Integration durch Ausbildung
22. Juni 2010Das Berliner Berufsbildungszentrum der Siemens AG beherbergt die größte Ausbildungswerkstatt des Konzerns in ganz Deutschland. 1200 Lehrlinge und Studenten werden hier auf einen Beruf vorbereitet. Einer von ihnen ist Mahmoud El Masry(*). Der 18-jährige ist im ersten Lehrjahr und wird zum Industriemechaniker ausgebildet. Mit anderen Azubis aus seiner Gruppe IM09G1 hat Mahmoud einen Druckluftmotor aus Metall gebaut, den er an einem Werktisch stolz vorführt. Er schließt den Motor an einen Schlauch an und schaltet den Zulauf für die Druckluft ein. Mit einem Rasseln läuft die Schwungkurbel an, wird schneller und nimmt schließlich hörbar Fahrt auf. Mahmouds dunkle Augen, die er von seinem ägyptischen Vater geerbt hat, leuchten.
Selbstverständlich ist es nicht, dass Mahmoud El Masry bei Siemens einen der begehrten Ausbildungsplätze erhalten hat. Denn er hat nur die Hauptschule besucht, die in Deutschland als Problemschule gilt. Viele Kinder aus Migrantenfamilien gehen auf die Hauptschule, nur jedes dritte von ihnen bekommt nach der 10. Klasse einen Ausbildungsplatz. Mahmoud El Masry hatte Glück. Seine Schule kooperiert mit dem Berliner Netzwerk für Ausbildung. Das Projekt wurde 2004 von der Arbeitsagentur und dem Berliner Bildungssenat ins Leben gerufen. Die Idee: Motivierte Hauptschüler sollen ein Jahr vor ihrem Abschluss, also während des gesamten 10. Schuljahrs, maßgeschneidert beraten, betreut und auf ihrem Weg in eine Berufsausbildung begleitet werden. Dazu unterhalten die 13 Mitarbeiter des Netzwerks nicht nur gute Kontakte zu mittlerweile 59 Berliner Schulen, sondern auch zu zahlreichen Unternehmen.
Netzwerk für Ausbildung hilft
Mahmoud El Masry hat das Netzwerk sehr geholfen. "Die haben mich vermittelt und die haben mir Tipps gegeben, wie ich meine Bewerbung schreiben soll. Ich habe viele Absagen bekommen, aber ich habe mich sehr darum bemüht, ein gutes Zeugnis zu bekommen und auch viele Bewerbungen geschrieben, die ordentlich aussahen", erinnert er sich.
Rund 700 Schüler werden zurzeit vom Berliner Netzwerk für Ausbildung betreut, darunter viele Jugendliche aus Migrantenfamilien. Schlechte Noten, fehlerhafte Bewerbungsunterlagen und mangelhafte Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche sind die Hauptgründe dafür, dass viele Schüler nur Absagen auf ihre Bewerbungen erhalten , sagt Margit Haupt-Koopmann von der Bundesagentur für Arbeit. Das Netzwerk für Ausbildung gibt nicht nur Hilfestellung bei den Bewerbungen, sondern vermittelt beispielsweise auch Trainings-Gespräche mit Personalverantwortlichen. Die, so sagt Haupt-Koopmann, könnten dann aus Sicht eines Unternehmens schildern, was von einem Jugendlichen, der eine Ausbildung machen will, erwartet wird, so dass sich der Jugendliche einfach einmal in so einem Unternehmen testen kann. Die Unternehmen verlassen sich auf das Urteil des Netzwerks, sagt Haupt-Koopmann. "Wenn wir sagen, wir trauen dem Jugendlichen diese Arbeit zu, dann öffnen die Unternehmen eben auch dem Jugendlichen die Tür und sagen: "Okay, auch wenn dieser Jugendliche auf den ersten und zweiten Blick nicht mit seinen Schulnoten besticht, eröffnen wir ihm trotzdem eine Chance."
Was nicht heißt, dass die Bewerber kein Aufnahmeverfahren durchlaufen müssen. Das Netzwerk für Ausbildung kann lediglich Türen öffnen und die Jugendlichen für die Prüfungen fit machen und ihnen damit über eine erste Hürde helfen, an der so viele normalerweise bereits scheitern.
Noch viel Potenzial bei jugendlichen Migranten
Gerade bei jugendlichen Migranten, so sagt Margit Haupt-Koopmann, gebe es noch viel Potenzial. Das würden aber auch die Unternehmen langsam erkennen. Die Personalverantwortlichen wüssten, dass sie sich nicht mehr lange aus einer Flut von Bewerbern "die Besten heraussuchen und die anderen links liegen lassen" könnten. "Andere haben es vorgemacht, die zeigen, dass es geht, dass auch ein Hauptschüler durchaus direkt den Sprung in eine Ausbildung schaffen kann", sagt Haupt-Koopmann.
So wie Sergej Kurash. Der 18-jährige wird beim Energieversorger Vattenfall zum Anlagenmechaniker ausgebildet. In seinem Ausbildungsjahrgang sind 40 Prozent Abiturienten. Sie haben nicht nur eine bessere Schulausbildung, sondern sie sprechen in der Regel auch ein gutes Deutsch. Damit hat Kurash ein Problem. Er ist in Russland geboren und aufgewachsen und erst vor fünf Jahren nach Deutschland gekommen. Seine Eltern sprechen bis heute kein Deutsch und in der Familie wird Russisch gesprochen. "Schule war ganz gut, da bin ich immer gerne hingegangen und ich habe mir auch viel Mühe gegeben. Aber wie sie merken, ist meine Sprache nicht so toll. Ich lerne auch nicht gut Fremdsprachen, aber habe gemacht, was ich konnte", sagt Kurash.
Unternehmen müssen umdenken
Kurash gehört zu den lediglich knapp fünf Prozent Auszubildenden mit Migrationshintergrund, die im vergangenen Jahr bei Vattenfall in Berlin eingestellt wurden. Das Unternehmen kann sich seine Auszubildenden immer noch aussuchen, denn auf einen Ausbildungsplatz kommen 36 Bewerber. Deshalb gibt es bei Vattenfall auch noch kein gesondertes Förderprogramm, um schulische, oder wie im Fall von Sergej Kurash, sprachliche Defizite auszugleichen, wie Ausbildungskoordinator Harry Budwilowitz erklärt. "Wir wirken immer auf ihn ein, dass er langsam spricht und weiter übt, damit er auch in seinem kommunikativen Verhalten sich besser entwickeln kann. Wir haben ja verschiedene Seminare, zum Beispiel Präsentationstechniken, wo wir dann auch noch mal speziell mit ihm auf seine Defizite eingehen", sagt Budwilowitz.
Doch die Zahl der Schulabgänger sinkt kontinuierlich. 2007 schlossen in Berlin und Brandenburg 104.700 Jugendliche die Schule ab, 2010 werden es nur noch 81.100 sein. Dazu kommt, dass immer mehr Schüler einen Migrationshintergrund haben. In Berlin sind es bereits 43 Prozent der unter 15jährigen. Auch bei Vattenfall wird sich die Bewerberstruktur daher ändern, das weiß auch der Ausbildungskoordinator. Er geht davon aus, dass sich das Ausbildungsprogramm entsprechend anpassen wird.
Bei Siemens ist man in der Beziehung schon weiter. Das Unternehmen bildet ganz bewusst bundesweit jedes Jahr 250 Jugendliche über Bedarf aus und zwar ausschließlich sogenannte benachteiligte Jugendliche, also gerade auch Migranten, wie Ausbildungsleiter Norbert Giesen betont. "Wir verteilen die in den Gruppen und wir haben parallel eine Sozialarbeiterin engagiert. Wenn wir ein Auswahlverfahren hatten und das lief gut und wir haben festgestellt, dass die Leute zu uns passen, dann bekommen sie auch Nachhilfeunterricht. Also wir schalten dann in die Berufsschule noch Pisaelemente hinein. Wir stehen dann zu der Auswahl und fördern dann auch." Das hat sich bereits bewährt, die Abbrecherquote ist bei Siemens vergleichsweise gering.
Giesen hat die Erfahrung gemacht, dass gerade Jugendliche, denen zunächst nichts zugetraut wurde, bei entsprechender Förderung eine Erfolgsgeschichte schreiben können. Als Beispiel erzählt er von einem Kroaten, der mit 24 Jahren noch einmal zur Schule ging, um einen Beruf ergreifen zu können. Der junge Mann kam über das Netzwerk Ausbildung zu Siemens und war so begabt, dass er ohne Schulabschluss in eine Ausbildung übernommen wurde, die er in Kürze erfolgreich beenden wird.
Mit 940 Euro pro Jahr viel erreicht
Eine Ausnahme sicherlich, normalerweise vermittelt das Berliner Netzwerk Ausbildung ausschließlich Jugendliche mit einem erweiterten Hauptschulabschluss. Die Kosten für die Betreuung belaufen sich auf 940 Euro pro Schüler und Jahr. Eine Investition, die sich lohnt, es kostet den Staat weitaus mehr, einen arbeitslosen Jugendlichen zu unterstützen. 40 Prozent der vom BNA betreuten Jugendlichen schaffen den direkten Übergang von der Schule in eine Ausbildung. Auch wenn das noch nicht einmal jeder zweite ist, wertet Margit Koop-Hauptmann von der Arbeitsagentur das als Erfolg. Sie müssen überlegen, von wo wir kommen, sagt sie. Ohne das Netzwerk hätte vermutlich keiner der betreuten Hauptschüler auf Anhieb eine Berufsausbildung beginnen können.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Zhang Danhong
*Der Name wurde auf Wunsch des Betroffenen geändert (28.11.2017)