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Internet bis zum Abwinken - wie lange noch?

Thomas Kohlmann
20. März 2020

Millionen Menschen arbeiten von zu Hause aus, Videokonferenzen ersetzen Meetings. Und Millionen Menschen streamen schon tagsüber Filme und Serien. Kommt das Internet an seine Grenzen?

Internet-Knoten DE-CIX
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

In der Schweiz hat die Regierung gedroht, Netflix und andere Video-Streaming-Dienste abzuschalten. Der größte Netzbetreiber des Landes Swisscom hatte vor Tagen Alarm geschlagen und vor einer Überlastung des Netzes durch die Folgen der Coronavirus-Krise gewarnt - weil plötzlich alle von zu Hause streamen wollen und gleichzeitig viele Menschen gezwungen sind, von zu Hause zu arbeiten. 

Auch in der EU wächst die Sorge, dass das Netz mit dem sprunghaften Anstieg von Nutzern im Home Office oder durch Video-Streaming in die Knie gehen könnte. EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton hatte die großen Betreiber aufgefordert, darüber nachzudenken, wie man dringend benötigte Bandbreiten im Netz einsparen kann. Mittlerweile haben Netflix und YouTube reagiert und fahren die Bildqualität in Europa herunter, um die Netze zu entlasten.

Datendiät bei YouTube und Netflix

YouTube will die Bildqualität erst einmal für die kommenden 30 Tage reduzieren: Videos sollen grundsätzlich in SD, also Standard-Auflösung, statt in hoch auflösender HD-Qualität übertragen werden. Netflix will die Datenmengen in dieser Zeit um ein Viertel reduzieren.

Je besser die Bildqualität ist, desto mehr Pixel (Bildpunkte) werden benötigt - und mehr Pixel bedeuten auch mehr Daten. Die Rechnung ist einfach: HD (High Definition) verbraucht deutlich mehr Daten als SD (Standard Definition) und die beste Übertragungsqualität mit gestochen scharfem Bild im Ultra-HD-Format ist ein regelrechter Datenfresser.

Anders als YouTube will Netflix sein Angebot aber nicht komplett auf SD herunterfahren. Bei jedem Nutzer soll je nach Gerät, Auslastung des örtlichen Netzes und Vertrag die Bildqualität angepasst werden. Im Klartext: Für manche Netflix-Kunden wird die Bildqualität schlechter, während andere vielleicht gar keinen Unterschied bemerken werden.

Start von Disney+ verschieben?

In Frankreich ist die Politik trotzdem besorgt. Denn mit dem Start des Videodienstes Disney+ am kommenden Dienstag dürfte die Belastung der Netze durch Streaming-Angebote noch weiter ansteigen. Nach Informationen der Zeitung "Les Echos" hat die französische Regierung Disney bereits aufgefordert, den Start seines Streaming-Portals zu verschieben.

In Deutschland scheinen diese Sorgen unbegründet zu sein. Hier, in Frankfurt, steht der größte Internetknoten der Welt, DE-CIX. Auch hier nahm der Datenverkehr innerhalb einer Woche um zehn Prozent zu, ausgelöst durch mehr Videokonferenzen und deutlich mehr Serien- und Filmstreaming.
"Wenn alle Kapazitäten genutzt werden, sind wir heute bei über 9 Terabit pro Sekunde (9 Tbps) im Peak", erklärt Harald Summa, Vorstands-Chef des deutschen DE-CIX-Knotens.

"Diese 9,1 Terabit sind das, was wir derzeit als Spitzenlast auf dem Netz haben. Wir sind aber im Augenblick mit 41 Terabit angeschlossen - da ist also noch viel Luft. Und wenn man unsere Infrastruktur ausreizen will, dann sind wir auch noch in der Lage, 148 Terabit, also ein Vielfaches dessen, was wir derzeit nutzen, aufzurüsten", beruhigt Summa im Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk.

Harald Summa, Chef des Internetknotens DE-CIX Bild: picture-alliance/dpa/P. Zschunke

Auch Dorothee Bär, im Berliner Kanzleramt für die Digitalisierung zuständig, bleibt entspannt: "Selbst wenn alles hochgefahren würde, wenn jeder im Home Office wäre in Deutschland, wenn jeder parallel die Fußball-WM oder -EM streamen würde, dann wäre immer noch Kapazität da", so Bär gegenüber der DW.

Die Telekommunikations-Unternehmen hätten schon Maßnahmen ergriffen, in diesen Krisenzeiten Datenvolumen kostenlos zur Verfügung zu stellen, so Bär. "Man muss sich in Deutschland also weder was Streaming-Dienste noch Home Office, Videokonferenzen oder Telefonschalten Sorgen machen. Die Kapazitäten sind völlig ausreichend."

Mehr Corona-Infektionen, mehr Internetnutzung

Die DE-CIX-Mitarbeiter könnten im einzelnen nicht sehen, welche Dienste die Menschen im Netz nutzen, unterstreicht Harald Summa. Aber sie hätten festgestellt, dass das Streamen von Videos in der letzten Zeit um etwa 50 Prozent zugenommen hat. Nicht nur Netflix und Co. sind dafür verantwortlich - auch datenintensive Video-Telefonate und -Konferenzen über Anbieter wie Zoom oder Skype hätten stark zugenommen, so der DE-CIX-Chef. Außerdem würden die Nutzer viel mehr Video-Games spielen, die ebenfalls den Datenverkehr in die Höhe treiben.

"Wir sehen, dass die Menschen schon früher als sonst sehr viel Internet konsumieren. Normalerweise ist der Peak gegen 20 oder 21 Uhr. Und jetzt sind wir schon um 10 Uhr bei 7 Terabit. Man sieht, dass das Verhalten der Menschen am anderen Ende des Drahtes der Netze sich deutlich verändert hat."

Besonders stark sind diese Spitzen in den Städten und Regionen, wo die Corona-Pandemie am schlimmsten wütet. "Wir betreiben auch Knoten in den USA und mehrere in Europa. Und man sieht dort die gleiche Entwicklung wie in Deutschland. Etwa in Madrid: Da ist es noch ein bisschen extremer. Da ist der Zuwachs schon fast über 60 Prozent. Das ist auch ein Indikator dafür, wo die einzelnen Länder in der Nutzung des Internets in diesen schweren Zeiten sind."

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