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Kriminalität

Interpol erlässt Haftbefehl gegen Ghosn

2. Januar 2020

Der frühere Nissan- und Renault-Chef war der japanischen Polizei entwischt und in den Libanon ausgereist. Während Behörden in Tokio weiter ermitteln, wird Ghosn jetzt mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Libanon Carlos Ghosn in Beirut
Dieses Foto von Carlos Ghosn vor der Kulisse Beiruts erschien vor zehn Jahren in einer libanesischen ZeitschriftBild: picture-alliance/dpa/R. Moukarzel

Als wäre seine Festnahme im November 2018 nicht spektakulär genug gewesen, wird die Geschichte um den mutmaßlich korrupten früheren Nissan-Renault-Chef noch einmal um ein bemerkenswertes Kapitel reicher. Carlos Ghosn war nach vier Monaten Haft in Japan im April 2019 auf freien Fuß gekommen, mit der Auflage, das Land nicht zu verlassen. Er war überhaupt nur auf Kaution freigekommen, weil er eine Fluchtabsicht bestritten hatte - und seine Anwälte argumentierten, er sei viel zu bekannt, um unerkannt auszureisen. Am Silvestertag meldete sich Ghosn dann aber aus dem Libanon - und düpierte damit die japanischen Sicherheitskräfte, unter deren Augen er das Land verlassen hatte.

Unterdessen hat der Libanon über die internationale Polizeibehörde Interpol einen Haftbefehl für den Automanager erhalten. Der Antrag basiere auf einer so genannten "red notice", der die Behörden auffordert, eine gesuchte Person mit dem Ziel der Auslieferung festzunehmen. Allerdings habe der Libanon in der Vergangenheit eigene Staatsbürger, für die eine internationale "red notice" vorlag, nicht festgesetzt, sondern lediglich ihre Pässe konfisziert, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

Anfangs war unklar, wie die Flucht aus Japan gelingen konnte, schließlich hatte der Manager mit den drei Staatsbürgerschaften je einen libanesischen, französischen und brasilianischen Pass seinen Anwälten ausgehändigt. Nun berichtete der japanische Sender NHK, Ghosn besitze noch einen zweiten französischen Pass - den er womöglich entgegen richterlicher Anordnung selbst behalten haben könnte. Die Nachrichtenagentur Reuters erfuhr aus Ghosns Umfeld, er habe sich zur Flucht entschlossen, als der Prozessbeginn auf April 2021 verschoben wurde - und weil ihm dauerhaft untersagt gewesen sei, mit seiner Frau Carole zu reden.

Im April wurde erneuter Haftbefehl gegen Carlos Ghosn in Tokio erlassenBild: picture-alliance/dpa/Kyodo/S. Goto

Ermittlungen in Tokio

Nachdem Ghosn sich also aus dem Staub gemacht hatte, wollten Polizei und Staatsanwaltschaft in Tokio die Umstände seiner Flucht ermitteln. Sie verdächtigen laut NHK mehrere Personen, sich als Fluchthelfer betätigt zu haben. Es kursieren bereits die schillerndsten Gerüchte, wie Ghosn seine Wohnung verlassen konnte - sein Umfeld dementierte bereits die Version, nach der er in einem Musikinstrumentenkoffer hinausgebracht wurde. Die Ermittler wollten Überwachungskameras aus der Umgebung von Ghosns Wohnsitz und anderen Aufenthaltsorten des 65-Jährigen auswerten. Am Donnerstag wurde auch Ghosns Tokioter Wohnung durchsucht.

Mittlerweile rufen in Japan bereits die ersten nach einer Verschärfung der Kautionsauflagen: Ein Kommentator der Zeitung " Yomiuri Shimbun" etwa brachte eine Kaution ins Gespräch, die sich am Vermögen des Beschuldigten orientiert - und GPS-Überwachung, um den Aufenthaltsort des auf Kaution Freigelassenen zu verfolgen.

Ghosn pflegte viele einflussreiche Kontakte, hier 2010 mit Russlands Präsident Wladimir PutinBild: Getty Images/AFP/A. Nikolski

"Meine Familie hat keine Rolle gespielt"

Bevor Ghosn am Sonntagabend mit seinem Privatjet in der libanesischen Hauptstadt Beirut landete, legte er einen Zwischenstopp in Istanbul ein. Auch diese Reiseetappe hat nun ein Nachspiel bei den Behörden: Laut einem Bericht des türkischen Senders NTV hat das Innenministerium Ermittlungen angeordnet, wie Ghosn die Türkei als Durchreiseland habe nutzen können. Am Donnerstag wurden sieben Menschen in Istanbul zur Befragung festgenommen - einem Medienbericht zufolge handelt es sich um vier Piloten, zwei Flughafenmitarbeiter und einen Manager einer Frachtgesellschaft.

Dass seine Familie in die Planung seiner Flucht verwickelt gewesen sein könnte, wies Ghosn in einem Statement zurück. "Es war ich ganz allein, der meine Ausreise organisiert hat." Anderslautende Berichte seien unwahr. "Meine Familie hat keine Rolle gespielt." 

Sicherheit in Frankreich und im Libanon

Auf der Flucht vor den japanischen und womöglich auch türkischen Behörden könnte Ghosn sich zumindest in Frankreich sicher fühlen. "Wenn Herr Ghosn nach Frankreich käme, würden wir Herrn Ghosn nicht ausliefern, denn Frankreich liefert niemals seine eigenen Staatsangehörigen aus", sagte die Staatssekretärin im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium, Agnès Pannier-Runacher, im französischen Fernsehsender BFMTV. Es stehe jedoch niemand über dem Gesetz, betonte sie. Frankreichs Behörden hatten nach eigenen Angaben aus den Medien von Ghosns überraschender Flucht erfahren.

Dieses Luxusanwesen in Beirut gehört Carlos GhosnBild: picture-alliance/dpa/M. Naamani

Bis auf Weiteres hält Ghosn, der erst vor einem Jahr von seinem letzten Vorstandsposten bei Renault zurückgetreten war, sich ohnehin im Libanon auf. Es gilt als nahezu ausgeschlossen, dass Beirut den Manager nach Japan ausliefert - es besteht kein Auslieferungsabkommen beider Länder. Die libanesische Regierung ließ bereits erklären, Ghosn habe das Land auf legalem Wege betreten und es gebe keinen Anlass, Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen. Aus Justizkreisen hieß es inzwischen allerdings, Ghosn solle in der kommenden Woche befragt werden. 

Und so dürfte die Geschichte um den früheren Top-Manager, der 2018 in Tokio wegen Verstoßes gegen Börsenauflagen festgenommen und angeklagt worden war, noch einige Wendungen bereithalten. In der kommenden Woche will der in Japan gesuchte Ghosn sich vor der Weltpresse erklären - in Beirut.

ehl/mak (afp, ap, rtr, dpa)

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