"Studiert das Nachtleben!"
21. Februar 2015Deutsche Welle: Sie wollen das Nachtleben als Thema für die Stadtplanung etablieren. Warum?
Jakob F. Schmid: Das Nachtleben wird als oft Urbanitätsindikator wahrgenommen und jede Großstadt, die etwas auf sich hält, wirbt ja schließlich auch damit. Auf der anderen Seite werfen die Nutzungen der urbanen Nachtökonomie - also Clubs, Kneipen und Diskotheken - in vielen Städten auch spezifische Probleme auf, Stichwort: Lärmbelästigung. Diese Problemlagen sind oft räumlich verortbar - und damit eigentlich zwangsläufig ein Thema für die Stadtplanung. Davon abgesehen gibt das Nachtleben ja auch ganzen Straßenzügen oder Quartieren ihr Gepräge. Im deutschsprachigen Raum ist das jedoch kaum erforscht und es gibt lokal immer nur sehr problemzentrierte Diskurse mit oft sehr restriktivem Charakter. Anders als in Bereichen wie dem Einzelhandel wissen die Stadtplanung und die Kommunen relativ wenig über die Nutzungsstrukturen der Nachtökonomie. Mit unserem Forschungsprojekt "Stadtnachacht" wollen wir einen Aufschlag machen und darauf basierend Empfehlungen für die Stadtplanung und das Stadtmarketing formulieren.
Was wissen Sie schon jetzt über die Bedeutung der Nachtökonomie?
Nach Vorrecherchen in zwölf deutschen Großstädten arbeiten wir gerade an drei vertiefenden Fallstudien. Die Bedeutung der Nachtökonomie hat man insbesondere in Berlin erkannt. Dort gibt es auch einen etablierten Diskurs zwischen Stadtpolitik, Wirtschaft und Lobbyverbänden. Die Akteure wissen sehr genau, warum Berlin so populär unter jungen Menschen ist, auch wenn es keine belastbaren Zahlen gibt. Eine Publikation von 2009 kolportierte, dass pro Wochenende rund 10.000 Besucher kämen, um auszugehen - also dezidiert nicht, um sich dem Sightseeing zu widmen, sondern um zu feiern. Hier in Hamburg haben wir mit St. Pauli ein tradiertes Vergnügungsviertel, das für den Tourismus sehr, sehr wichtig ist. Als Imagefaktor ist das Nachtleben seit jeher wichtig, man denke an Reiseführer, wo dem Ausgehen in Abgrenzung zum Essen und Trinken immer ein eigenes Kapitel gespendet wird.
Sie haben das Nachtleben in zwölf Städten als Karten dargestellt. Was verraten uns die Darstellungen?
Es sind dort ganz banal Betriebe des Nachtlebens kartiert, die Datenbasis sind Empfehlungs-Plattformen im Internet. Wir wollten während der Vorrecherche ein Gesamtbild der untersuchten Städte bekommen. In Berlin zum Beispiel gibt es nicht den einen Hotspot wie in anderen Städten, sondern das Nachtleben verteilt sich auf verschiedene Schwerpunkte. In der typischen deutschen Großstadt konzentriert sich das Nachtleben oft in den Stadteilen, die sich an die Innenstadt angliedern, häufig am Rand von Verkehrstrassen, die die eigentliche Innenstadt umrunden. Hier gibt es annähernd gleiche Lagequalitäten wie in der City, bei deutlich niedrigerem Mietpreisniveau.
Sie hatten Berlin als ein Beispiel genannt. Ist es als Partystadt nicht singulär?
In unserem Kontext ist Berlin natürlich sehr wichtig. Es ist aber in der Tat singulär, deswegen haben wir für die Fallstudien München, Köln und Mannheim ausgewählt, um uns an den Durchschnitt der deutschen Städte anzunähern. Gerade wenn es um Freiräume geht, ist Berlin einzigartig. Und Freiräume sind hier sowohl wörtlich zu verstehen als auch in Hinblick auf finanzielle Aspekte. Hier in Hamburg haben wir - wie in anderen Großstädten - das Problem, dass ein attraktives, insbesondere musikbezogenes Nachtleben sehr gewünscht ist, aber zunehmend die Räume wegfallen. Die Folge ist, dass nur noch Dinge möglich sind, die ausschließlich unter kommerziellen Gesichtspunkten funktionieren. Ein attraktives, inklusives Nachtleben zeichnet sich aber durch eine lebendige Szene aus, dadurch, dass neue Dinge möglich sind.
Welchen Nutzen kann die Erforschung der Nacht bringen?
In Großbritannien gibt es schon seit Ende der achtziger Jahre einen Diskurs über die "Nighttime-Economy". Als die Suburbanisierungswelle Ende der 1980er Jahre ihren Höhepunkt erreichte und die Innenstädte nach Arbeitsschluss tot waren, verstanden englische Stadtplaner das als eine Möglichkeit, um attraktive Innenstädte zu entwickeln, die auch wieder ihre Funktion als räumliche und idielle Mitte der Stadtgesellschaft wahrnehmen. Zudem ist man sich in London schon lange der Bedeutung des Nachtlebens für den Tourismus bewusst. Ähnliche Diskurse gab es auch in Städten wie Paris oder Amsterdam.
Lässt sich das Nachtleben steuern?
Das ist natürlich eine Frage. Genauso könnte man fragen, ob man es sollte. Klar ist: der Stadtplanung - und im weiteren Sinne der Stadtentwicklungspolitik - kommt eine große Bedeutung bei der Verhinderung oder auch der Förderung des Nachtlebens zu. Auch wenn die Aktivität darin besteht, eben nicht aktiv zu werden. In vielen Städten haben sich aktuelle Schwerpunkte des Nachtlebens erwiesenermaßen erst durch die Abwesenheit von Stadtplanung entwickelt. Das Problem für Stadtplaner und Kommunen ist, dass man erst einmal Informationen und Themenzusammenhänge braucht, um solche Fragen zu beantworten. Doch es fehlt an ganz grundlegendem Wissen über die Zusammenhänge. Wir haben bereits über die fehlenden Zahlen gesprochen. Hinzu kommt, dass das Thema natürlich sehr komplex ist. So spielen beispielsweise auch Faktoren wie Gentrifizierungsprozesse vielerorts eine Rolle. Eine weitere Hürde ist, dass es natürlich ein schillerndes Thema ist: Wenn ich mit einem Studenten über das Nachtleben spreche, hat der etwas ganz anderes im Kopf als ein 65-jähriger Bauamtsleiter. In den Kommunen ist die Suche nach Ansprechpartnern schwierig - oft fühlt sich niemand zuständig oder sprechfähig. Das sollte man ändern. Stadtplanungsämter, studiert das Nachtleben! Im Ernst: Die Kommunen sollten mehr über diese Thematik wissen - und dafür wollen wir eine Grundlage schaffen.
Jakob F. Schmid ist freiberuflicher Stadtplaner im Bereich Städtebau und Stadtplanung. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der HafenCity Universität Hamburg leitet er zusammen mit Thomas Krüger das von der Bundesregierung geförderte Projekt "Stadtnachacht - Management der Urbanen Nachtökonomie".