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Politik

Irak: Parlamentswahlen als Debakel

11. Juni 2018

In Bagdad geht ein Lager mit Teilen der Stimmzetteln in Flammen auf - als vorläufiger Höhepunkt einer von Anfang an unglücklich verlaufenen Wahl. Neuwahlen scheinen unausweichlich, drohen das Land aber zu spalten.

Irak, Bagdad: Depot mit ausgefüllten Stimmzetteln in Flammen aufgegangen
Bild: Reuters/T. Al-Sudani

Dicht quoll der schwarze Rauch aus dem Lagerhaus von Bagdad, und zumindest die politisch informierten Bürger der Stadt konnten ihm eine Botschaft entnehmen: Mit der erneuten Auszählung zumindest eines Teiles der bei den Parlamentswahlen Mitte Mai abgegebenen Stimmen würde es wohl nichts werden. Denn ein Teil der Wahlzettel ging in jenem Lagerhaus gerade in Flammen auf.

Seit Wochen war das Wahlergebnis von den unterlegenen Parteien angefochten worden, vehement hatten sie auf Neuwahlen gedrängt. Zuletzt hatten sich die Gerüchte um eine Stimmenfälschung immer weiter verdichtet. In Reaktion darauf hatte das irakische Parlament in der vergangenen Woche die Neuauszählung der Stimmen beschlossen. Diese Entscheidung hat sich durch den Brand nun erübrigt.

"Ein geplantes Verbrechen"?

War der Brand ein unglücklicher Zufall? Führende Repräsentanten des politischen Irak glauben das nicht. "Das war ein vorsätzlicher Akt, ein geplantes Verbrechen, das den Betrug und die Wahlmanipulation verschleiern sollte", erklärte der Vorsitzende des irakischen Parlaments, Salim al-Jabouri. Er hatte sein Mandat bei der Wahl überraschend verloren. Nach dem Brand fordert er nun Neuwahlen: "Die Wahlen müssen wiederholt werden", sagte Jabouri. Auch der Parlamentsabgeordnete Abdelhadi al-Saadawi äußerte die Vermutung, das Feuer sei durch Brandstiftung ausgelöst worden.

Schließt Wahlmanipulation nicht aus: der irakische Premier Haider al-AbadiBild: picture-alliance/dpa/AP

Der Brand des Lagerhauses ist der vorläufige Abschluss eines insgesamt unglücklichen Wahlverlaufs. Die in ihn gesetzten Erwartungen seien bereits am Tag nach der Stimmenabgabe enttäuscht worden, sagt Nils Wörmer, Leiter des für den Irak und Syrien zuständigen und in Beirut ansässigen Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Da wurde klar, dass sehr wenige Menschen überhaupt gewählt haben. Gerade zu dem Zeitpunkt, da der Irak nach dem Sieg über die Terrororganisation 'Islamischer Staat' (IS) eine entscheidende Zäsur hinter sich hat, haben viele Menschen ihre Stimme nicht abgegeben. Sie haben nicht an den Sinn der Wahlen geglaubt. Stattdessen fürchteten sie, dass die bereits seit Jahren die Szene dominierenden Politiker ein weiteres Mal die entscheidenden Ämter übernähmen. Viele hatten zudem die Sorge, durch ihre Stimmabgabe auch der grassierenden Korruption nicht beikommen zu können."

Warnungen vor einem Bürgerkrieg

Der Brand des Lagerhauses fällt in eine Zeit, in der das gegenseitige Misstrauen der im Wahlkampf angetretenen Parteien einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Die Anzeichen verdichten sich, dass das vor dem Urnengang als fälschungssicher gepriesene System der elektronischen Stimmabgabe eben doch der Manipulation zugänglich war.

Sollte es nun zu Neuwahlen kommen, könnte das die angespannte politische Atmosphäre im Land weiter erhitzen. Riyadh al-Badran, der Vorsitzende der Hohen Unabhängigen Wahlkommission, warnte vor einigen Tagen gar, eine auch teilweise Annullierung der Wahlen könnte zu einem "Bürgerkrieg" führen. Ein solcher Schritt sei darum "nicht vorstellbar", hatte er Ende Mai im irakischen Fernsehen erklärt. Ähnlich sah es zunächst auch der irakische Premier Haider al-Abadi. Eine Neuauszählung würde "Chaos stiften" erklärte er zunächst  - räumte später aber ein, dass es wohl doch zu Manipulationen der Wahl gekommen sei.

Stimme für die Hoffnung: Eine Bürgerin gibt ihre Stimme zu den Parlamentswahlen abBild: picture-alliance/AP/N. al-Jurani

Raum für Verschwörungstheorien

Doch auch unabhängig von der Frage nach Neuwahlen dürfte der Brand die Anhänger der miteinander konkurrierenden Parteien gegeneinander aufbringen, fürchtet Nils Wörmer von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der gesamte Wahlprozess drohe zum Debakel zu werden. "Wenn eine vollumfängliche manuelle Nachauszählung nach dem Brand nicht mehr möglich ist, schafft dieser Umstand natürlich viel Raum für Verschwörungstheorien und gegenseitige Vorwürfe. Für die politische Zukunft des Irak ist das besorgniserregend."

So könnten die Wahlen genau zu dem führen, was sie eigentlich hatten verhindern sollen: der weiteren Entfremdung zwischen der Bevölkerung und einem Großteil ihrer politischen Vertreter. Vor der Wahl hatten insbesondere die sunnitischen Parteien darauf hingewiesen, dass sie für den Urnengang noch gar nicht richtig vorbereitet seien. Ihnen fehle das entsprechende politische Personal, die Nachfolger der derzeit etablierten Politiker seien noch nicht hinreichend aufgebaut.

So wählten diejenigen Iraker, die überhaupt ihre Stimme abgaben, die Politiker der alten Garde - jene, die das Land bereits in den vorhergehenden Jahren geführt hatten, und denen es nur bedingt gelungen war, den politischen Konfessionalismus - die Teilung des Landes entlang religiöser Linien - zu überwinden. Eben dies hatten sich insbesondere die jüngeren Iraker gewünscht. Die meisten von ihnen sehen das Ende des Konfessionalismus als Voraussetzung für die wirtschaftliche Prosperität des Landes. Diese ist wiederum Voraussetzung dafür, dass sie ihre persönlichen Lebenspläne - Heirat, Familie, finanzielle Unabhängigkeit -  verwirklichen können.

Rückkehr zur Normalität. Szene aus Mosul nach der Befreiung von der Terrororganisation "Islamischer Staat"Bild: Reuters/K. Al-Mousily

"Alte Mechanismen, um wieder zu betrügen"

Vor diese Hoffnungen haben sich nun die missglückten Parlamentswahlen geschoben. Kommt es zu Neuwahlen, müssten diese grundlegend anders organisiert sein, sagt Nils Wörmer. Zunächst käme es darauf an, dass sich mehr Bürger an der Wahl beteiligten. "Wenn allein von den laut Gesetz Wahlberechtigten nur 50 Prozent von Anfang an eine Wählerkarte haben, und von diesen 50 Prozent dann nochmal nur die Hälfte wählen geht, dann wird auch das nächste Wahlergebnis auf einer sehr dünnen Grundlage stehen."

Vor allem aber müssten die Wahlen transparenter verlaufen und vor Manipulation geschützt sein, sagt Wörmer. "Wenn man aber in demselben Modus in wenigen Wochen noch einmal wählt, kann es sein, dass ähnliche Mechanismen eingesetzt werden, um wieder zu betrügen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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