Künstler erinnern an den Ersten Weltkrieg
9. November 2018Viele Städte und Regionen wurden im Ersten Weltkrieg fast vollständig zerstört. Besonders in Belgien und in den schwer umkämpften Gebieten in Nordfrankreich, der sogenannten "Zone Rouge" (deutsch "Rote Zone"), waren ganze Landstriche verwüstet. Nach dem Krieg fand man dort nicht nur unzählige menschliche und tierische Überreste, sondern auch Kriegsmunition wie Gas- und herkömmliche Granaten, die nicht explodiert waren. Auch heute noch sind einige dieser Gebiete der berüchtigten "Zone Rouge" Sperrgebiete. Die Spuren eines Krieges, der vor 100 Jahren zu Ende ging, sind in der Natur immer noch sichtbar.
Der Osnabrücker Künstler Volker-Johannes Trieb hat das Projekt "1914/1918 - Not Then, Not Now, Not Ever" initiiert. Er arbeitet mit Holz, das durch die Spuren dieses Krieges gezeichnet ist. Trieb hatte die Idee, Werke von Künstlern aus den verschiedenen Ländern, die am Ersten Weltkrieg beteiligt oder in Mitleidenschaft gezogen worden waren, auszustellen. So möchte er an das Ende des Krieges vor 100 Jahren zu gedenken. Dabei sollten alle Beteiligten mit eben solchem Holz arbeiten.
31 renommierte Künstler und Künstlerinnen folgten der Einladung von Kurator Mattijs Visser, bei dem Projekt mitzumachen. Jeder von ihnen war aufgerufen, einen der 29 Unterzeichner-Staaten des Versailler Vertrags und der Pariser Friedenskonferenz zu repräsentieren. Mit dabei Russland und die Ukraine, die schon vorher einen gesonderten Friedensvertrag unterzeichnet hatten. "Wir waren erstaunt, wie schnell die Künstler einverstanden waren", sagt Mattijs Visser. Zur Zeit ist die Ausstellung im Deutschen Bundestagzu sehen.
Holz, das den Krieg erlebt hat
Alle Künstler bekamen ein Stück Holz in Form eines Würfels von 30 x 30 x 30 Zentimetern, der als Ausgangspunkt ihres Kunstwerks dienen sollte. Das Holz stammt aus dem Hirtzbachwald im Elsass, einer der umkämpften Kriegsfronten.
Die Bäume dort zeigen Verfärbungen von den Geschosssplittern, die im Holz stecken. "So eine Kraft und so eine Geschichte hat auf das Holz eingewirkt", sagt die australische Künstlerin Fiona Hall, die zur Eröffnung der Ausstellung im Deutschen Reichstag eigens nach Berlin angereist ist. Sie hat einen Laib Brot aus Sägemehl in Stacheldraht geschnürt (siehe Artikelbild). Hall will an den Mehlmangel erinnern, der dazu führte, dass die Menschen während des Krieges tatsächlich mit Sägemehl gebacken haben.
Verschiedene künstlerische Sichtweisen
Die Werke bieten ganz unterschiedliche Blickwinkel auf den Krieg. Manche Künstler und Künstlerinnen haben den Holzblock kaum verändert. So zum Beispiel der portugiesische Künstler Pedro Cabrita Reis. Er hat kleine Löcher wie Einschüsse in seinen Block gebohrt und das ganze nach dem griechischen Kriegsgott "Ares" benannt. Der Bulgare Nedko Solakov stellt dagegen mit Farbstrichen auf dem Holz die "Dead Warriors", die toten Krieger dar.
Die Amerikanerin Kiki Smith gab ihrem geschwärzten Stück Holz, auf dem ein goldenes Eichenblatt mit zwei Eicheln liegt, einen Titel, der schon in sich eine kleine Geschichte erzählt: "In der Broome Street gab es ein Feuerlöschunternehmen, auf dessen Schild stand 'Was brennt kommt nie wieder'. Dabei gibt es einige Samenkörner, die Feuer brauchen, um aufzugehen."
Kunst funktioniert auch ohne Worte
Andere Künstler haben ihr Werk ohne Titel belassen. Ihre stilistischen Markenzeichen sprechen für sich, seien es die eingeschlagenen und gekrümmten Nägel, die typisch sind für die Kunstwerke von Günther Uecker oder rotes Pigment mit dem der indische Künstler Anish Kapoor arbeitet. Er ist berühmt für seine Skulpturen aus Farbpigmenten. Auch die Belgierin Berlinde de Bruyckere nutzt für sie typische Arbeitsmethoden und Materialien. So hat sie ihren Holzblock mit Wachs und Tierhäuten überzogen. Die Verletzlichkeit von Mensch und Natur ist eines ihrer zentralen Themen.
In einigen Fällen wurde der Würfel komplett verändert. Der neuseeländische Künstler David McCracken hat ihn zum Beispiel zu Holzspänen geschreddert, die in einem Karton als Schutzmaterial für seine stilisierte Skulptur einer Bombe dienen.
Der Ukrainer Aljosche hat seinen Block verbrannt, damit sich die so entstandenen Rauchpartikel auf der ganzen Welt verteilen können. Die Asche selbst ist in einer pinkfarbenen Silikon-Installation integriert und zeigt, "wie Menschen biologisch für Gewalt prädestiniert sind", so der Künstler.
Ein zerbrechlicher Frieden
"Die Künstler hatten alle großen Respekt vor dem Material", sagt Kurator Mattijs Visser. Obwohl er auf Werke gehofft hatte, die den Frieden symbolisieren, haben sich viele der Vorschläge eher direkt mit dem Krieg beschäftigt.
"Doch egal wie dunkel die Werke sind", fügt Visser hinzu, "sie dienen alle als 'Memento Mori'." Mit anderen Worten eine künstlerische Erinnerung an die Sterblichkeit des Menschen, die den Wert des Lebens bewusster machen soll.
Wolfgang Schäuble, Präsident des Deutschen Bundestages, griff diese Idee in seiner Rede auf und sagte bei der Ausstellungseröffnung: "Unsere Erinnerungen an das Jahr 1918 zeigen uns, dass weder Frieden noch Demokratie garantiert sind." Damit bezog er sich auf die Tatsache, dass die Zeit des Friedens nach dem Ersten Weltkrieg nicht lange anhielt.
Der Titel des Projekts ist angelehnt an einen Buchtitel von Truus Menger-Oversteegen, eine niederländische Frau, die im Widerstand gegen die Nazis kämpfte. "Not Then, Not Now, Not Ever" (Nicht damals, Nicht jetzt, Nie wieder) kann als Aufruf verstanden werden, sich fortwährend gegen Kriege zu wehren, denn tödliche Konflikte – auch wenn sie nicht vor der eigenen Haustüre stattfinden - betreffen in einer globalisierten Welt auch Europa und andere Staaten.
Während der Ausstellung hat der Künstler Jean Boghossian gleich selbst sein Werk demonstriert und dessen Titel "Double World" erläutert. Er zeigte den Besuchern, dass seine Skulptur in zwei eigentlich komplementäre Stücke geteilt ist. "Double World" (Doppelte Welt) veranschaulicht die Spannung zwischen Konfliktparteien. Die Verlierer und die Gewinner dieser Welt bedrohen sich gegenseitig mit ihren scharfen Kanten. "Dabei sind die beiden Holzstücke so gemacht, dass sie perfekt zusammenpassen, wenn sie miteinander kommunizieren", sagte der Bildhauer. "Ich bin optimistisch und hoffe, dass sie genau das tun werden."
Die Ausstellung "1914/1918 - Not Then, Not Now, Not Ever" ist noch bis zum 6. Januar 2019 im Deutschen Bundestag in Berlin zu sehen. Das Projekt wird danach im Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York gezeigt und später auch in Osnabrück, in der das Ende des 30-jährigen Krieges besiegelt wurde (1618-1648).