Strafgerichtshof: Washingtons Sanktionen und Europas Wut
7. Juni 2025
Die Vereinten Nationen und die EU haben scharfe Kritik an den jüngsten Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) durch die US-Regierung von Präsident Donald Trump geübt. Die EU will mögliche Reaktionen prüfen.
Der IStGH ziehe die Täter der weltweit schwersten Verbrechen zur Rechenschaft und gebe den Opfern eine Stimme, schreibt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in sozialen Medien. Das Gericht müsse frei handeln können, ohne unter Druck zu stehen.
Volker Türk, Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen, kritisiert die US-Sanktionen ebenfalls scharf. Diese Angriffe auf Richter liefen der Rechtsstaatlichkeit direkt zuwider, so Türk. Sie seien "zutiefst zersetzend für eine verantwortungsvolle Regierungsführung".
USA: "Illegitime Aktionen"
Die USA hatten am Donnerstag neue Sanktionen gegen vier Richterinnen des IStGH wegen "illegitimer Aktionen gegen die Vereinigten Staaten und Israel" erlassen. Die US-Regierung argumentiert, der Gerichtshof habe keine legitime Zuständigkeit über US-Personal oder US-Verbündete wie Israel, da weder die USA noch Israel Vertragsstaaten des IStGH sind.
"Der IStGH ist politisiert und beansprucht fälschlicherweise uneingeschränkte Ermessensfreiheit, um gegen Staatsangehörige der Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten zu ermitteln, sie anzuklagen und zu verfolgen. Dieser Machtmissbrauch verletzt die Souveränität und die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten und unserer Verbündeten", ließ US-Außenminister Marco Rubio in einem Statement verlauten.
Machtfülle des Präsidenten
Außerdem beruft sich Washington auf den "International Emergency Economic Powers Act" (IEEPA) aus dem Jahr 1977. Diese Gesetzessammlung gebe dem US-Präsidenten die Befugnis, wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen, wenn er die nationale Sicherheit oder die Außenpolitik der USA bedroht sehe.
Der IStGH wurde 2002 als Gericht der letzten Instanz eingerichtet, um Staatsoberhäupter und andere Schlüsselfiguren für Gräueltaten zur Verantwortung zu ziehen, wenn die Justiz in den betroffenen Staaten selbst keine Gerichtsverfahren durchführen kann oder will. Mehr als 120 Staaten, darunter alle EU-Mitgliedstaaten, sind dem internationalen Vertrag zur Einrichtung des Gerichtshofs freiwillig beigetreten.
Strafen gegen vier Richterinnen
Der IStGH wertete die US-Sanktionen als "einen klaren Versuch, die Unabhängigkeit einer internationalen Justizinstitution zu untergraben". Die Arbeit des Strafgerichtshofes verschaffe "Millionen von Opfern unvorstellbarer Gräueltaten Gerechtigkeit und Hoffnung".
Die jüngsten Sanktionen reihen sich ein in eine Serie von Strafmaßnahmen der US-Regierung gegen den IStGH. Diesmal richten sie sich gegen vier IStGH-Richterinnen Solomy Balungi Bossa (Uganda), Luz del Carmen Ibáñez Carranza (Peru), Reine Alapini-Gansou (Benin) sowie Beti Hohler (Slowenien).
Zwei von ihnen waren an einem Verfahren beteiligt, das am 21. November 2024 zu einem IStGH-Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu führte. Die Vorwürfe lauteten unter anderem auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen. Israel streitet die Vorwürfe ab.
Die beiden anderen Richterinnen, die auf der schwarzen Liste stehen, hatten die Untersuchung von mutmaßlichen Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte in Afghanistan genehmigt.
Feldzug gegen internationale Justiz
Bereits während seiner ersten Amtszeit (2017-2021) hatte Trump Sanktionen gegen das Gericht angeordnet, als dieses mutmaßliche Kriegsverbrechen von US-Soldaten in Afghanistan untersucht hatte. Diese machte sein Nachfolger Biden wieder rückgängig.
Die neuen Sanktionen vom Donnerstag kommen zu den Maßnahmen hinzu, die im Februar gegen den Chefankläger des Gerichtshofs, Karim Khan, angekündigt wurden. Sie kommen auch inmitten turbulenter Zeiten für das Gericht, da Khan im letzten Monat zurückgetreten ist, bis eine Untersuchung von Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens abgeschlossen ist.
Kein Zugriff mehr auf E-Mails
Im Rahmen der Sanktionen ist es US-Unternehmen und -Bürgern untersagt, den auf der schwarzen Liste stehenden Richterinnen und Richtern Gelder, Waren oder Dienstleistungen zukommen zu lassen. Außerdem werden alle Vermögenswerte, die sie in den USA besitzen, eingefroren.
Laut der US-Nachrichtenagentur Associated Press gehören zu den Dienstleistungen auch E-Mail-Programme US-amerikanischer Digitalkonzerne. So habe Chefankläger Karim Khan keinen Zugriff mehr auf seine E-Mails und seine Bankkonten in den USA seien eingefroren worden.
Dem AP-Berichtzufolge hatten diese Unternehmen ihre Dienste eingestellt, weil sie befürchteten, von den US-Behörden wegen der Unterstützung von Personen, die auf der schwarzen Liste stehen, ins Visier genommen zu werden. Auch einige Nichtregierungsorganisationen haben Berichten zufolge ihre Zusammenarbeit mit dem Gericht eingestellt.
Kann die EU Sanktionen blockieren?
Die EU versprach am Freitag, den Internationalen Strafgerichtshof weiterhin zu unterstützen. Einige Länder hoffen auf härtere Maßnahmen wie das sogenannte "Blocking Statute". Diese bereits in den 1990er Jahren erlassenen EU-Gesetze zielen darauf ab, den extraterritorialen Schlag der US-Maßnahmen abzufedern. Sie verbieten zum Beispiel EU-Firmen die Einhaltung von US-Sanktionen, die der Block für illegal hält.
Es sollte verhindern, dass die US-Restriktionen gegen Kuba den europäischen Handel mit dem Land lahmlegten. Die Gesetze wurden später aktualisiert, um die US-Sanktionen gegen den Iran einzubeziehen. Nun fordern Slowenien und Belgien die Exekutive der EU auf, dieselben Gesetze auch gegen die neuesten US-Sanktionen anzuwenden.
Allerdings sind die EU-Mitgliedsstaaten beim IStGH nicht immer einer Meinung. Dies zeigt sich unter anderem bei der EU-weiten Kooperation von Justiz- und Polizeibehörden. Denn im Gegensatz zu den nationalen Gerichten hat der IStGH keinen Polizeidienst. Stattdessen ist er darauf angewiesen, dass die Mitglieder Verdächtige ausliefern, die in ihrem Hoheitsgebiet eintreffen.
"Der IStGH wird bekanntlich als ein Riese ohne Arme und Beine beschrieben - er kann diese Haftbefehle nicht wirklich durchsetzen. Das hängt vom politischen Willen der Staaten ab", sagte der Völkerstrafrechtsdozent Mathjiy Holvoet Anfang des Jahres gegenüber der DW.
So gelang es Italien Anfang 2025 nicht, einen vom IStGH wegen angeblicher Kriegsverbrechen gesuchten libyschen Polizeichef festzunehmen. Und Ungarn zog sich aus dem Gerichtshof zurück, nachdem es Netanjahu in offensichtlicher Missachtung des Haftbefehls des IStGH den roten Teppich ausgerollt hatte.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert und aktualisiert.