Innenministerin will EU-Asylgesetze schneller umsetzen
10. Oktober 2024Rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien haben in den letzten Monaten bei den Europawahlen, bei nationalen Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Österreich und bei Landtagswahlen in Deutschland große Erfolge erzielt. Seither steht ein Thema wieder ganz oben auf der europäischen Tagesordnung: Migration.
Die Innenministerinnen und Innenminister der EU wollen mehrheitlich die Regeln für Einreisende verschärfen, mehr Grenzkontrollen sowie Rückführungen und Abschiebungen erleichtern. Die Zahlen sollen runter. Darin ist man sich einig.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schrieb in einem Brief an die Europäische Kommission im September, Deutschland sei an seiner Belastungsgrenze angekommen. Es drohe eine Überforderung der Gemeinden bei der Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen.
Einige Bestimmungen vorziehen
Wie das Ziel von weniger Ankünften auf europäischer Ebene erreicht werden kann, darüber diskutierten die zuständigen Ministerinnen und Minister in Luxemburg. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach sich im Interview mit der DW dafür aus, einzelne Maßnahmen des neuen europäischen Asylpaktes, der im Sommer 2026 in Kraft tritt, bereits heute umzusetzen, soweit das rechtlich möglich ist.
Die neue niederländische Regierung will diesen Asylpakt allerdings komplett aufkündigen und die gemeinsame EU-Migrationspolitik ganz verlassen. Die ungarische und auch die polnische Regierung hegen ähnliche Ansichten. Der Asylpakt sieht schnellere Verfahren an den EU-Außengrenzen vor, aber auch die solidarische Verteilung der aussichtsreichen Asylbewerber auf mehr Mitgliedsstaaten.
Das bisherige System, benannt nach der irischen Stadt Dublin, funktioniere nicht mehr, mahnt die deutsche Innenministerin Nancy Faeser immer wieder. Nach den Dublin-Regeln wären die Staaten der ersten Einreise, also Griechenland, Italien, Bulgarien, Rumänien, Kroatien oder Spanien für die meisten Asylsuchenden zuständig.
In der Praxis aber reisen die meisten Asylsuchenden weiter und stellen ihre Anträge in Deutschland, Frankreich oder Österreich. Theoretisch könnten diese Menschen in die Staaten der Ersteinreise zurückgeschickt werden, was aber oft nicht gelingt. In Luxemburg sagte die deutsche Ministerin, man müsse die Dublin-Regeln wirklich konsequent anwenden.
"Es kann nicht sein, dass es an Übergangsvorschriften und Überstellungsvorschriften scheitert. Wir müssen das System wieder ans Laufen bringen." Die Dublin-Regeln zur Registrierung und Rücknahme von Asylsuchenden würden vor allem von Italien und Griechenland missachtet. Es gebe aber Fortschritte in den Gesprächen mit den beiden Ländern, so Faeser. Mit dem neuen Asylpakt werde es zum ersten Mal eine verpflichtende Solidarität einen Verteilmechanismus geben. "Wir haben diesen Staaten als Bundesrepublik aber immer geholfen. Insofern setzen wir jetzt darauf, dass wir jetzt auch Unterstützung bekommen", so Faeser gegenüber der DW.
Faeser sieht Deutschland überlastet
Die deutsche Innenministerin sagte in Luxemburg, man müsse "deutlich machen, dass nicht alle Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die in die EU kommen, nur bei uns aufgenommen werden können."
Nach absoluten Zahlen verzeichnet Deutschland in der EU die meisten Erstanträge auf Asyl (350.000 im Jahr 2023), gefolgt von Frankreich (170.000) und Spanien (100.000). Pro Kopf der Bevölkerung haben Zypern und Österreich die meisten Asylbewerber registriert.
Ein neues Verteilungssystem ist im Asylpakt angedacht, allerdings ist die tatsächliche Unterbringung von Asylsuchenden auf freiwilliger Basis geregelt. EU-Staaten, die keine aussichtsreichen Asylbewerber aus künftigen Asylzentren an den EU-Außengrenzen aufnehmen wollen, können stattdessen Ausgleichszahlungen leisten.
Menschen, die ohne gültige Papiere nach Deutschland einreisen wollen und kein Asylbegehren vorbringen, sollen direkt an den Grenzen abgewiesen werden. Dazu hat Deutschland wieder Ausweiskontrollen im September an allen Grenzen eingeführt.
Auch andere Staaten wie Dänemark oder Österreich kontrollieren Teile ihrer Grenzen. Obwohl diese Kontrollen nach EU-Recht eigentlich eine absolute Ausnahme sein sollen, sind sie nach Einschätzung vieler EU-Staaten doch erforderlich, weil erfolgreich.
Die deutsche Innenministerin gibt an, dass eine erhebliche Zahl irregulär Einreisender gleich an der Grenze abgewiesen werden konnte. Auch der österreichische Innenminister Gerhard Karner lobt das strengere Grenzregime. Die als illegal angesehenen Einreisen aus Ungarn in sein Land seien drastisch zurückgegangen, sagte Karner in Luxemburg. "Das muss solange andauern, bis wir die Außengrenzen besser schützen. im Zweifel eben bis der Pakt umgesetzt ist", antwortete Nancy Faeser auf die Frage, wie lange die Grenzkontrollen durchgeführt werden sollen.
Einfacher rückführen
Deutschland und andere Staaten mit hohen Einreisezahlen sprechen sich dafür aus, die Richtlinie in der EU, die Abschiebungen in Drittstaaten und Rückführungen in andere eigentlich zuständige EU-Mitgliedsstaaten regelt, zu reformieren. Rückführungen zum Beispiel nach Griechenland, das Land der ersten Einreise vieler Asylsuchender, sollen einfacher werden.
Der griechische Innenminister Nikolaos Panagiotopoulos ist von dieser Idee nicht begeistert. "Rückführungen sollten in dem Rahmen stattfinden, den wir jetzt haben", sagte der griechische Minister in Luxemburg. Sein Land leiste Erhebliches und stehe unter großem Druck. Es müsse gemeinsam in einem "Geist der Solidarität" entschieden werden. "Wenn jeder selbst entscheidet, haben wir ein Problem", so Panagiotopoulos.
Flüchtlings-Expertin: "Migrationsdruck bleibt"
Die Kritik, dass die Dublin-Regeln zu viel Last auf die Länder an den EU-Außengrenzen abladen, ist nicht neu, meint Catherine Woollard. Sie ist die Direktorin des Europäischen Rates für Flüchtlinge und Exil, einer Lobbyorganisation für Flüchtlingshilfe in Brüssel. Die Regeln führten dazu, dass sich Länder wie Griechenland oder Italien möglichst unattraktiv für Flüchtlinge und Asylsuchende machten.
"Die Länder haben einen Anreiz, ihre Standards so weit zu senken, dass es rechtlich unmöglich wird, Personen dorthin zurückzuführen. Das ist ein bekanntes Problem, das nur zu lösen ist, wenn sich wirklich alle Staaten in der gesamten EU an die Regeln halten", so Catherine Woollard gegenüber der DW.
Die Verschärfung der Regeln und das Hin- und Herschieben von Asylsuchenden von einem EU-Land ins andere werde am Migrationsdruck insgesamt wenig ändern, glaubt die Asylexpertin. "Die Wahrheit ist, dass fliehende Menschen wegen der globalen Krisen, auch der instabilen Lage in der Nachbarschaft der EU, weiter in der Europäischen Union ankommen werden. Es muss deshalb ein gemeinsames System geben, das auf einer rechtsstaatlichen Basis funktioniert. Alles andere würde ins komplette Chaos führen."
In der kommenden Woche sollen sich die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel ebenfalls mit der Migration beschäftigen. Sie wollen der neuen EU-Kommission eine grobe Richtung für die Verschärfung der Asylverfahren mit auf den Weg geben.