Rechtsextremismus und Terrorismus relativieren.
Auch die Verantwortung des Täters unter Verweis auf Verwirrtheit zu relativieren, wolle er nicht akzeptieren, sagte Seehofer. "Der rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden." AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte zuvor Vorwürfe mehrerer Parteien nach einer indirekten Mitverantwortung seiner Partei AfD zurückgewiesen und von einem "offensichtlich völlig geistig verwirrten Täter" gesprochen.
In Hanau hatte ein 43 Jahre alter Deutscher am Mittwoch in zwei Shisha-Bars das Feuer eröffnet, neun Menschen wurden getötet. Der mutmaßliche Todesschütze soll in seiner Wohnung auch seine Mutter erschossen haben, bevor er sich selbst tötete.
Kontaktaufnahme
Generalbundesanwalt Peter Frank bestätigt, dass die Bundesanwaltschaft schon im vergangenen November Kontakt mit dem mutmaßlichen Attentäter hatte. Damals sei bei seiner Behörde eine Anzeige des Mannes eingegangen. Er habe darin Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt und darin zum Ausdruck gebracht, dass es eine übergreifende große Organisation gebe, die vieles beherrsche, "sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern". In der Anzeige waren nach Franks Angaben keine rechtsextremistischen oder rassistischen Ausführungen enthalten. Man habe aufgrund dieses Schreibens kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch der Vater des mutmaßlichen Täters sei in der Vergangenheit im Kontakt mit Behörden durch verschiedene Schreiben sowie Beschwerden aufgefallen. Der Mann sei bei der "Wohnungsöffnung" des mutmaßlichen Täters in der Nacht zum Donnerstag angetroffen worden. Er sei aber kein Beschuldigter des Ermittlungsverfahrens, sondern im Zeugenstatus.
Seehofer spricht von rechtsterroristischem Anschlag
Seehofer will an diesem Freitag auch mit Vertretern der Muslime in Deutschland zusammentreffen, um weitere Maßnahmen zu besprechen. Zu den Angriffen von Hanau sagte der Minister: "Die Tat in Hanau ist eindeutig ein rassistisch motivierter Terroranschlag." Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag auf die Synagoge in Halle im vergangenen Jahr sei es der dritte rechtsterroristische Anschlag in wenigen Monaten. Die Gefahr durch Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sei in Deutschland sehr hoch.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will nach der Gewalttat prüfen, ob die jüngsten Verschärfungen im Waffenrecht konsequent umgesetzt werden. Demnach müssen die Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben. Sie wolle prüfen, ob das auch passiere, sagte die Ministerin.
"Wir müssen deutlich machen, wo die Grenzen in diesem Rechtsstaat sind." Eine solche Bluttat entstehe nicht aus dem Nichts. Verschwörungstheorien seien der Nährboden, auf dem der Hass sich entwickeln könne, der zu derartigen Taten führen könne. "Keinen Fußbreit diesem braunen Sumpf, keinen Fußbreit solchen rassistischen Ideologien."
Mahnungen von Muslim-Verbänden
Unterdessen riefen Vertreter der Islam-Verbände nach der Bluttat in Hanau deutsche Politiker auf, Islamfeindlichkeit klar als Problem zu benennen. Der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Zekeriya Altug, sagte in Berlin, er habe von den Politikern auch nach dem Anschlag "diese klare Haltung vermisst". Er hätte sich gewünscht, dass bei den Gedenkveranstaltungen in Hanau deutlich benannt worden wäre, dass die Opfer Muslime waren. Es sei zwar gesagt worden, "dass man zusammenstehen möchte, aber nicht mit wem".
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) verlangte auch vor dem Hintergrund der akuten Bedrohungssituation, dass es vor den Moscheegemeinden auch "sichtbaren Schutz" gebe, etwa durch einen Polizeiwagen, wie der Vorsitzende Aiman Mazyek der DW sagte. Dies sei vor allem zu den wichtigsten Gebetszeiten und vor Moscheen nötig, auf die es in der Vergangenheit schon Übergriffe gegeben habe. Die Muslime seien in dieser Frage gespalten, sagte der Vorsitzende des Islamrates. "Es gibt auch viele, die sich dadurch gestört fühlen würden."
Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, sagte: "Es ist Aufgabe der Politik, aber vor allem dieser Bundesregierung, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in der die Einwanderungsgesellschaft als Bereicherung anerkannt wird." Zur Frage der Sicherheit vor rassistischen Angriffen fügte Altug hinzu, zusätzliche Schutzmaßnahmen für Moscheen seien notwendig. Das bedeute aber nicht, dass künftig vor jeder Moschee ein Polizist stehen müsse. Denn antimuslimische Rassisten würden sich dann nur andere Orte aussuchen, um Muslime anzugreifen. "Die Shisha-Bars waren ja nicht willkürlich gewählt", sagte er.
LKA nennt Staatsangehörigkeiten der Hanauer Opfer
Das hessische Landeskriminalamt (LKA) hat die Nationalitäten der Opfer des Anschlags von Hanau aufgelistet. Drei der Toten haben eine deutsche Staatsangehörigkeit, zwei eine türkische, eine bulgarische und eine rumänische. Ein Mensch kommt aus Bosnien-Herzegowina, und ein Opfer hat eine deutsche und afghanische Staatsangehörigkeit. Die Angaben gehen aus einer E-Mail des LKA hervor, die an die Stadt Hanau ging. Hinzukommt bei den Toten die deutsche Mutter des Attentäters.
Einsatz in Dortmund
Offenbar zeigt die verstärkte Präsenz der Sicherheitsorgane bereits erste Erfolge. Bei einem Einsatz am Dortmunder Flughafen verhinderte die Bundespolizei die Ausreise von mutmaßlichen Mitgliedern der rechten Szene nach Sofia. 22 Menschen seien kontrolliert worden. Sie stünden im Verdacht, an einer auch von Rechtsextremisten besuchten Veranstaltung in der bulgarischen Hauptstadt teilnehmen zu wollen, sagte ein Polizeisprecher. Auf Twitter schrieb die Bundespolizei, es handele sich bei den gezielt kontrollierten Personen um Deutsche. Ziel der Personen aus dem rechten Spektrum sei wahrscheinlich der sogenannte Lukovmarsch, der am Samstagabend in Sofia stattfindet. Er gelte seit Jahren als Treffen Rechtsextremer aus dem In- und Ausland, sagte der Sprecher.
cgn/as/kle (afp, dpa, rtr)