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Politik

Irak: Der Zorn auf den Iran

29. November 2019

Der Brand des iranischen Konsulats in Nadschaf zeigt, wie empört viele Demonstranten über die Einflussnahme des Iran im Irak sind. Die Regierung in Teheran sieht sich herausgefordert - hat aber nur wenige Optionen.

Irak Proteste in Nasiriya
Bild: Reuters

Schon seit Mitte Oktober protestieren Iraker gegen ihre Regierung. Bei den Unruhen sind landesweit bereits mehr als 350 Menschen getötet und 15.000 verletzt worden, doch auch ihrem Wut auf den Iran verleihen sie Ausdruck. In der Stadt Nadschaf setzten Demonstranten das Konsulat des Iran in Brand.

Die Behörden des Landes schätzten die Lage am Donnerstag als so bedrohlich ein, dass der irakische Regierungschef und Oberbefehlshaber Abdel Mahdi mehrere Militärkommandeure in einen Krisenstab berief. Es gehe darum, in den südlichen Provinzen des Landes "Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen", erklärte er laut einer Mitteilung der nationalen Militärführung.

Flammen vor dem iranischen Konsulat in NadschafBild: Reuters

Das entflammte Konsulat: ein überdeutliches Zeichen, dass der Protest gegen den Einfluss des mächtigen Nachbarn im eigenen Land für die Demonstranten eine immer größere Rolle spielt. Forderten sie zunächst vor allem den Rücktritt der derzeitigen Regierung, die sie ebenso wie die großen Parteien für Korruption, Klientelismus und staatliche Misswirtschaft verantwortlich machen, wenden sie sich nun gegen den als unzumutbar empfundenen Herrschaftswillen, den die Regierung in Teheran im Irak demonstriert.

Die Macht der Milizen

Die Demonstranten beschuldigen die iranische Staatsführung, sich zu sehr in die Belange des Irak einzumischen und übergroßen Einfluss auf die Regierung in Bagdad zu nehmen. Dies geschehe über einige der großen schiitischen, vom Iran unterstützen Organisationen des Landes. Genannt werden immer wieder die Badr-Organisation und die Ahl-al-Haq-Miliz.

Protest in Bagdad, 27.11.2019Bild: Reuters/T. Al-Sudani

Die Ahl-al-Haq-Miliz hat im Libanonkrieg 2006 an der Seite der libanesischen Hisbollah-Miliz, die der Iran Mitte der 1980er Jahre ins Leben gerufen hatte, gegen Israel gekämpft. Vom Jahr 2013 an kämpfte sie an der Seite des irakischen Militärs gegen die sunnitische Dschihadistenorganisation "Islamischer Staat" (IS). Im irakischen Parlament gehört die mit 14 Sitzen vertretene Miliz der schiitischen Fatah-Allianz ein, die ein enges Verhältnis zum Iran pflegt. Laut einer Studie des Center for International Security and Cooperation der Universität Stanford wurden die Mitglieder der Miliz im Iran trainiert und ausgebildet. Sie gilt zudem als der militärische Muskel von Nuri al-Maliki, der von 2006 bis 2014 Premierminister des Irak war.

Auch die Badr-Organisation gilt als dem Iran eng verbunden. "Die stark von Teheran abhängige Badr-Organisation ist zum wichtigsten Instrument iranischer Politik im Nachbarland geworden", heißt es in einer Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Ziel dieser Politik ist es, möglichst großen Einfluss auf die Zentralregierung in Bagdad  auszuüben und gleichzeitig möglichst starke, von Iran abhängige schiitische Milizen aufzubauen."

Das Jahr 2003 und die Folgen

Der Einfluss Teherans im Irak begann in den aufgepeitschten Jahren nach der US-Intervention im Jahr 2003. Als in deren Folge der damalige Diktator Saddam Hussein stürzte und ein Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten ausbrach, mischte sich der Iran in die Kämpfe ein. Einer seiner stärksten Verbündeten waren die Milizen des populären und einflussreichen Schiitenpredigers Muqtada al-Sadr. Er galt politisch wie militärisch als verlängerter Arm des Iran - jenes Landes, in dem er eine Zeitlang im Exil gelebt hatte.

Doch spätestens bei den Wahlen zum irakischen Repräsentantenrat 2018 ging al-Sadr auf Distanz zu Teheran und schlug einen Kurs ein, der vor allem auf die nationale Eigenständigkeit des Irak setzte. Damit begann die Entfremdung zwischen weiten Teilen der irakischen Schiiten und dem Iran.

Sieht die USA hinter den Protesten: der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali KhameneiBild: picture-alliance/AP Photo/Office of the Iranian Supreme Leader

Die iranischen Interessen

Noch aber ist die Verbindung zwischen den schiitischen Milizen und dem Iran eng. Eben dagegen richten sich die Proteste. Er beobachte eine steigende Zurückweisung des Iran und parallel dazu einen deutlichen Anstieg patriotischer Regungen in seinem Land, sagt der Politologe Senad al-Fadhel von der Universität Nadschaf im Gespräch mit dem Internetmagazin "Al-Monitor". "Der Ärger gründet auf den iranischen Interventionen im Irak. Diese reichen von der Wasserentnahme in den Flüssen und dem Anzapfen von Stromleitungen über die Flutung des irakischen Markts mit iranischen Produkten bis hin zu den Reden des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khamenei."

Der hatte sich zuletzt nicht nur zu den Protesten im eigenen Land, sondern auch zu denen im Irak geäußert. Für die Unruhen dort wie auch im Libanon machte er die USA verantwortlich. Diese säten "Unsicherheit und Aufruhr", erklärte er. Dasselbe wollten die USA im Verein mit Saudi-Arabien auch im Iran versuchen, so Khamenei weiter. Er setzt weiter auf einen starken schiitischen Einfluss in der Region, nicht zuletzt über die großen schiitischen Heiligtümer, etwa den Imam-Hussain-Schrein in Kerbala und der Imam-Ali-Schrein in Nadschaf, zu denen jährlich mehrere Millionen Iraner pilgern. Allein dies gilt dem Mullah-Regime in Teheran als Garant der nationalen Souveränität. 

Schiitischer Einspruch im Irak

Doch dieses Anliegen will ausgerechnet der oberste irakische Geistliche, Ayatollah Ali al-Sistani, nicht mehr gelten lassen. Er sei gegen jede regionale und internationale Einmischung in die irakischen Belange, erklärte er: "Keine Person oder Gruppe, niemand mit besonderen Interessen, kein regionaler oder internationaler Akteur darf den Willen des irakischen Volkes unterwerfen und ihm seinen eigenen aufdrängen", erklärte der Religionsgelehrte. Auch dürfe niemand "Kampfgruppen, welchen Typs auch immer", gegen die irakischen Demonstranten in Stellung bringen. Das war nach Meinung der Demonstranten eine klare Absage an alle Versuche des Iran, seinen Einfluss im Irak geltend zu machen.

Demonstration für die Souveränität des irakischen Vaterlands in Nassiriya, 24.11.2019Bild: Reuters

So muss der Iran hinnehmen, dass sich sowohl im Libanon als auch im Irak nennenswerte Teile der Bevölkerung gegen seine Einflussnahme wenden. Damit gerät er in eine Zwickmühle: Zwar versucht er durch die ihm unterstehenden paramilitärischen Gruppen - die Hisbollah im Libanon, schiitische Verbände im Irak - die Protestbewegung auch mit Gewalt zu unterdrücken. Doch dürfte in Teheran klar sein, dass man es mit der Gewalt auch nicht übertreiben darf. Denn dies würde den aufgrund seiner aggressiven Außenpolitik ohnehin schlechten Ruf des Iran noch stärker schädigen. Dies gilt auch mit Blick auf die eigenen Bürger.

Teheran im Wettlauf mit der Zeit

Der Umstand, dass die Regierung in Teheran zeitweilig den Zugang der ebenfalls protestierenden Bevölkerung zum Internet blockierte, zeigt, welchem inneren Druck die Regierung sich gegenüber sieht. Denn auch die offiziellen Verlautbarungen, hinter den Unruhen stünden die USA und Saudi-Arabien, verfangen längst nicht mehr so sehr wie noch vor einigen Jahren - weder im eigenen Land noch im Libanon und im Irak.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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