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Integration in den Arbeitsmarkt kommt voran

Thomas Kohlmann
2. August 2023

Einer aktuellen Studie zufolge waren mehr als die Hälfte von Geflüchteten sechs Jahre nach ihrem Zuzug erwerbstätig. Trotz dieses Erfolgs sehen die Studienautoren allerdings noch Luft nach oben.

Der Azubi Mohammad Mohammadi im Führerstand der S-Bahn. Er wird zum Lokführer bei der S-Bahn ausgebildet.
54 Prozent der Personen, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben mittlerweile einen Arbeitsplatz, zwei Drittel davon sogar in VollzeitBild: Julian Rettig/dpa/picture alliance

Für Herbert Brücker ist das Ergebnis äußerst positiv: Mehr als die Hälfte der von ihm und seinen Mitarbeitern befragten Geflüchteten hatten im Jahr 2021 einen Job. Brücker ist Forschungsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), einer Einrichtung der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit. Seit 2016 wird dort die Integration von Zuwanderern in den deutschen Arbeitsmarkt regelmäßig unter die Lupe genommen.

"Wir haben 2015 gedacht: Wenn wir nach fünf, sechs Jahren eine Erwerbstätigen-Quote von 50 Prozent erreichen, werden wir sehr gut sein. Und wir liegen jetzt trotz der COVID-19-Pandemie im Jahre 2021 bei 54 Prozent. Wir haben die Erwartungen also übertroffen", fasst Brücker, der auch Direktor des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung in Berlin ist, das Ergebnis der Studie im Interview mit der DW zusammen.

Und je länger Geflüchtete in Deutschland sind, desto mehr sind erwerbstätig: "Bei den Menschen, die jetzt schon sieben oder acht Jahre hier sind, liegen wir bei einer Erwerbstätigkeits-Quote von 62 Prozent. Das ist schon ziemlich gut. Das sind nur etwa zehn, zwölf Prozentpunkte weniger als in der deutschen Bevölkerung."

"Wir haben die Erwartungen übertroffen", sagt IAB-Forscher Herbert Brücker Bild: Wolfram Murr

Gegenüber dem Pandemiejahr 2020 stieg die Erwerbstätigen-Quote nach den Ergebnissen der IAB-Studie um zehn Prozentpunkte - begünstigt durch die damalige wirtschaftliche Erholung der deutschen Wirtschaft nach den strengen Lockdowns des Jahres 2020.

Große Langzeitstudie

Die IAB-Forscher stützen sich bei ihrer Studie auf die Selbstauskünfte von Schutzsuchenden, die zwischen 2013 und 2019 nach Deutschland gekommenen sind. "Die Gesamtstichprobe umfasst inzwischen 10.111 erwachsene Personen, die mindestens einmal und bis zu sechsmal befragt wurden. Betrachtet werden hier 8799 Geflüchtete im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre), die seit 2013 zugezogen sind (gut 22.000 Personen-Jahr-Beobachtungen). Die Analysen zur Befragungswelle 2021 beziehen 2193 Personen ein", fassen die Studienautoren ihre Methodik zusammen.

Die Personen- und Biografie-Fragebogen der Forscher umfassen rund 400 Fragen. In Haushaltsfragebogen werden rund 100 Fragen abgehandelt, die "neben vielen anderen Aspekten detaillierte Informationen über die Flucht- und Migrationsbiografie, Bildung und Ausbildung, den Erwerbsstatus, über den Leistungsbezug und zur Teilnahme an Bildungs-, Ausbildungs-, Sprach- und Integrationsprogrammen erfassen".

Zum Vergleich werteten die Forscher Daten von Personen ohne Migrationshintergrund und der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus. Weil die Studie die Situation im Jahr 2021 untersuchte, blieben die nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainer außen vor.

Afghanischer Mitarbeiter in einem Textilunternehmen in der Lausitz Bild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Bildungsniveau steigt

Neben der Erwerbstätigkeit stieg 2021 der Studie zufolge auch das Bildungsniveau: Immer mehr Geflüchtete übten eine qualifizierte Berufstätigkeit aus. So hatte nach der Untersuchung jeder dritte Erwachsene sechs Jahre nach der Ankunft in Deutschland Schulen und Hochschulen besucht oder Ausbildungen und Weiterbildungsmaßnahmen absolviert. 70 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten übten nach ihren Angaben in den Fragebögen eine qualifizierte Tätigkeit aus, für die ein Berufs- oder Studienabschluss notwendig ist. Dabei gaben 41 Prozent der Befragten, die sich seit sechs Jahren in Deutschland aufhielten, an, unterhalb ihres Tätigkeitsniveaus vor ihrer Flucht beschäftigt zu sein.

Zwölf Prozent hatten den Befragten zufolge 2021 einen Job oberhalb ihres früheren Tätigkeitsniveaus vor dem Zuzug.

Für die Co-Autorin der Studie, Yuliya Kosyakova, ist das angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland ein wichtiges Potenzial: "Sie sind hier, stehen zur Verfügung und sind sehr motiviert", sagte sie gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Studienvorbereitung für Flüchtlinge im Fach Mathematik an der Freien Universität in Berlin (Archivbild von 2016)Bild: Gregor Fischer/dpa/picture alliance

Geringerer Verdienst als der Bevölkerungsdurchschnitt 

Fast zwei Drittel (65 Prozent) der erwerbstätigen Geflüchteten, die seit sechs Jahren in Deutschland sind, arbeiteten 2021 in Vollzeit. Das mittlere Bruttomonatsentgelt der vollzeiterwerbstätigen Geflüchteten stieg von 1660 Euro in den ersten beiden Jahren nach der Ankunft in Deutschland auf 2037 Euro im sechsten Jahr.

Geflüchtete würden pro Woche mehr arbeiten als zuvor und bekämen auch einen höheren Stundenlohn, sagt Herbert Brücker, der beim IAB den Forschungsbereich "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" leitet.

"Wir liegen jetzt bei Vollzeitbeschäftigten bei gut 2000 Euro brutto im Monat", erklärt Brücker. Er räumt aber ein, dass entspreche "eben nur 60 Prozent der Gehälter und Löhne von deutschen Beschäftigten, beziehungsweise dem Bevölkerungsdurchschnitt". 

Einer der Gründe dafür sei das geringe Durchschnittsalter der Geflüchteten, das deutlich unter dem der deutschen Beschäftigten liege.

"Im deutschen Arbeitsmarkt verdient man sehr viel mehr Geld, wenn man älter ist, als wenn man jünger ist. Bei den 18- bis 25-Jährigen betragen die Verdienste der Geflüchteten 75 Prozent der Verdienste ihrer gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland. Da ist der Abstand nicht so groß, und er wird sich über die Zeit auch angleichen. Aber da besteht noch erheblich Luft nach oben", so Studienleiter Brücker. 

Die Iranerin Sonia Alaghehband bei ihrer Ausbildung zur Lokführerin bei der S-Bahn in Stuttgart Bild: Julian Rettig/dpa/picture alliance

Fehlende Kinderbetreuung bremst Frauen aus

Besonders auffällig ist das deutliche Gefälle zwischen den Geschlechtern bei der Integration in den Arbeitsmarkt: Während 67 Prozent der männlichen Geflüchteten im Jahr 2021 sechs Jahren nach ihrer Ankunft einen Job hatten, waren es bei den Frauen nur 23 Prozent.

Dabei spielten Kinderbetreuung, aber auch Bildung und Berufserfahrung im Herkunftsland sowie die Teilnahme an Sprach- und Arbeitsmarktprogrammen eine Rolle.

"60 bis 70 Prozent der Frauen haben Kinder, und wenn sie Kinder haben, dann haben sie im Durchschnitt drei Kinder", erklärt Brücker gegenüber der DW. In der Regel hätten die zugewanderten Frauen Nachwuchs im Kleinkindalter und da gehe auch in der deutschen Bevölkerung die Erwerbstätigkeit stark zurück. Angebote für die Kinderbetreuung spielten dabei generell eine zentrale Rolle, so Brückner.

Daneben gebe es auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Berufserfahrung. "Frauen haben viel seltener als Männer Berufserfahrung aus den Herkunftsländern mitgebracht. Das spielt eine Rolle, und sie nehmen später als Männer an Integrationsmaßnahmen, an Sprachkursen in Deutschland teil", unterstreicht der IAB-Forschungsleiter. Die Unterschiede bei Bildung und Ausbildung würden dagegen nicht so sehr ins Gewicht fallen. Auch habe man wenig Hinweise darauf gefunden, "dass kulturelle Unterschiede (…) eine Rolle spielen", so Brücker.

Mit der Zeit arbeiten aber auch mehr zugewanderte Frauen: Acht Jahre nach dem Zuzug steigt die Erwerbstätigkeitsquote von Frauen nach den Untersuchungen der IAB-Forscher auf 39 Prozent.

Dass die Geflüchteten deutlich schlechter verdienen als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt aber nicht nur am geringeren Alter der Zuwanderer. Die Mehrheit der Geflüchteten sei "noch im Niedriglohnbereich beschäftigt", räumt die Studie ein.

Dass etwas mehr als die Hälfte der 2021 Befragten einem Job nachging, bedeutet aber ebenfalls, dass ein hoher Anteil Geflüchteter auch noch sechs Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland von Sozialleistungen lebt: "So beziehen sechs Jahre nach Zuzug 46 Prozent der Geflüchteten Leistungen beziehungsweise sind Teil einer Bedarfsgemeinschaft", so die IAB-Forscher. Nach sieben und mehr Jahren sinke der Anteil dann auf 40 Prozent.

Erste Zahlen zu Geflüchteten aus der Ukraine  

Mittlerweile hat das IAB auch erste Zahlen für die Arbeitsmarkt-Integration vorgelegt: Danach sind rund 18 Prozent aller erwerbsfähigen ukrainischen Flüchtlinge erwerbstätig, weitere 57 Prozent nehmen an Sprachkursen teil oder besuchen Bildungseinrichtungen. Ab einer Aufenthaltsdauer von zwölf Monaten steige die Erwerbstätigenquote "deutlich auf 28 Prozent", teilte das Nürnberger Institut am Donnerstag mit.

68 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine im erwerbsfähigen Alter hätten ein Hochschulexamen, weitere 16 Prozent eine Berufsausbildung. Fast die Hälfte der Erwerbstätigen arbeite in Berufen, für die sie formal überqualifiziert sind. Nur 39 Prozent der Erwerbstätigen arbeiteten in Vollzeit, 36 Prozent in Teilzeit, 18 Prozent seien geringfügig beschäftigt, 7 Prozent seien in Ausbildung oder machten ein Praktikum. Der mittlere Monatsverdienst der vollzeitbeschäftigten Ukrainer liegt laut IAB mit 2550 Euro fast 1000 Euro unter dem Durchschnittsverdienst aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland.

Bildungsabschlüsse, Berufserfahrung und gute Deutschkenntnisse erhöhten die Arbeitsmarktchancen und die Verdienste. Angesichts der hohen Teilnahmequote an Sprach- und Integrationskursen und der ausgeprägten Erwerbstätigkeitswünsche "ist nach Abschluss der Kurse eine beschleunigte Integration zu erwarten", sagt IAB-Forscherin Yuliya Kosyakova.

Überwiegend fliehen ukrainische Frauen vor dem Krieg  

80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter seien Frauen, die Hälfte von ihnen hat Kinder. Gute Kinderbetreuung führe "zu mehr sozialen Kontakten mit deutschen Familien, fördert die soziale Teilhabe und erleichtert damit auch indirekt den Arbeitsmarktzugang", sagte Kosyakovas Kollege Herbert Brücker.

Ukrainische Flüchtlinge unterliegen keinen Beschäftigungsverboten, müssen keine Asylverfahren durchlaufen und sind sie in die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II (Bürgergeld) integriert.

Die Studie beruht auf einer repräsentativen Befragung von rund 6000 ukrainischen Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter von 18 bis 64 Jahren, die sich seit Februar 2022 in Deutschland aufhalten.

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