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Irak: Keine Chance für die unschuldigen Opfer

Peter Philipp22. Juni 2006

Die Verbrechensfälle von US-Soldaten während des Kriegseinsatzes im Irak häufen sich. Doch das Militär redet sich immer wieder heraus. Die Opfer haben schlechte Karten. Eine Analyse von Peter Philipp.

US-Marines im IrakBild: picture-alliance/dpa

Seine Mitglieder sind die "tough boys" - die "harten Jungs" der amerikanischen Streitkräfte. Das US-Marine-Corps sei aber dennoch besonders stolz darauf, dass es seine Angehörigen für ihre Taten zur Verantwortung ziehe. So heißt es aus der Marines-Kaserne von Pendleton in Kalifornien. Und man gibt sich Mühe, diese Erklärung durch Taten zu untermauern. So wurde jetzt Mord-Anklage erhoben gegen acht US-Militärs erhoben - unter ihnen sieben "Marines": Ihnen wird vorgeworfen, im April im Ort Hamandiyeh einen Behinderten aus dem Haus gezerrt und erschossen zu haben und den Mord anschließend als die Tötung eines bewaffneten Terroristen hingestellt zu haben, der auf der Straße eine Mine habe legen wollen.

"In so mancher Auseinandersetzung haben wir für das Leben gekämpft und dabei nie die Nerven verloren" - so heißt es in der Hymne des Marine-Korps. Zur Musik von Jacques Offenbach ein Text, der über hundert Jahre alt ist und spätestens beim Einsatz der Marines im Irak widerlegt zu sein scheint: Immer mehr Fälle werden bekannt, bei denen Angehörige des Elite-Korps ganz offensichtlich dem psychischen Druck nicht widerstanden, dem alle US-Militärs im Irak ausgesetzt sind.

"Zuerst geschossen und dann gefragt"

Schon beim Einmarsch der US-Truppen kam es zu Zwischenfällen, bei denen "zuerst geschossen und dann gefragt" und bei denen Unschuldige getötet wurden. Da wurden zum Beispiel an Straßensperren PKWs und auch Minibusse mit ganzen Familien beschossen und ihre Insassen getötet. Nur wenn es eindeutige Augenzeugen-Berichte gab, wurde ermittelt, bestraft wurde in der Regel niemand.

Den Opfern wurde meist "verdächtiges Verhalten" nachgesagt, das die Reaktion der Militärs gerechtfertigt habe. "Verdächtig" - das kann in solchen Situationen zu schnelles oder auch zu langsames Fahren vor einer Straßensperre sein, "verdächtig" ist objektiv nicht messbar, sondern rein subjektives Empfinden der Militärs. Die den Finger am Abzug haben und möglicherweise zu schnell abdrücken.

Die Wende kam mit Abu Ghraib

Das berüchtigte Gefängnis von Abu GhraibBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Nachdem die - auf Privatphotos dokumentierten - Misshandlungen von Gefangenen in Abu Ghraib bekannt geworden waren und weltweite Entrüstung ausgelöst hatten, musste die US-Militärjustiz aktiv werden: In mehreren Prozessen wurden elf Schuldige zu Haftstrafen bis zu dreieinhalb Jahren verurteilt, die meisten aber kamen glimpflich davon. Einige wurden frei gesprochen und selbst ein Angeklagter, der einen Hund auf wehrlose Gefangene gehetzt hatte, wurde mit nur 90 Tagen Zwangsarbeit bestraft. Er konnte auch - nach einer Degradierung in den Armee bleiben.

Solche Urteile stärken nicht gerade das Vertrauen in die amerikanische Militärjustiz. Zumal bisher in keinem Fall ein höherer Offizier und erst recht kein politisch Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wurde. Immer werden die Taten ausschließlich den Tätern selbst zur Last gelegt und es werden - wegen der widrigen Kriegssituation - mildernde Umstände in Rechnung getragen.

Der sicher am, meisten Aufsehen erregende Fall war das Massaker von My Lai 1968 in Vietnam: 500 Zivilisten wurden da von amerikanischen Soldaten ermordet und nur einer, Leutnant William Calley, wurde drei Jahre später vor Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Er blieb nicht lange im Gefängnis: Die Haft wurde in Hausarrest umgewandelt und nach dreieinhalb Jahren wurde Calley begnadigt.

Kein zuständiges Gericht

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki hatte nach dem Bekanntwerden eines Massakers von Haditha - bei dem "Marines" im November 2005 insgesamt 24 irakische Zivilisten erschossen haben sollen - gefordert, solche Verbrechen im Irak selbst zu ahnden. Eine wenig realistische Forderung. Denn die USA sind natürlich nicht bereit, ihre Soldaten vor einheimische Gerichte zu stellen, so wie sie auch weltweit in weniger kritischen Situationen ihre Truppen durch Truppen-Status-Abkommen schützen und der örtlichen Justiz entziehen.

Militärische Missetäter vor ein internationales Gericht zu stellen, kommt für die Vereinigten Staaten auch nicht in Frage. Deswegen versagt Washington dem Internationalen Strafgerichtshof im Haag seine Unterstützung. Würde Washington dem zustimmen, dann hätte das wohl denselben Effekt wie eine zu harte Bestrafung vor heimischen Militärgerichten: Es fänden sich kaum noch Freiwillige für die Streitkräfte, weil man nicht immer "mit einem Fuß im Gefängnis stehen" will.

Immerhin hat das Pentagon aber inzwischen beschlossen, seinen Truppen im Irak einen Schnellkurs über die besonderen Gegebenheiten dort zu verschreiben. Es bleibt aber eine Frage der politischen Verantwortlichkeiten, dass solches nicht schon längst geschehen ist. Die politisch Verantwortlichen aber haben weiterhin nichts zu befürchten.

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