Wie man das Insektensterben aufhält
20. Oktober 2019Noch bevor der erste Dinosaurier das Licht der Welt erblickte, gab es sie schon: Insekten gehören zur ältesten Gruppe von Tieren auf diesem Planeten. Man schätzt, dass es sie seit ca. 400 Millionen Jahren gibt. Und sie sind extrem erfolgreich. Von den 7 bis 8 Millionen bekannten Arten auf der Erde gehören schätzungsweise drei viertel zu den Insekten.
Doch etliche dieser Arten könnten in den nächsten Jahrzehnten für immer verschwinden und das bliebe nicht folgenlos für uns Menschen.
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Insekten wie Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und sogar einige Käfer und Ameisen sorgen beim Sammeln von eiweißreichem Pollen und zuckerhaltigem Nektar quasi nebenbei dafür, dass wir genügend zu Essen haben, indem sie die Blüten unserer Kulturpflanzen bestäuben.
Die DW spricht mit Prof. Dr. Settele vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle darüber, ob wir uns in Zukunft Sorgen um unser Essen machen müssen und wie Politik und Wirtschaft gegensteuern können.
Er stand im Mai 2019 im internationalen Rampenlicht, als der Bericht des UN-Weltbiodiversitätsrates (IPBES) zum Zustand der Natur auf unserem Planeten veröffentlicht wurde. Settele und seine Kollegen kommen zu dem Ergebnis, dass insgesamt eine Million Tier- und Pflanzenarten in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht sein werden.
Besonders betroffen sind dabei die Insekten. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ca. 10 Prozent aller Insektenarten aussterben werden - konservativ gerechnet.
DW: In dem Bericht haben Sie festgestellt, dass in einigen Regionen der Welt bereits 40 Prozent der wilden bestäubenden Insekten vom Aussterben bedroht sind - vor allem Wildbienenarten gehören dazu. Warum stellen wir nicht überall Bienenkästen auf?
Josef Settele: Das funktioniert nur bedingt. Die wilden Verwandten, also die Neffen und Nichten der Honigbiene, leben ja nicht unter der Obhut des Menschen. Und die Honigbiene ist nur für einen Teil unserer Kulturpflanzen wichtig bei der Bestäubung. Äpfel zum Beispiel werden nur zu einem kleinen Teil von Honigbienen bestäubt. Wichtiger sind hier die wilden Bestäuber wie Wildbienenarten, Schwebfliegen, Hummeln und auch andere Insekten wie etwa Schmetterlinge.
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Meine Apfelernte würde also geringer ausfallen, wenn die Blüten nur durch die Honigbiene und nicht durch andere Insekten bestäubt würden?
Ja, aber wichtiger ist noch, dass einige Pflanzen überhaupt nicht von Honigbienen bestäubt werden können. Die Ackerbohne zum Beispiel, das ist eine ganz typische Hummelbestäuberpflanze, da macht die Honigbiene fast gar nichts aus.
Denn die Blüten der Bohnen sind geschlossen, die Hummel hat einen breiten Körper und kann sich da gut reindrängen. Ein anderes Beispiel ist die Luzerne, eine wichtige Futterpflanze, die von der Hummel abhängig ist. Die Honigbiene kommt einfach nicht so gut in die Blüten rein.
Was müsste die Weltgemeinschaft zusätzlich ausgeben, wenn alle bestäubenden Insekten plötzlich weg wären und wir unsere Nahrungspflanzen mit der Hand bestäuben müssten?
Konservativ haben wir geschätzt, dass die weltweite Bestäubung mindestens 235 Milliarden US-Dollar pro Jahr wert ist. Und man müsste ein Vielfaches aufwenden, um die Bestäubungsleistung der Tiere zu imitieren.
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Weil der Mensch die Technik nicht beherrscht, beispielsweise unter Nutzung von Pinselchen. Die Erträge sind immer mickriger als bei natürlicher Bestäubung. Eine andere Frage ist, wo auf der Welt ich das mache. Wenn ich in einem Land bin, wo die Arbeitskosten gering sind, kann so etwas eine Alternative darstellen. Wenn wir das aber für Deutschland versuchen würden, wäre es aussichtslos. Bei unseren Arbeitskosten wäre der Apfel vielleicht plötzlich zehnmal so teuer.
Angesichts dieser Aussichten müsste man denken, dass Politik und Wirtschaft ein großes Interesse daran haben, das Artensterben aufzuhalten. Welche Handlungsmöglichkeit hat die Politik? Wie könnte eine bestäuberfreundliche Politik aussehen?
Für den Insektenschwund sind verschiedene Faktoren verantwortlich, aber alles hat stark mit unserer Landnutzung zu tun. Gefördert werden müsste eine nachhaltigere Landnutzung, beispielsweise eine größere Vielfalt an Lebensräumen und eine Reduktion der Pestizideinsätze, speziell der Insektizide.
Nachhaltig produzierte Produkte müssen von der Politik stärker forciert werden. Also Lebensmittel, die zum Beispiel mit weniger Pestiziden auskommen und die energetisch sinnvoller sind. Das heißt mehr pflanzliche Ernährung, statt zu viel tierische.
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Ich bin selbst kein Vegetarier, aber dieser starke Hang zum Fleischkonsum, wie wir ihn in Europa oder Nordamerika haben, muss sich ändern. Durch unseren hohen Fleischkonsum schaffen wir eine Nachfrage nach Soja, als Tierfutter für unsere Rinder. Indem wir Soja aus Südamerika importieren, tragen wir zum Artensterben bei. Denn oft werden Wälder und Flächen, die zuvor viel artenreichere Ökosysteme hatten, in Plantagen umgewandelt. Das sind gravierende Veränderungen, bei denen Lebensräume verloren gehen.
Aber sind große blühende Monokultur-Plantagen nicht gerade gut für diese wilden Bestäuber?
Bestäuber brauchen nicht nur Nahrung, sondern auch ein bestimmtes Nist-Habitat. Solitär lebende Wildbienen haben ihre Nachkommen zum Beispiel in Bodenhöhlen oder in hohlen Stängeln, wie sie von Insektenhotels nachgeahmt werden. Das ist dann quasi eine Simulation der Heime, die es in der Natur gibt, wo sie ihre Eier ablegen können.
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Was kann ich als Einzelner tun?
Ein Bewusstsein für die Auswirkungen des eigenen Konsums ist schon mal ein guter Schritt. Aber das ist auch oft schwierig zu durchschauen. Immer gut ist es, für eine Blütenvielfalt vor der eigenen Haustür zu sorgen. Oder sich einfach mal mit der Natur zu beschäftigen.
Also raus in die Natur?
Ja, raus in die Natur! Und die Natur vor die eigene Haustür holen.
Das Gespräch führte Kerstin Palme.