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Politik

"Ins Zentrum der Demokratie rücken!"

15. Oktober 2018

Was heißt es für die Grünen, wenn sie im eigentlich konservativen Bayern fast 18 Prozent der Stimmen bekommen? Über die Stimmung in Berlin beim Wahlsieger am Tag danach.

Bildergalerie Politischer Aschermittwoch - Grüne - Habeck
Bild: picture alliance / Andreas Gebert/dpa

An Selbstbewusstsein hat es Robert Habeck noch nie gemangelt. Seit Januar ist der 49 Jahre alte Schriftsteller aus Flensburg Parteichef der Grünen. Und jetzt hat die Partei in Bayern gleich 17,5 Prozent geholt, das ist ein Ansage. Das Ergebnis der vorherigen Landtagswahl wurde verdoppelt. Und wieder einmal diskutieren die Grünen, ob das jetzt der Schritt war hin zur Volkspartei. Nicht zu einer Volkspartei wie der SPD oder der CDU, aber doch raus aus den klassischen grünen Milieus. Diese Debatte gab es schon mal, etwa nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011, als die Umweltschutzpartei auf ähnlich gute Ergebnisse und Umfragen kam wie jetzt.

"Wir sind nicht mehr nur Projektpartei!"

Aber jetzt wird die Frage klar beantwortet, so klar wie noch nie in der Geschichte der Grünen. Habeck steht an diesem Montag vor der Parteizentrale in Berlin, das Wetter ist so wie die Stimmung, fast noch sommerlich. Habeck sagt: "Wir haben die Aufgabe, ins Zentrum der Demokratie zu rücken, und nicht mehr nur Projektpartei zu sein, wie das vielleicht vor 15 Jahren noch der Fall war. Das ist ohne Frage eine neue Rolle für uns, aber eine, die wir suchen und die wir haben wollen." Und er fügt hinzu, die Grünen hätten es sich zwar nicht ausgesucht, die SPD als führende linke Kraft abzulösen, aber den Zuspruch aus allen Winkeln der Gesellschaft lehne seine Partei auch nicht ab.

"Wir würden das ernsthaft ausloten!"

Da waren frühere Parteiführungen doch weit zögerlicher. Aber die neue, frische Generation an der Spitze der Grünen, Habeck, aber auch seine Kollegin Annalena Baerbock, sind die ewigen Debatten um die Frage, mit wem die Grünen koalieren dürfen, schlicht leid. Ihre Antwort lautet: Eigentlich mit allen demokratischen Parteien, also auch - theoretisch - mit der CSU. Bei Habeck klingt das so: Auf jeden Fall werde es jetzt mehr grüne Politik in Bayern geben, und "sollte es noch eine Chance geben, darüber zu reden, das auch in der Regierung zu tun, werden wir das ernsthaft ausloten und probieren."

Beste Stimmung bei den Grünen am Wahltag: Aber der Höhenflug wirft auch Fragen aufBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Trotzdem: In Bayern bleibt wohl nur die Opposition

Das Problem ist: Im Moment sieht es nicht danach aus, dass die Grünen in Bayern mit an die Macht kommen, denn die CSU kann auch mit den konservativen, ländlich geprägten "Freien Wählern" regieren und will das offenbar tun. Das ist dann der Wermutstropfen am Tag nach dem großartigen Erfolg: In Bayern werden die Grünen wohl in die Opposition gehen. Dabei sind sie schon lange in den Ländern stark: In neun Bundesländern regieren die Grünen mit, in Baden-Württemberg stellen sie sogar den Ministerpräsidenten, stehen in Koalitionen mit der SPD, mit den Linken, mit der CDU, auch mit der FDP. Zumeist geräuschlos und effektiv. Wendig sind sie also schon längst, aber eine Volkspartei neuen Typs? Manch altem Kämpfer der Grünen kommen da Zweifel. Denn Volkspartei heißt, sich allen gesellschaftlichen Gruppen zu öffnen, und zur Zeit werden die Grünen denn doch meist von gut verdienenden Akademikern und höheren Angestellten in den Städten getragen und gewählt. Und das macht auch ihr Erfolgsgeheimnis aus.

16 Prozent für die Grünen auf dem Land in Bayern

Ein früherer Parteichef hat mal gesagt: "Uns wählen die Menschen, die gern Steuern zahlen, und uns wählt die Ehefrau des Zahnarztes, der vielleicht bei der FDP sein Kreuz macht, denn sie will eine intakte Umwelt für ihre Kindern und gute Schulen." Wenn jetzt neue Wählerschichten aus allen Teilen des Gesellschaft dazu kommen, sind das dann noch die Grünen? Besteht nicht die Gefahr, die Stammwähler zu verprellen beim Weg ins "Zentrum der Demokratie?" Habeck scheint da wenig Sorgen zu haben. Stolz verkündet er am Nachmittag in Berlin das aus seiner Sicht wichtigste Detail der Wahl in Bayern. Die Grünen, die Partei der Städte, hat auch auf dem Land in Bayern 16 Prozent der Stimmen bekommen.

Die Grünen als Anti-Krawall-Partei

Ganz aktuell, das wissen die führenden Grünen, profitiert die Partei von der allgemeinen Verunsicherung im Wahlvolk. Die CDU von Kanzlerin Angela Merkel und die Schwesterpartei CSU streiten offen und monatelang über die Asylpolitik, die SPD ist im freien Fall. Und von überall her droht das Schreckgespenst der starken Rechtspopulisten von der "Alternative für Deutschland" (AfD). Da wenden sich viele, auch konservative Wähler, die sich um die Demokratie Sorgen machen, den Grünen zu. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Franziska Brantner, formuliert das am Montag im Gespräch mit der DW so: "Demokratie und Krawall vertragen sich schlecht. Das gilt in Bayern wie in Berlin. Politik auf dem Rücken der Schwächsten wurde genauso abgestraft wie der Schulterschluss mit Anti-Europäern wie Orban. Mir machen besonders die vielen Frauen Mut, die für Empathie und Europa gestimmt haben."

"Demokratie und Krawall vertragen sich nicht". Die Abgeordnete der Grünen, Franziska BrantnerBild: imago/J. Jeske

Sorgen im Osten

Sorgen machen den Grünen noch die ostdeutschen Länder, in einigen von ihnen wird nächstes Jahr gewählt. Da sind die Grünen längst nicht so stark wie im Westen, in einigen Ländern haben sie nur wenige hundert Mitglieder. Habeck weiß das, er redet davon, dass die Grünen hier zunächst die "Distanz" zum Wahlvolk überwinden müssten, man dürfe "nicht an der Stimmung der Leute vorbeireden." Nach einem richtigen Plan klingt das noch nicht. Ob also künftig bis zu 20 Prozent der Wähler den früheren Umweltaktivisten auf dem Weg zur neuen Volkspartei folgen, ist noch offen. Für Habeck ist der Weg dorthin aber unumkehrbar. "Wir sind gestartet als Protestpartei, dann haben wir Projekte gemacht wie das rot-grüne. Jetzt sind wir Verantwortungspartei für das ganze Land!" Und jedenfalls im Moment ist der Trend nach oben stabil: In zwei Wochen wird im Bundesland Hessen gewählt, da regieren die Grünen derzeit zusammen mit der CDU. In den Umfragen liegt die Partei bei 18 Prozent. Die Laune von Robert Habeck könnte nicht besser sein.

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