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Internet-Sommer auf Kuba

Andreas Knobloch (Havanna)16. Oktober 2015

Seit Juli gibt es über die Insel verteilt 35 öffentliche WLAN-Spots. Die Nachfrage ist gewaltig. Daraus erwachsen auch neue Verdienstmöglichkeiten - nicht immer sind sie legal.

Internet in Kuba
Bild: Yoel Mayor

Eine Reportage der Sendung "Cuba dice" ("Kuba sagt") des kubanischen Staatsfernsehens Anfang Oktober bestätigte, was viele Kubaner bereits wussten oder zumindest ahnten: die Leiter von Zweigstellen der staatlichen Telefongesellschaft Etecsa (Empresa de Telecomunicaciones de CUBA S.A.) zweigen Internet-Zeitkarten im großen Stil ab, um sie unter der Hand weiterzuverkaufen.

Seit die kubanische Regierung Anfang Juli über die Insel verteilt 35 öffentliche WLAN-Spots eingerichtet und die Tarife für die Internetbenutzung von ehemals 4,50 der kubanischen Spezial-Währung CUC (rund 4 Euro) um mehr als die Hälfte gesenkt hat, sind rund um die öffentlichen Internetzugänge eine Reihe neuer, meist illegaler Geschäftszweige entstanden.

Kubas unterschiedliche Währungen

In Kuba zirkulieren seit 1994 zwei Währungen: Die meisten Löhne werden in der Landeswährung Kubanischer Peso (CUP) ausgezahlt. Damit können einfache Dinge wie Obst und Gemüse gekauft werden. Gleichzeitig gibt es den sogenannten Konvertiblen Peso (CUC). Der kann nur in staatlichen Banken und Wechselstuben innerhalb Kubas gegen Devisen getauscht werden, sein Wert ist an den US-Dollar gekoppelt.

Die meisten Importartikel und Dienstleistungen müssen in CUC bezahlt werden. Auch in vielen Hotels und privaten Restaurants dient der CUC als einziges Zahlungsmittel. Viele Kubaner haben Zugang zum CUC, vor allem jene mit Verwandten im Ausland sowie in der Privatwirtschaft Beschäftigte. Auch jene ohne Zugang zu CUC können diesen durch Umtausch von CUPs erwerben. Der offizielle Wechselkurs: 25 CUP für 1 CUC.

Alltägliches Straßenbild auf La Rampa im Stadtteil Vedado – Dutzende surfen im InternetBild: Andreas Knobloch

Internet-Zeitkarten im Straßenverkauf

Raúlito (seinen wirklichen Namen und sein Alter will er nicht verraten) gehört zu jenen, denen das öffentliche Internet eine neue Einnahmequelle verschafft hat. Er verkauft die abgezweigten Internet-Zeitkarten auf der Straße. Meist sitzt er auf einem kurzen Mauerstück vor dem Kino Yara in Havannas Stadtteil Vedado. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bevölkern Dutzende Menschen den schmalen Schattenstreifen, den das Hotel Habana Libre wirft. Sie tippen auf ihren Laptops, starren auf Tablets oder sitzen auf den Treppenstufen mit ihren Handys, während ab und zu Straßenkreuzer aus vorrevolutionärer Ära vorbeirumpeln."Tarjetas, tarjetas" (Karten, Karten) raunt Raúlito den Vorbeieilenden zu. Ein kurzer Blickkontakt und das Geschäft wird in Sekundenschnelle über die Bühne gebracht: Drei CUC gegen eine Stunde Internetzugang.

Für Europäer mag es anachronistisch anmuten, aber Internetzugang von zuhause aus ist für die meisten Kubaner eine Utopie. Auch am Arbeitsplatz haben nur wenige Zugang. Bis zum Sommer gab es WLAN-Netze nur in Touristenhotels zu zum Teil horrenden Preisen. So blieb vielen nur, sich in die oft langen Warteschlangen vor den Computersälen von Etecsa einzureihen. Der Zugang zu den nun eingerichteten neuen Wifi-Spots erfolgt über den persönlichen Email-Account beim staatlichen Telefonanbieter - dafür lädt man ein Zeitkonto zum Tarif von zwei CUC/Stunde auf - oder über anonymisierte Zeitkarten, die 2,50/Stunde kosten.

Lange Wartezeiten

Mit dem Weiterverkauf eben jener Karten verdient Raúlito seit einigen Wochen sein Geld. Wer sich die lange Warterei an den Etecsa-Zweigstellen ersparen will oder keine Karten auf offiziellem Wege erwerben kann, weil die mal wieder ausverkauft sind, kommt zu ihm. Raúlito ist einer von vielleicht 30, 40 Leuten wie er sagt, die die gesamte La Rampa kontrollieren, jenen etwa 300 Meter langen Abschnitt der 23. Straße zwischen L und Malecón, auf dem das Internetsignal empfangbar ist.

Es sind vor allem junge Männer wie Raúlito, die den Handel abwickeln, aber auch Frauen, Rentner. "Ich habe nie viele Karten bei mir", sagt Raúlito. "Entweder bewahrt sie jemand auf, der nicht direkt am Verkauf beteiligt ist, oder wir verstecken sie im Gebüsch, unter Steinen oder verbuddeln sie in der Erde - wegen der Polizei."

Internetzeitkarte und Etecsa-Login-SeiteBild: Yoel Mayor

Hohe Strafen drohen

Wer von der Polizei erwischt wird muss Strafe zahlen. Raúlito zieht ein kleines Stück Papier aus dem Portemonnaie. "Gestern erst haben sie mich drangekriegt." 1500 Kubanische Pesos oder rund 60 CUC Bußgeld - ein halber Wochenverdienst. Es ist bereits die zweite Geldbuße innerhalb kurzer Zeit. "In gewisser Weise arbeite ich also für den Staat", sagt Raúlito mit einem Grinsen. "Um die hier zu bezahlen muss ich nun mehr verkaufen."

Das Geschäft an diesem Vormittag läuft allerdings eher lau. An normalen Tagen verkauft Raúlito 30 bis 40 Karten, verdient also 15 bis 20 CUC - in Kuba, wo die Leute in der Regel keine Miete zahlen, da sie ihre Wohnungen besitzen, Bildungs- und Gesundheitssystem kostenlos und ein Teil der Grundnahrungsmittel, Transport und Kultur vom Staat subventioniert sind, ist das viel Geld. In einem staatlichen Job müsste er dafür knapp einen Monat arbeiten.

WLAN-Spots sind gut besucht

Raúlito kommt jeden Tag nach Vedado, allerdings nur tagsüber. Abends würde er wahrscheinlich noch mehr Geld verdienen - wenn die Etecsa-Verkaufsstellen geschlossen haben und die Leute von der Arbeit kommen. Oder am Wochenende. "Dann ist hier richtig voll. An einem Sonntag kann man auch schon mal bis zu 200 Karten verkaufen." Gerade jenen, die keinen WLAN-Spot in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft haben, bleibt oft nur das Wochenende, um dann über Facebook oder die Videochat-App Imo mit ihren Angehörigen und Freunden im Ausland zu chatten.

Zweieinhalb Monaten nach Einrichtung der öffentlichen Wifi-Spots hatten rund eine Million Kubaner eine Nauta-Email-Adresse auf ihrem Telefon, die den Zugang zum Internet ermöglicht, wie Wilfredo González Vidal, Vize-Kommunikationsminister in der Fernsehsendung "Mesa Redonda" (Runder Tisch) mitteilte. Zudem seien 3,8 Millionen temporäre Internetkarten verkauft worden. Wieviele davon unter der Hand - dazu machte er keine Angaben.

Überall, wo das Internetsignal empfangbar ist, gehen die Kubaner online – Straßenszene auf la Rampa im Stadtteil Vedado, HavannaBild: Yoel Mayor

Legal, halblegal, illegal

Es werden eine Menge sein. Allerdings sind die Zahlen nur schwer zu erheben, denn nach außen läuft das Geschäft legal. "Wir kaufen die Karten direkt bei Etecsa für 2,50 und verkaufen sie für 3 CUC weiter", erklärt Raúlito. "Oder wir bekommen die Karten 'geliefert'. Von Leuten, die direkten Kontakt zu Etecsa haben." Er bestätigt, was "Cuba dice" ein paar Tage später enthüllen sollte: "Oft sind es die Leiter von Etecsa-Zweigstellen selbst, die die Karten abzweigen. Der reguläre Verkauf wird gestoppt und sie sagen den Leuten: Es gibt Probleme mit den Karten, wir können heute keine mehr verkaufen. Oft tun sie das, um unter der Hand mehr verkaufen zu können. In den Büchern wird das Ganze als normaler Verkauf geführt."

Bevor er in das Geschäft mit den Internetkarten eingestiegen ist hat Raúlito Militärdienst geleistet. Einen "richtigen" Job hatte er nie. "Aber ich habe einen Computer zuhause, auf dem überspiele ich das Paket der Woche auf USB-Sticks oder Festplatten." Das sogenannte "Paket der Woche" (paquete de la semana) ist eine Auswahl an Filmen, Seifenopern, Fotos, Zeitschriften, Ratgebern bis hin zu Wikipedia-Artikeln und wird über USB-Sticks und andere Datenträger auf der Straße weiterverkauft. In Ermangelung des Internets haben die Kubaner eigene Wege des Informationsaustausches geschaffen - eine Art Offline-Internet. Resultat des sprichwörtlichen Improvisationstalentes der Kubaner.

Neue Geschäftszweige

Rund um die öffentlichen WLAN-Spots sind so eine ganze Reihe von Geschäftszweigen entstanden - nicht nur der Handel mit Internetkarten blüht. Es gibt Leute, die über die App Connectify lokale Hotspots einrichten und den Zugang minutenweise verkaufen. Gerade für denjenigen, die sich den Kauf der Internetkarten nicht leisten können, ermöglicht dies den Internetzugang zu reduziertem Tarif. "Andere installieren gegen einen kleinen Obolus Applikationen, die unbegrenztes Surfen erlauben oder verkaufen geknackte Zugangscodes, beispielswiese zum Netz des Hotels Habana Libre." Die Arbeitsteilung funktioniert, sagt Raúlito, niemand mische sich in das Geschäft des anderen.

Die Regierung hat derweil angekündigt, den Internetzugang in Kuba weiter auszubauen. Bis Ende des Jahres sollen weitere WLAN-Spots eingerichtet werden, heißt es. Dafür würden "geeignete Stellen" mit den Behörden der jeweiligen Provinz abgestimmt, Orte, "an denen die Nutzer sich setzen können und nicht den Wettereinflüssen ausgesetzt sind", wird Etecsa-Geschäftsführerin Mayra Arevich Marin in der Tageszeitung Granma zitiert. Kuba hat sich zudem verpflichtet, die im November 2014 beschlossene "Connect 2020 Agenda" der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) umzusetzen. Diese sieht vor, dass bis zum Ende dieses Jahrzehnts die Hälfte der Privathaushalte mit dem Internet verbunden sein sollen.

Gerade abends nach Arbeitsschluss oder am Wochenende sind die WLAN-Spots bevölkertBild: Yoel Mayor

Internet-Entwicklungsland

Auf der Insel gibt es da noch einiges zu tun. Noch ist Kuba quasi Internet-Entwicklungsland. Das Land hat die niedrigste Internet-Zugriffsrate in Lateinamerika. Laut ITU waren 2013 gerade einmal 3,4 Prozent der Haushalte mit dem Internet verbunden - vor allem Wissenschaftler, Kulturschaffende, Journalisten sowie ausländische Geschäftsleute haben Anspruch auf einen privaten Anschluss. Für die kubanische Regierung lag die Priorität bisher im Ausbau der Verbindungen in Forschungs-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Nun sollen private Haushalte folgen.

"Es gibt den tatsächlichen Willen und die Bereitschaft der (kommunistischen) Partei und der kubanischen Regierung die Informatisierung der Gesellschaft voranzutreiben und Internet für alle bereitzustellen“, sagte Kubas Vizepräsident Miguel Diaz-Canel im Februar auf einem Forum zu Informatik und Cybersicherheit in Havanna.

Mehr öffentliche WLAN-Spots könnte auch mehr Geschäft für Raúlito und seine Kollegen bedeuten. Reich werde man damit aber nicht, sagt er. "Jeder muss halt sehen, wie er über die Runden kommt: Die Leute bei Etecsa mit ihrem staatlichen Gehalt und wir selbst auch."

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