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Insektensterben - ein weltweites Problem?

Brigitte Osterath
21. Juni 2018

Die Insekten verschwinden - das legen Untersuchungen in Nordamerika und Europa nahe. Viele Forscher sind davon überzeugt, dass sich eine weltweite Katastrophe anbahnt. Doch Daten dazu gibt es kaum. Was tun?

NABU Insekten Hornissen-Schwebfliege
Bild: NABU/ H. May

Insekten beißen, stechen und verbreiten unter Umständen gefährliche Krankheiten. Einige von uns wären sicher ganz froh, wenn sich alle Mücken, Bremsen und Kakerlaken für immer aus dem Staub machen würden. Aber was ist mit Hummeln und Schmetterlingen? Würden wir die nicht vermissen?

Naturschützer warnen, dass alle Insekten - auch solche, die wir gerne mögen - langsam, aber sicher verschwinden. "In Nebraska, wo ich aufgewachsen bin, gab es im Sommer hunderte Schmetterlinge, vor allem Monarchfalter", erzählt Scott Black, Direktor der Xerces-Gesellschaft zum Schutz der Wirbellosen, einer Naturschutzorganisation in Oregon, USA. "Jetzt kann man mit viel Glück noch ein oder zwei Dutzend finden." In der Tat hat der Bestand des Monarchfalters über Nordamerika hinweg zwischen den 1990er Jahren und 2015 um durchschnittlich 80 Prozent abgenommen, fanden Studien der Xerces-Gesellschaft, zusammen mit dem Wissenschaftler-Netzwerk NatureServe.

Früher haben Millionen von Monarchfaltern im Spätherbst ihr Winterquartier in Mexiko aufgesucht - heute sind es lange nicht mehr so vieleBild: picture-alliance/dpa/R. Loznak

Scott Black verweist auch auf das Windschutzscheiben-Phänomen: Heutzutage muss man die Windschutzscheibe seines Autos viel seltener putzen als früher, denn es versperren einem viel weniger zermatschte Insekten die Sicht. Black macht - wie viele andere Naturschützer - das weltweite Insektensterben dafür verantwortlich: "Es gibt einfach nicht mehr so viele Insekten. Und ich bin der Meinung, dass das überall auf der Welt der Fall ist."

 

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Eine harte Nuss für Forscher

Für Wissenschaftler ist die Sache etwas komplizierter: Dass Autofahrer gefühlt ihre Windschutzscheibe seltener waschen müssen, ist für sie kein Beweis, dass die Zahl der Insekten abnimmt. Kees Booij, Ökologe an der Universität Wageningen in den Niederlanden, meint sogar, dass die Idee eines weltweiten Insektensterbens alleine auf "Gerüchten und Behauptungen basiert, die nicht durch wissenschaftliche Veröffentlichungen gestützt werden".

"Für einige Insektengruppen in landwirtschaftlichen und städtischen Gebieten läuft es sicherlich nicht sehr gut, aber zum Glück geht es vielen Insektenarten vielerorts doch ganz gut. Das Drama ist möglicherweise etwas weniger schlimm als die Medienberichte vermuten lassen", schreibt er der DW.

Langzeitstudien zum Insektenbestand sind tatsächlich selten - einfach, weil an dieser Frage vor einigen Jahrzehnten noch niemand interessiert war. Aber glücklicherweise gibt es Ausnahmen.

Weniger als die Hälfte

Einige alarmierende Studien liefern Hinweise darauf, dass sich eine Katastrophe für die Ökosysteme anbahnen könnte. Weltweit bekannt wurde eine Untersuchung des Entomologischen Vereins Krefelds: Eine Gruppe von Insektenfreunden verfolgt seit den 1980er Jahren die Menge an Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch. Sie stellen Fallen auf, in die sich alle flugfähigen Insekten verirren können. Regelmäßig wiegen die Forscher ihre Beute.

Über 24 Jahre, zwischen 1989 und 2013, hat die Biomasse, die sie fingen, um 78 Prozent abgenommen. Das kann bedeuten, dass große Insekten, die mehr Gewicht auf die Waage bringen, seltener geworden sind. Oder aber dass die Menge an Insekten allgemein stark gesunken ist. Naturschützer vermuten letzteres.

Forscher in den Niederlanden führten ein ähnliches Experiment in zwei Naturschutzgebieten durch und kamen auf ein vergleichbares Ergebnis. Sie fingen über zehn bzw. 20 Jahre Marienkäfer, Laufkäfer, Eintagsfliegen, Motten und andere Insekten und fanden, dass die Zahl der Insekten jährlich - abhängig von der Art - um drei bis 13 Prozent schrumpft. Hochgerechnet auf 27 Jahre ist das ein Rückgang von 57 bis 98 Prozent pro Art. Nur die Zahl der Wanzen ist gleich geblieben.

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Forscher wie Kees Booij kritisieren, dass die Studien in Deutschland und den Niederlanden "weniger robust seien, als alle sagen", sprich: Die Daten seien nicht präzise und vertrauenswürdig genug. Doch Josef Settele, Insektenbiologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle, entgegnet gegenüber der DW: "Es ist egal, ob es in Wirklichkeit 80, 60 oder nur 40 Prozent Rückgang sind - das ist alles zu viel."

Wissenslücke

Während Langzeitstudien zur Frage, wie viele Insekten es querbeet insgesamt gibt, in Industrieländern selten sind, gibt es solche Untersuchungen in Entwicklungsländern in Südamerika, Afrika und Asien erst gar nicht. "Die Forschung daran beginnt dort gerade erst", erklärt Josef Settele. Selbst die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen hat zum weltweiten Insektenbestand keine Daten.

Gute Daten hingegen gibt es zum weltweiten Artenrückgang. Studien zufolge nehmen immer mehr Insektenarten in ihrem Bestand ab; einige stehen sogar kurz vorm Aussterben. Dieser Artenrückgang sei weltweit zu beobachten, sagt Settele. "In tropischen Gegenden ist das aufgrund von Abholzung und Lebensraumverlust sogar ein noch größeres Problem als bei uns."

Laut Weltnaturschutzunion IUCN nehmen ein Drittel aller Insektenarten in ihrem Bestand ab. 273 Insektenarten gelten laut Roter Liste als "vom Aussterben bedroht". Laut Josef Settele können Forscher schlussfolgern, dass wenn die Zahl der Arten abnimmt, vermutlich auch die Gesamtzahl aller Insekten abnimmt. Aber wissenschaftlich sauber ist das nicht.

Am Rande des Aussterbens

Die Liste der Studien, die zeigen, dass Insektenarten in Gefahr sind, ist lang. Und diese Studien sind keinesfalls auf Europa und Nordamerika beschränkt.

Beispielsweise untersuchten Umweltforscher die Menge an Schmetterlingen in einer Region in Südkorea. Das Ergebnis: Die Zahl der Schmetterlingsarten war zwischen 1999 und 2015 um 13 Prozent gesunken. Die Gesamtzahl der Schmetterlinge, die dort herumflogen, war sogar um 70 Prozent gefallen. "Nicht nur Schmetterlinge, auch Motten werden weniger", berichtet Erstautor Sei Woong Choi über E-Mail. "Ich denke, Artenschwund ist inzwischen ein weltweites Problem." Chois Ergebnisse sind vergleichbar mit denen aus einer 35 Jahre dauernden Studie in Zentralkalifornien. Auch im kalifornischen Längstal östlich von San Francisco hat sowohl die Zahl der Schmetterlingsarten als auch die Gesamtzahl der Tiere abgenommen. 

Auch essbare Insekten - Nahrungsgrundlage für viele Menschen weltweit - sind in Gefahr. In Mexiko identifizierten Forscher 14 essbare Insektenarten im Bundesstaat Hidalgo, die bedroht sind. Im afrikanischen Staat Benin hat das International Institute for Tropical Agriculture eine Rote Liste für bedrohte Insekten aufgestellt. Darauf stehen 34 Arten, darunter der afrikanische Goliathkäfer - beliebte Eiweißquelle für Menschen in Zentralafrika.

Bisher kein Bienensterben in Afrika

Viele Insekten bestäuben Pflanzen und garantieren dadurch einen stetigen Nachschub an Obst und Gemüse. Andererseits übertragen Mücken und andere Insekten tödliche Krankheiten wie Malaria. Heuschrecken wiederum können innerhalb kürzester Zeit eine ganze Ernte vernichten und so sogar eine Hungersnot auslösen.

Kein Wunder also, dass Insekten in Afrika großteils als Gefahr gesehen werden, wie Michael Lattorff vom International Centre of Insect Physiology and Ecology (Icipe) in Kenia der DW erzählt. "Viele Kleinbauern hier wissen gar nicht, dass Bienen einen positiven Einfluss auf die Ernte haben. Manche sprühen sogar Pestizide drauf, weil sie denken, dass Bienen möglicherweise die Blüten auffressen."

Trotzdem ist das Bienensterben, das in Europa und Nordamerika umgeht, in afrikanischen Ländern kein Thema. In Industrieländern macht die parasitäre Varroa-Milbe den Honigbienenstöcken schwer zu schaffen, in Afrika nicht. Forscher fanden im Jahr 2014, dass Varroa-Milben auch überall in Kenia vorkommen - aber sie sind den Bienen schlichtweg egal. Die Parasiten machen ihnen nichts aus. Die Wissenschaftler vermuten, dass afrikanische Honigbienen einfach widerstandsfähiger sind.

Noch geht es ihr gut: der afrikanischen HonigbieneBild: picture-alliance/Wildlife/M. Harvey

Aber Lattorff spekuliert, dass nicht alles so rosig bleiben wird, wie es jetzt ist. Insektizide würden auch in afrikanischen Ländern viel eingesetzt, und im Gegensatz zu Europa gebe es dafür nicht mal Vorschriften. "Wenn man sieht, wie in Afrika die Landwirtschaft ausgebaut wird, dann kann man gelinde vorhersagen, dass es - wenn niemand eingreift - irgendwann auch hier die Bienen treffen wird - und vielleicht auch andere Insekten."

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Noch ist es nicht zu spät

Pestizide, Monokulturen, Lebensraumverlust und letztendlich auch der Klimawandel machen es den Insekten schwer. Aber wie schon Kees Booij anmerkte: Es trifft nicht alle Insektenarten.

Das zeigen auch die bisherigen Ergebnisse eines Schmetterling-Monitorings vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig: Das Tagpfauenauge, eine Schmetterlingsart, scheint von der modernen Landwirtschaft sogar zu profitieren. Die Tiere legen ihre Eier auf den Blättern von Brennnesseln ab - und die wachsen auf stickstoffreichen, überdüngten Böden hervorragend.

Um den Artenreichtum zu bewahren, scheint ein Wandel zu einer anderen Art von Landwirtschaft dennoch unausweichlich. Die FAO der Vereinten Nationen rät dazu, Insektizide nur im Notfall einzusetzen - etwa wenn aufgrund eines Schädlingsbefalls eine Hungersnot droht.

Wie Scott Black betont, kann jeder etwas für die Insekten tun - und wenn es nur ein paar Blumen auf dem Balkon oder im Garten sind. "Im Gegensatz zu Wölfen, Eisbären und Tigern sind Insekten überall um uns herum. Was wir in unserem alltäglichen Leben tun, macht für Insekten einen riesigen Unterschied." Black glaubt, dass es noch nicht zu spät ist, etwas zu ändern - "wenn wir jetzt damit anfangen."

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