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Politik

Irak-Krieg: Am Anfang stand die Lüge

9. April 2018

Vor 15 Jahren stürzten US-Soldaten in Bagdad die Statue Saddam Husseins. Heute wissen wir: Dieser Krieg hat Hunderttausende Opfer gekostet, den Mittleren Osten ins Chaos gestürzt - und war auf Lügen gebaut.

Etappen des Irakkrieges Gestürzte Saddam-Statue
Bild: picture-alliance/AP Photo

Knapp drei Wochen dauerte es, bis nach dem Beginn der von den USA geführten Invasion im Irak in Bagdad und weltweit auf Millionen Bildschirmen die Statue Saddam Husseins gestürzt wurde. Das Bild vom 9. April 2003 ging ins kollektive Gedächtnis der Menschheit ein. Doch selbst 15 Jahre danach gibt es noch immer viele offene Fragen. Ungeklärt ist beispielsweise, wie viele Todesopfer der Irak-Krieg und das auf ihn folgende Chaos unter der einheimischen Bevölkerung genau gefordert hat.

Die meisten Schätzungen schwanken zwischen 150.000 und einer halben Million Toten. Manche seriöse Untersuchung kommt sogar auf deutlich höhere Zahlen: Das angesehene Medizinfachblatt "Lancet" errechnete schon 2006 die Zahl von über 650.000 "zusätzlichen Todesfällen". Da wurden neben der blanken Gewalt auch die Folgen der zerbombten Infrastruktur und des zerstörten Gesundheitswesen berücksichtigt.

Was man allerdings genau weiß: Die Begründungen für diesen Waffengang wurden auf Lügen gebaut. Es gibt noch ein zweites Bild zum Irak-Krieg, das zum kollektiven Gedächtnis gehört: Das von US-Außenminister Colin Powell bei seiner Rede vor dem Weltsicherheitsrat der UN am 5. Februar 2003. Sechs Wochen vor Kriegsbeginn stimmte Powell 76 Minuten lang die Weltöffentlichkeit auf den Krieg ein. Zentraler Inhalt seiner Rede: Saddam Hussein sei im Besitz von biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen; sein Regime unterstütze den internationalen Terrorismus und strebe den Bau von Atomwaffen an.

"Mobile Chemiewaffenlabore"

Die Präsentation gipfelte in einer von detaillierten Illustrationen unterstützten Behauptung: Um den extrem strengen Kontrollen der UN-Waffeninspekteure zu entgehen, habe der Irak eine Flotte von Lastwagen zu rollenden Chemie- und Biowaffenlaboren umgebaut. Powells Rede ist vor allem aus einem Grund im Gedächtnis geblieben: All diese Behauptungen stellten sich als falsch heraus. Powell selbst bezeichnete 2005 diese Rede als Schandfleck seiner Karriere.

Folie aus Colin Powells Präsentation - basierend auf "Curveball"Bild: state.gov

Ray McGovern ist ein Veteran im Geheimdienstgeschäft. 27 Jahre lang hat er für die CIA gearbeitet, auch in herausgehobenen Positionen. 2003 gründete er mit Kollegen auch aus anderen Geheimdiensten die "Veteran Intelligence Professionals for Sanity", VIPS, die sich kritisch mit der US-Politik auseinandersetzen. Das Urteil des heute 78-Jährigen gegenüber der DW: "Die Geheimdienstinformationen waren nicht einfach fehlerhaft, sie waren gefälscht." Wesentlichen Anteil an der Präsentation Powells hatten Geheimdienstinformationen aus Deutschland.

Deckname Curveball 

1999 war der irakische Chemiker Rafed Ahmed Alwan als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Der BND wird auf ihn aufmerksam, verhört ihn. Die deutschen Geheimdienstler erhoffen sich Informationen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen. Alwan – geführt unter dem Decknamen "Curveball" - erkennt: Je mehr Informationen er liefert, desto besser sein Status: Er bekommt den deutschen Pass; es gibt Geld, eine eigene Wohnung.

Das läuft so lange, bis der BND den ehemaligen Chef Alwans aufspürt. Der zerpflückt die Lügengespinste. Darüber unterrichten die deutschen Geheimdienstler auch ihre amerikanischen Partner. Trotzdem erwacht nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 das Interesse an "Curveball" erneut. Die Tageszeitung "Die Welt" berichtete im August 2011 unter Berufung auf den früherem BND-Präsidenten August Hanning, die Amerikaner hätten von den Deutschen 2001 eine verbindliche Erklärung verlangt, die Aussagen von "Curveball" seien korrekt. Hanning weigert sich und schreibt an CIA-Chef George Tenet: "Dass bisher kein Dritter ähnliche Angaben wie unsere Quelle geliefert hat und diese Erkenntnisse deshalb nicht als verifiziert gelten können."

CIA-Direktor George Tenet bei einer Anhörung wegen FalschinfornmationenBild: AP

Trotz weiterer, deutlicher Warnungen am Wahrheitsgehalt von "Curveballs" Aussagen, werden sie das Herzstück von Powells Werbung für den Krieg.  Ray McGovern ist sich sicher: "Es war ihnen egal, ob Curveball wusste, wovon er redete. Sie hatten etwas, mit dem sie an die Öffentlichkeit gehen konnten. Etwas, das sie den kreativen und professionellen Leuten in der Grafik-Abteilung der CIA geben konnten. Und die konnten dann die nicht-existierenden mobilen Chemiewaffen-Labore zeichnen, die Powell in seiner Präsentation verwendet hat."

Ignorierte Warnungen

Eine Darstellung, die 2011 der damalige Europa-Chef der CIA, Tyler Drumheller gegenüber dem britischen Guardian bestätigte. Er sei lange vor 2003 von seinen Partnern beim BND gewarnt worden, die Aussagen von "Curveball" seien nicht zuverlässig. Diese Warnungen habe er mehrfach an CIA-Chef George Tenet weiter gegeben – "noch bis zur Nacht von Powells Rede", so Drumheller gegenüber dem Guardian.

Die Administration des 43. US-Präsidenten George W. Bush wollte den Krieg. Die Grundlage für die US-Invasion wurde schon lange vor dem 11. September 2001 gelegt, erläutert der ehemalige EU-Außenbeauftragte und frühere Nato-Generalsekretär Javier Solana anlässlich des 15. Jahrestags des Kriegs-Beginns in einem Meinungsbeitrag für Project Syndicate  - obwohl sie als  Teil des "Krieges gegen den Terror" verkauft worden war. Solana erinnert daran, dass George W. Bush bereits kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2000 den Irak zu einem seiner beiden Schwerpunkte in der Sicherheitspolitik gemacht hatte.

England zweifelt - folgenlos

Frühzeitig wurden auch die britischen Verbündeten auf Linie gebracht. Im Mai 2005 berichtete die "Sunday Times of London" über den Inhalt eines streng geheimen Memos. Gegenstand: ein Treffen zum Thema Irak beim damaligen britischen Premierminister Tony Blair vom 23. Juli 2002. Mit dabei unter anderem: Außenminister Jack Straw, Verteidigungsminister Geoff Hoon, Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith und auch der Chef des Auslandsgeheimdienstes MI6, Sir Richard Dearlove, in dem Memo traditionell mit "C" bezeichnet.

Dearlove berichtet von einem Treffen in Washington mit CIA-Chef Tenet kurz zuvor: "Militärisches Eingreifen gilt jetzt als unumgänglich. Bush will Saddam mit einem Militärschlag entfernen, gerechtfertigt durch die Verbindung von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen. Aber die Geheimdiensterkenntnisse und die Tatsachen werden um die Politik herum arrangiert." Außenminister Straw wendet - zu Recht  - ein: "Die Beweislage ist dünn. Saddam bedroht keinen seiner Nachbarn und seine Massenvernichtungsfähigkeiten sind geringer als die Libyens, Nord-Koreas oder des Iran."

Und von Generalstaatsanwalt Goldsmith ist die Bemerkung aktenkundig, "der Wunsch nach Regimewechsel ist keine rechtliche Grundlage für einen Militäreinsatz." Diese Bedenken halten Blair allerdings nicht davon ab, im Interesse der "besonderen Beziehungen" zu den USA mit in diesen Krieg zu ziehen.

Knapp 200 britische Soldaten sind im Irak umgekommenBild: picture-alliance/dpa/C. Ison

Deutschlands Beteiligung - trotz Schröders "Nein"

Ein Krieg, der nach Einschätzung des Kölner Völkerrechtlers Björn Schiffbauer "eine völkerrechtswidrige Gewalt-Handlung war, ein völkerrechtswidriger Krieg der USA mit ihren Verbündeten". Ein Krieg, an dem auch Deutschland - zumindest indirekt - beteiligt war. Zwar hatte Deutschland offiziell den USA im Irak-Krieg die Gefolgschaft verweigert. Zwar hatte der damalige Kanzler Gerhard Schröder auch wegen seines "Nein zum Irak-Krieg" die Bundestagswahlen 2002 gewonnen.

Und doch, erinnert sich der frühere Bundeswehr-Major Florian Pfaff gegenüber der DW, habe sich die Bundeswehr massiv am Irak-Krieg beteiligt: "Die Bundeswehr hat zum Beispiel die Awacs bestückt, hat die US-Kasernen bewacht, damit die US-Soldaten freigesetzt werden für den Krieg. Sie hat logistische Hilfe geleistet, das geht von bereitgestellten Socken bis zum Bomben."

Auch in den AWACS flogen deutsche Soldaten mitBild: picture-alliance/dpa/NATO/A. Hohenforst

Major Pfaff arbeitete Anfang 2003 als IT-Spezialist. Bei einem völkerrechtwidrigen Angriffskrieg will er nicht mitmachen. Gegenüber seinen Vorgesetzten kündigt er an: "Ich werde jetzt alle Befehle prüfen und wenn ich dabei feststelle, dass ich doch am Krieg beteiligt bin, dann werde ich diese betreffenden Befehle nicht ausführen." Als Reaktion schickten ihn seine Vorgesetzten eine Woche in die Psychiatrie.

Pfaff im DW-Interview: "Das kannte ich vorher gerüchteweise aus dem Kommunismus, dass man in die Psychiatrie eingeliefert wird. Dort hat man zum Glück festgestellt: Ich bin kerngesund." Die offiziell gar nicht am Irak-Krieg beteiligte Bundeswehr übt massiven Druck aus, schaltet den Staatsanwalt ein. 2005 stellt allerdings das Bundesverwaltungsgericht Leipzig fest: Pfaff hat das Recht, die Unterstützung zu einem Krieg zu verweigern, den er aus sehr nachvollziehbaren Gründen für völkerrechtswidrig hält - und damit für illegal.

 

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