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Und die Bürgerrechte?

23. September 2009

Wer über innere Sicherheit redet, spricht von alltäglicher Kriminalität, von Menschenhandel, von Terror-Anschlägen - aber auch von Militäreinsätzen im Ausland und der Einschränkung von immer mehr Bürgerrechten.

Ein Kugelschreiber zeigt an einem Computermonitor auf eine Anrufliste (Grafik: DPA)
Bild: picture-alliance/ dpa

Spätestens seit dem Ausspruch des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD), dass die "Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt" werde, sind die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit auch semantisch verschwommen. Das Selbstverständnis der derzeitigen Regierung in Berlin aus Konservativen (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) ist schriftlich festgehalten, und zwar im 2005 geschlossenen Koalitionsvertrag: "Angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus greifen innere und äußere Sicherheit immer mehr ineinander." Also machte sich die Große Koalition daran, mit einer Vielzahl von neuen Gesetzen und Einrichtungen die Sicherheit des Landes und seiner Bürger zu schützen. Eine Politik, die von der Opposition im Bundestag weitgehend abgelehnt wird und die oft gegen das Grundgesetz verstieß.

Merkel: "Auch Deutschland ist im Visier"

Auf der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode erinnerte Bundeskanzlerin Angela Merkel daran, welches Ereignis den Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur ausgelöst habe, nämlich die Attentate islamistischer Terroristen am 11. September 2001 in den USA. Es folgten weitere verheerende Anschläge, auch in Europa, in Madrid und London. "Auch Deutschland, das wissen wir, ist im Visier", mahnte die Kanzlerin.

Kanzlerin Merkel warnt vor der Terror-Gefahr. Foto: dpaBild: picture alliance/dpa

Deutschland ist vor allem deshalb im Fadenkreuz potenzieller Attentäter, weil es sich mit mehreren Tausend Soldaten am Anti-Terror-Kampf in Afghanistan beteiligt. Immer wieder tauchen im Internet Droh-Botschaften auf, in denen Anschläge in Deutschland ankündigt werden. Oft sind darin aus Deutschland stammende Männer zu sehen. Wenige Tage vor der Bundestagswahl verlangte der Bonner Islamist Bekkay Harrach in einem Video den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Dass Deutschland bislang verschont geblieben ist, war zum Teil Glück, lag aber auch an der guten Arbeit der Sicherheitsbehörden. Hundertprozentige Sicherheit allerdings könne der Staat nicht garantieren, sagt die Bundeskanzlerin. "Der Staat darf sich aber auch niemals dem Vorwurf aussetzen, er hätte nicht alles versucht, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu garantieren", ergänzt Merkel.

Zahlreiche Sicherheitsgesetze verfassungswidrig

Um der tatsächlichen oder auch nur behaupteten Bedrohung Herr zu werden, hat die Regierung eine ganze Reihe von Gesetzen erlassen. Unter anderem darf das Bundeskriminalamt (BKA) jetzt präventiv, also vorbeugend tätig werden und sollte dazu auch mit technischen Hilfsmitteln auf private Computer zugreifen können. Gegner der so genannten Online-Durchsuchung haben dagegen erfolgreich Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Auch in einem anderen Fall haben die Richter bereits zugunsten der Kläger entschieden. Das so genannte Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss entführter Passagier-Flugzeuge ermöglichen sollte, sei nicht mit der Menschenwürde vereinbar, weil auch Unschuldige ums Leben kommen könnten. Aus Sicht des deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble (CDU) sind die Urteile wenig hilfreich im Anti-Terror-Kampf. Er versuche nicht, den Menschen dauernd Angst und Besorgnis einzureden, aber man müsse "natürlich Entwicklungen in der Welt, veränderte technologische Möglichkeiten der Bedrohung wahrnehmen und sich angemessen darauf vorbereiten", rechtfertigt Schäuble seine Politik.

Umstrittene Anti-Terror-Datei

Endstation für etliche Anti-Terror-Gesetze: das Bundesverfassungsgericht. Foto: dpaBild: picture-alliance/ dpa

Umstritten ist auch die zentrale Anti-Terror-Datei. Darin werden alle Informationen erfasst, die von den Polizeien, Verfassungsschutzämtern und anderen Geheimdiensten des Bundes und der 16 Länder gesammelt werden. Mit dieser Maßnahme sollen mutmaßliche Terroristen identifiziert werden. Männer, wie die so genannten Kofferbomber, die vor drei Jahren Sprengsätze in Zügen deponierten, die zum Glück nicht explodierten.

Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) und heutige Staatssekretär im Innenministerium, August Hanning, verspricht sich davon rechtzeitige Erkenntnisse. So könne man nicht wie im Flugverkehr den gesamten Reiseverkehr im Bahn-Bereich überwachen, sagt Hanning. "Deswegen ist es so wichtig, im Vorfeld die notwendigen Informationen zu beschaffen."

Gegner der zentralen Anti-Terror-Datei wie die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, lehnen sie ab, weil das rechtliche Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei in der Strafverfolgung aufgehoben sei. "Diese Grenzen müssen ganz klar durchgesetzt werden, sonst wird unser Rechtsstaat untergraben", befürchtet Roth.

Klage gegen europäische Vorratsdatenspeicherung

Ein weiteres Mittel im Anti-Terror-Kampf ist die so genannte Vorratsdatenspeicherung, die auf einer Richtlinie der Europäischen Union basiert. Sechs Monate lang werden sämtliche Kommunikationsdaten im Telefon- und Internetverkehr gespeichert. Auch dieses Gesetz ist rechtlich stark umstritten und landete vor dem Bundesverfassungsgericht. Zu den Klägern gehören Politiker der Freien Demokraten (FDP). Deren innenpolitischer Experte im Bundestag, Max Stadler, lehnt die Speicherung vor allem ab, weil es sich um Daten von völlig unverdächtigen Menschen handele. "Früher durfte der Staat nur in die Privatsphäre eingreifen, wenn es konkrete Verdachtsmomente gab", umreißt Stadler den wesentlichen Unterschied.

"Rettet die Grundrechte!" Ex-Innenminister Gerhart Baum. Fotto: dpaBild: picture-alliance/dpa

Diese und andere Beispiele zeigen, wie umstritten das Thema innere Sicherheit in Deutschland ist. Dazu gehören auch die Strafandrohungen für den Aufenthalt in so genannten Terror-Camps, die Erfassung biometrischer Daten in Ausweispapieren oder die im Mai dieses Jahres wieder eingeführte so genannte Kronzeugenregelung, die kooperativen Tätern unter bestimmten Voraussetzungen Strafmilderung gewährt. Dem vom Parlament gewählten Datenschutzbeauftragten des Bundes, Peter Schaar, gehen viele Regelungen zu weit. Er fordert eine generelle Überprüfung. "Was haben die Gesetze gebracht? Wie tief haben sie in die Privatsphäre eingegriffen? Aber letztlich auch: Wie effektiv waren sie?", fragt Schaar.

Ex-Minister Baum: "Bürgerfreiheit contra Sicherheitswahn"

Zu den bekanntesten Kritikern der Sicherheitspolitik der Großen Koalition gehört der frühere Innenminister Gerhart Baum. Der inzwischen 77-Jährige amtierte in der Hochzeit des linksextremistischen Terrors der Roten Armee Fraktion Ende der 1970er, Anfang der 1980er-Jahre. Der Freidemokrat sorgt sich um die Substanz des Rechtsstaates. Er ist entsetzt, dass Folter als Ermittlungsmethode überhaupt diskutiert wird und dass die USA illegale Gefangenenlager wie Guantanamo unterhalten. Plötzlich sei ein Krimineller ein Feind, gegen den man mit kriegerischen Mitteln vorgehe, beklagt Baum eine aus seiner Sicht völlig inakzeptable Akzentverschiebung. "Und das ist ja auch die Philosophie der Amerikaner gewesen, sozusagen ein Feind-Strafrecht zu etablieren, das leider auch bei der Staatsrechtslehre in Deutschland wieder vertreten wird", empört sich der Alt-Liberale.

Vor kurzem hat Baum ein Buch veröffentlicht, dessen Titel ein Appell ist: "Rettet die Grundrechte!". In der Unterzeile heißt es "Bürgerfreiheit contra Sicherheitswahn". In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Politik der inneren Sicherheit in Deutschland seit vielen Jahren.

Autor: Marcel Fürstenau

Redaktion: Kay-Alexander Scholz