1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Mit Bots gegen die Ohnmacht

Maximiliane Koschyk
9. Januar 2017

Fake News und Textbots als Kunstobjekt? Gregor Weichbrodt hat sie programmiert. Im Interview der DW erklärt der Kommunikationsdesigner, warum die Welt jetzt einen "Sündenbot" braucht.

Screenshots beziehungsweise Anschauungsmaterials eines "Bot-Künstlers".
Bild: Gregor Weichbrodt

Fünf Jahre ist es her, da sorgte Gregor Weichbrodt, damals noch Student, für eine kleine, aber amüsante Schlagzeile in der deutschen Medienwelt. Für ein Uniseminar hatte der Kommunikationsdesigner ein Buch gestaltet mit dem Titel "Das ist der Tag, von dem ihr euren Enkelkindern noch erzählen werdet".

Äußerlich ähnelte das Heft einem der renommierten Reclam-Hefte, die Weltliteratur im Taschenformat veröffentlichen. Der Inhalt von Weichbrodts Ausgabe hatte allerdings wenig mit Shakespeare oder Goethe zu tun: Es waren die Dialoge der umstrittenen Model-Castingshow "Germany's Next Topmodel" mit Heidi Klum.

Die künstliche Dramatisierung von Reality-TV durch die Stilisierung zur Weltliteratur zu entblößen, das wurde damals als humorvolle und geschickte Medienkritik gefeiert. Heute formatiert Weichbrodt weniger klassische Textblöcke, sondern lieber Programmsprache. Wie sich mit Bots Missstände in der Medienwelt darstellen lassen, erklärt er im Interview.

Von Reclamheften über Topmodel-Dialoge zu Kunst-Bots: Textkünstler Gregor WeichbrodtBild: Privat

Deutsche Welle: Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Weichbrodt: Ich versuche die Konzeptkunst auf die Literatur zu übertragen. Zweckentfremdung, Dinge in neue Kontexte stellen, damit arbeite ich, wenn ich spannendes Material finde. Das ist auch nichts Neues, nur dass solche Arbeiten gerade im Internet in den letzten zehn bis 15 Jahren zuhauf auftauchen. Das sind oft Ideen, die es schon früher gab, aber die durch die moderne Technologie befeuert werden. Wenn man sich zum Beispiel die Cut-Ups von William S. Burroughs anschaut, der Texte zufällig neu angeordnet hat, dann ist das eigentlich wie unsere heutige Copy-und-Paste-Funktion.

Wir haben einfach viel mehr Möglichkeiten, mit Texten und Daten umzugehen. Das ist eben das Tolle am Netz bzw. am digitalen Text im Netz: Dass nicht nur der Inhalt digital zur Verfügung steht, sondern der Text auch zu Daten umgewandelt werden kann und man Text quantifizieren kann. Sie können sich vom Computer ausrechnen lassen, welche Wortarten ein Satz hat, und dadurch können Sie einen Satz auch manipulieren oder Texte automatisch verändern.

Mit dem "Nachrichten-Futur"-Bot haben Sie die Zeitform von Nachrichtenmeldungen verändert. Was war die Idee dahinter?

Ich schaue gerne Nachrichten, und ich kann auch schon erkennen, dass ich davon ziemlich abhängig bin. Ich kann manchmal gar nicht aufhören. Gleichzeitig merke ich natürlich, wie mich das einnimmt, und dass ich da wieder Abstand zu gewinnen muss. Es ist widersprüchlich. Der Nachrichten-Futur-Bot ist aus einem Text entstanden, den ich geschrieben habe. Was passiert, wenn man die Zeitform der Tagesschau-Nachrichten von der Vergangenheit in die Zukunft ändert? Dann hat man nämlich den Effekt, dass der Nachrichtensprecher nicht mehr darüber berichtet, was passiert ist, sondern die Nachrichten vorhersagt. Dadurch kriegt das Ganze einen etwas dystopischen Unterton.

Diese Idee hab ich irgendwie behalten und gemerkt, dass ich die auch in Form eines Bots umsetzen kann. Ein Bot ist schnell zu programmieren, und die Texte von der Tagesschau, bzw. die Nachrichten sind öffentlich zugänglich, da es RSS-Feed gibt. Zuerst war es nur ein ganz einfaches Spiel mit Formen für mich, es ging darum zu gucken, was passiert, wenn ich die Zeitform ändere. Ich wusste natürlich, was dabei rauskommt, die Themen, die mich dabei beschäftigt haben, waren mir schon klar. Wenn man die Tagesschau anguckt, schaut man halt, isst Pizza und kann nicht so viel ausrichten, fühlt sich irgendwie ohnmächtig. Es geht auch um Ohnmacht, aber die Idee von diesem Futurbot lässt sich auch auf andere Sachen übertragen. 

Für die Spaß-Webseite "Schlecky Silberstein" hatten Sie eine Fake News-Webseite namens "Moselkurier" so programmiert, dass sie Nutzer automatisch darauf aufmerksam macht, wenn sie die Falschnachrichten lesen oder teilen wollen. Wie gehen Sie selbst mit Fake News um?

Für das Projekt wurde ich gebucht als Programmierer, da war ich an der Konzeption überhaupt nicht beteiligt, aber ich hab es trotzdem gemacht, weil ich es witzig finde. Was mich am "Moselkurier" gereizt hat, war der Job und nicht die ideologische Ebene. Ich beobachte, dass der Begriff "Fake News" wie eine Floskel verwendet wird, ohne genau zu klären, was es ist. Lügengeschichten sind nichts Neues, das hat auch nichts mit der Technik des Internets zu tun. Es gab schon immer Falschmeldungen, die verbreitet wurden. Dass sie in Massen verbreitet werden, ist eine andere Dimension, aber dass sie politische Wahlkämpfe beeinflussen, ist eine problematische Aussage, beziehungsweise es gibt einfach keine gesicherten Studien dazu.

"Fake-Fake-News": Wer auf den Moselkurier klickte, bekam statt Falschmeldungen einen WarnhinweisBild: Moselkurier.de, Christian Brandes

Andere Leute sagen, dass es natürlich für die Demokratie eine Katastrophe ist, wenn man mit Falschmeldungen rausgeht. Ich bin sowieso zurückhaltender, weil ich gelernt habe, dass eine Grundskepsis immer angebracht ist. Mann muss immer hinterfragen, was eine solide Information sein kann und was nicht. Das Dilemma, von den Erkenntnisprozessen anderer Menschen abhängig zu sein, gab es schon immer. Jetzt ist es natürlich problematisch, weil die Menschen den Traditionsmedien nicht mehr vertrauen. 

Fake News und Newsbots wären damit ja schon mal abgehakt, woran arbeiten Sie jetzt?

2017 ist jetzt angebrochen, und alle wissen ja, dass 2016 das Internet schuld an allem war, da habe ich mir überlegt, einen Bot zu bauen, der sich entschuldigt. Nicht nur für 2016, sondern für alle Katastrophen seit dem Jahre null. Der Bot, der sich für alles entschuldigt - das wird der Sündenbot.

Das Gespräch führte Maximiliane Koschyk.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen