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Politik

Polen allein zu Haus

Oliver Pieper | Tania Krämer | Michael Knigge
8. Februar 2018

Nach der Unterzeichnung des umstrittenen Holocaust-Gesetzes durch Präsident Duda hagelt es heftige Reaktionen aus dem Ausland. Hat Warschau die Wirkung unterschätzt?

Polnischer Präsident Andrzej Duda
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Keplicz

Stella Testa hat den Holocaust überlebt, heute lebt sie in Jerusalem. Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg sind für die 90-Jährige allgegenwärtig. Sie hat die Debatte über das umstrittene neue Gesetz aufmerksam verfolgt: "Ich glaube nicht, dass die Polen versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entledigen", zeigt Testa einerseits Verständnis für die polnische Position. Aber andererseits: "Es gibt niemanden, der nicht schuldig ist, jeder ist schuldig. War Roosevelt nicht auch schuldig? Warum haben sie Auschwitz nicht bombardiert?"

Die bedeutendste Gedenkstätte, die an die Judenvernichtung erinnert und sie wissenschaftlich dokumentiert: Yad VashemBild: DW/C. Strack

Testa, die in Mazedonien geboren wurde, musste vor den Nazis fliehen und versteckte sich in jungen Jahren mit einigen Partisanen in Osteuropa. Auch die Polen hätten Angst gehabt, erinnert sie sich: "Wenn sie von den Deutschen gefragt wurden, denunzierten sie ihre eigenen Landsleute. Als die Nazis kamen, wollte mich mein Nachbar sogar töten lassen." Aber man solle nicht verallgemeinern, "es ist individuelle Schuld."

Polnisch-israelischer Streit

Die Premiers Polens und Israels, Netanjahu und Morawiecki, haben eine bilaterale Arbeitsgruppe zu dem Aufarbeitung der Geschichte vereinbart. Doch Polen wollte nicht warten. Präsident Andrzej Duda unterzeichnete das umstrittene Holocaust-Gesetz. Es sieht Geldstrafen oder bis zu drei Jahre Haft vor, wenn jemand unter anderem "öffentlich und entgegen den Fakten" dem polnischen Volk oder Staat Verantwortung oder auch nur Mitverantwortung für vom "Dritten Reich" begangene Nazi-Verbrechen zuschreibt. Duda legte das Gesetz jetzt dem polnischen Verfassungsgericht vor. Das soll prüfen, ob es die freie Meinungsäußerung in Polen gefährdet.

Inzwischen hat sich der polnisch-israelische Konflikt zumindest auf Regierungsebene etwas gelegt. Das israelische Außenministeriums hofft, dass sich beide Seiten auf Änderungen des Gesetzes einigen können. "Israel und Polen haben eine gemeinsame Verantwortung, die Geschichte des Holocaust zu erforschen und zu bewahren" – so die offizielle Stellungnahme. In der Knesset wird dagegen eine Reaktion auf das polnische Gesetz vorbereitet. Partei übergreifend will man Nachbesserungen zu zwei eigenen Gesetzen erreichen: Es geht um Strafen für Leugnung der Kollaboration bei NS-Verbrechen und um die rechtliche Hilfe für Mitarbeiter von Gedenkstätten. 80 von 120 Knesset-Abgeordneten wollen den Gesetzesentwurf unterstützen.

"Transport Nr. 2" - Zeichnung des israelischen Künstlers Paul Kor in der Gedenkstätte Yad Vashem in JerusalemBild: Courtesy of Yad Vashem Photo Archives

Auch israelische Wissenschaftler melden sich zu Wort. Zwar habe man Kunst und Wissenschaft von den umstrittenen Regelungen in Polen ausgenommen. Aber: "Es soll eine bestimmte Sicht auf Polens Rolle beim Holocaust als die einzig richtige darstellen. Das ist sehr problematisch", moniert David Silberklang, Historiker am Internationalen Institut für Holocaust-Forschung in Jerusalem. Die meisten Institutionen und Forscher unterstützten zwar die Idee, den Ausdruck "polnische Vernichtungslager" nicht zu verwenden, aber in dieser Form verhindere das Gesetz eine öffentliche Debatte. "Natürlich war das polnische Volk größtenteils nicht am Holocaust beteiligt, aber es gab Leute, die schreckliche Dinge getan haben - und das muss diskutiert werden", meint der Historiker.

Enttäuschung in den USA

Heftige Reaktionen aus den USA haben in Polen für einige Unruhe gesorgt. Nach der Unterzeichnung des Holocaust-Gesetzes erklärte US-Außenminister Rex Tillerson, die Vereinigten Staaten seien "enttäuscht". Tillerson kritisierte, dieses Gesetzes "hat einen negativen Effekt auf die Meinungsfreiheit und die akademische Forschung". Derart deutliche Kritik von dem erklärt wichtigsten Bündnispartner hatte man in Warschau nicht einmal nach der umstrittenen Verfassungsreform gehört.

Kongressabgeordnete beider Parteien kritisierten Polen hart. Orrin Hatch, der am längsten amtierende republikanische Senator und Mitglied des "US Holocaust Memorial Council" betonte, "das Gesetz sei äußerst schädlich für all diejenigen in Polen, die aus den dunklen Lektionen der Vergangenheit lernen und für eine bessere Zukunft arbeiten wollen." Debbie Wasserman-Schulz, Kongressabgeordnete aus Florida und frühere Vorsitzende der Demokratischen Partei, kritisierte, die Entscheidung des polnischen Präsidenten Duda mache sie "zutiefst enttäuscht und betroffen".

Kritik von der Europäischen Union

Und Brüssel? Der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk hält die Entscheidung Warschaus für kontraproduktiv. Tusk wirft der polnischen Regierung vor, sie hätte genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie angestrebt habe: "Die Autoren des Gesetzes haben die historisch falsche Bezeichnung 'polnische Todeslager' in die ganze Welt hinausgetragen, so effektiv wie niemand zuvor", twitterte Tusk.

Mahnmal für das Vernichtungslager Sobibor im heutigen Osten Polens: die Nazis ermordeten dort bis zu 250.000 MenschenBild: picture alliance/dpa/P. Wierzchowski

EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans forderte alle einst von den Nationalsozialisten besetzten Staaten auf, sich historischen Fakten zu stellen: "Es gab viele Helden, die Widerstand geleistet und gegen diese Besatzung gekämpft haben. Aber leider fanden sich in all diesen Ländern auch Menschen, die mit den Nazi-Besatzern kollaboriert haben, um deren grauenhafte Pläne umzusetzen".

Deutschland unterstreicht eigene historische Schuld

Eine wichtige Rolle kommt in der hitzigen Debatte Deutschland zu. Noch vor der Unterzeichnung des umstrittenen Gesetzes unterstrich der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel die deutsche historische Schuld: "Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, wer für die Vernichtungslager verantwortlich ist, sie betrieben und dort Millionen europäischer Juden ermordet hat: nämlich Deutsche". Von Deutschland sei der organisierte Massenmord begangen worden und von niemand anderem, "einzelne Kollaborateure ändern daran nichts."

Die Vernichtungslager seien schließlich nicht zufällig in Polen eingerichtet worden, fügte Gabriel hinzu: "Denn die polnische Kultur sollte ebenso ausgelöscht werden wie alles jüdische Leben. Drei der über sechs Millionen ermordeten Juden kamen aus Polen." Das Bewusstsein dieser historischen Schuld sei Teil der heutigen deutschen Identität und "der zentrale Konsens aller demokratischen Kräfte in Deutschland".

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