Internet und Menschenrechte
20. Juni 2011DW-WORLD.DE: Frau Mijatovic, Sie haben kürzlich eine Deklaration für die Freiheit des Internets unterzeichnet. Internationale Beauftragte für die Medienfreiheit aus vier Kontinenten sagen in der Deklaration, dass der Zugang zum Internet der Schlüssel für Pluralismus und Meinungsfreiheit im 21. Jahrhundert sei. Ist Ihrer Meinung nach der Zugang zum weltweiten Datennetz ein Menschenrecht?
Dunja Mijatovic: Es sollte in der Tat ein Menschenrecht sein. Wir haben ein gutes Beispiel, und das ist Finnland. Dort haben die Bürger ein gesetzlich verankertes Recht auf Internetzugang. Das sollten andere Staaten nachmachen. In einigen anderen europäischen Staaten gibt es entsprechende Bemühungen, aber bislang ohne Ergebnis. In den problematischen Regionen der Welt ist für die Bürger der Zugang zum Netz nicht möglich, selbst die technischen Möglichkeiten der Telekommunikation gibt es nicht. Zusammen mit anderen Vorkämpfern für die Medienfreiheit versuchen wir, das Bewusstsein für diese Probleme in unseren Gesellschaften zu schaffen. Um wirklich etwas zu erreichen, müssten wir aber viel mehr tun.
Wie kann das Internet gegen die Versuche von Regierungen oder Konzernen geschützt werden, den Zugang zu beschränken oder bestimmte Filter einzubauen? Technisch ist es ja leicht, das Netz abzuklemmen.
Man kann sagen, es ist technisch einfach, aber so einfach ist es auf der anderen Seite auch wieder nicht. Wenn versucht wird, etwas zu blockieren und die Menschen merken, dass ihnen ihre Rechte genommen werden, dann finden sie meistens einen Weg, diese Blockade irgendwie zu umgehen. Viele totalitäre Regime versuchen Blockaden, nicht nur aus Gründen der transnationalen Sicherheit oder der Bekämpfung von illegalem Verhalten wie Kindesmissbrauch, sondern vor allem aus einem, und nur aus einem Grund: Sie wollen nicht, dass Menschen sich informieren. Sie wollen Kritiker verstummen lassen und Diskussionen über bestimmte Themen unterbinden. Den einzigen demokratischen Schutz den wir haben, ist es, unsere Stimme zu erheben. Wir müssen mit vereinten Stimmen erklären, wie wichtig der freie Zugang ist. Auf der anderen Seite machen wir keiner Regierung das Recht streitig, gegen illegale Machenschaften im Internet vorzugehen. Aber das sollte niemals als Entschuldigung dafür herhalten, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Und das passiert leider allzuoft.
Lassen Sie uns im Bereich der OSZE in einem Land, nämlich der Türkei, einmal näher hinschauen. Da gibt es ein neues Gesetz, dass die Verwendung von Filtern vorschreibt, die Worte wie "schwul", "nackt", "Erwachsene" oder "geil" von Webseiten verbannen sollen. Was sagen sie den türkischen Behörden? Können Sie das hinnehmen?
Natürlich ist das nicht zu akzeptieren. Ich habe das schon mehrfach mit der türkischen Regierung erörtert. Ich habe dem türkischen Außenminister einen Brief geschrieben und öffentlich Stellung bezogen. Noch wichtiger ist aber, dass sich die türkische Gesellschaft, türkische Internetnutzer und Bürger zu Wort melden und sagen: 'Das ist nicht hinzunehmen.' Ich versuche also der türkischen Regierung klar zu machen, dass dieses Gesetz gegen die Regeln der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verstößt. Die Medienfreiheit und die Freiheit des Internets erfinden wir nicht aus heiterem Himmel. Sie sind Grundpfeiler der OSZE, die von allen Mitgliedsstaaten der OSZE, der EU, der Vereinten Nationen und des Europarates freiwillig anerkannt wurden. Wir alle haben die gleichen Grundrechte.
Können Sie noch einige andere Staaten in der OSZE nennen, wo der Zugang zum Internet behindert wird?
Wir haben natürlich Probleme in Belarus (Weißrussland). Man muss Belarus nennen, denn wir sehen gerade jetzt, dass Menschen verhört werden, dass ihre Ausrüstung beschlagnahmt wird und dass alles, was mit freier Meinungsäußerung zu tun hat, vom Geheimdienst KGB in Frage gestellt wird. Andere Länder sind Turkmenistan und Usbekistan. Hier gibt es in vielen Bereichen Probleme. Aber es gibt in der Region auch Länder, die einen relativ freien Internetzugang haben: Aserbaidschan und Kirgisistan zum Beispiel. Da gibt es kleinere Versuche, die uns aber nicht besonders sorgen.
Das Interview führte Bernd Riegert
Redaktion: Wim Abbink
Dunja Mijatovic ist seit 2010 Medienbeauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der 56 Staaten angehören, u.a. auch die USA und Russland. Die Juristin und Expertin für Medienrecht stammt aus Bosnien-Herzegowina.