IS-Kämpfer: Strafverfolgung wird schwierig
24. März 2019Die letzte Stellung des sogenannten "Islamischen Staats" im syrischen Baghus ist nach Angaben der von den USA unterstützten Kurdenmiliz Syrische Demokratische Kräfte (SDF) erobert. Damit sind die Dschihadisten - zumindest was das Territorium angeht - besiegt. Doch was bleibt sind die Kämpfer und Anhänger der Terrormiliz: Mehr als 65.000 IS-Mitglieder werden von syrischen Kurden in Lagern gefangen gehalten. Die Kurden, die als Teil der internationalen Anti-IS-Koalition mit den USA kämpfen, stoßen angesichts dieser großen Anzahl an ihre Grenzen. Außerdem warnen sie: Sollte die Türkei ihr Gebiet angreifen, können sie nicht für die weitere Inhaftierung der IS-Kämpfer garantieren.
Die Dschihadisten vor Ort vor Gericht zu stellen, ist nicht möglich. Syriens informelle Kurdenregion verfügt nicht über die entsprechenden Mittel. Und westliche Staaten sind nicht bereit, ihre Staatsbürger unter den IS-Anhängern wieder aufzunehmen.
Irak springt in die Bresche
Um eine Lösung zu finden, wandte sich Washington an Bagdad. Iraks Premierminister Adil Abdul Mahdi kündigte daraufhin an, denjenigen ausländischen IS-Kämpfer den Prozess zu machen, die in Syrien Verbrechen gegen Iraker begingen. Er versprach auch Unterstützung dabei, andere ausländische IS-Mitglieder in ihre Herkunftsstaaten zu überstellen.
Seitdem wurden 14 französische IS-Anhänger sowie 280 Iraker von Syrien nach Bagdad gebracht. Diese Zahl soll gemäß der Vereinbarung noch auf 500 steigen. Wie das Internationale Rote Kreuz mitteilte, gibt es Gespräche darüber, insgesamt 20.000 mit der Terrormiliz verbundene Iraker aufzunehmen - Männer, Frauen und Kinder.
Das werde aber nicht alle Probleme lösen, sagt Saman Abdullah Aziz, Lehrbeauftragter für Recht an der Salahadin Universität in Irbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Irak. "Wenn diese Menschen die Verbrechen in Syrien begangenen haben, können sie nach irakischem Recht nicht im Irak vor Gericht gestellt werden." Das sei bei den meisten Verdächtigen der Fall. "Es können nur Verbrechen gegen Iraker oder Rechtsbrüche, die im Irak stattgefunden haben strafrechtlich verfolgt werden. In allen anderen Fällen muss das Gericht die Verdächtigen an das Land überstellen, in dem die Tat begangen wurde."
Dass das Assad-Regime in Syrien die Verfahren führt, ist für die meisten beteiligten Länder keine Option. Die syrischen Kurden können keine Prozesse abhalten, da sie keine staatlichen Strukturen haben und es dementsprechend kein Justizsystem gibt.
Irak ist überfordert
Gleichzeitig ist das irakische Justizsystem schon jetzt überlastet, die Gefängnisse überfüllt. Rund 20.000 IS-Kämpfer - Männer und Jungen - sowie etwa 2000 Frauen und Kinder befinden sich im Irak in Haft. Wie viele Ausländer sich darunter befinden, ist unbekannt. Vermutet werden Hunderte. Deswegen betonte der irakische Präsident Barham Salih, der Umgang mit den ausländischen Kämpfern liege in internationaler Verantwortung. "Es ist zu viel verlangt, dem Irak diese Angelegenheit im Namen der Welt aufzubürden."
Es ist schwierig, im Irak belastbare Statistiken zu finden. Medienberichten zufolge wurden bis April 2018 in den ungefähr 10.000 verhandelten Fällen mit Verbindung zum IS rund 2900 Urteile gefällt. 300 davon lauteten auf Todesstrafe. Die Verurteilten haben das Recht, das Urteil anzufechten. In wie vielen Fällen davon Gebrauch gemacht wurde, ist unbekannt.
Der Rechtsexperte Abdullah betont, dass die schiere Zahl an Fällen eine andere Lösung erfordere. Auch neue Gesetze würden gebraucht, da es im Irak derzeit keine Vorkehrungen gebe, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhandeln. "Es gibt im irakischen Recht keinen Artikel, der gegen diejenigen angewendet werden kann, die der Sklaverei oder des Genozids verdächtigt werden."
Die Prozesse gegen mutmaßliche IS-Anhänger laufen unter dem Terror-Gesetz. Jeder, der terroristische Angriffe geplant, durchgeführt oder finanziert hat, kann zum Tod verurteilt werden. Allein eine Verbindung zur Dschihadistenmiliz reicht für eine lebenslange Freiheitsstrafe aus. Während ihres Gerichtstermins verbringen die Angeklagten höchstens zehn Minuten im Verhandlungsraum. In 98 Prozent der Fälle ergehen Schuldsprüche. Alle anderen Gerichte, die sich nicht mit Terrorismus befassen, sprechen ungefähr ein Drittel der Angeklagten frei.
Die Mängel im irakischen System könnten westlichen Ländern zu Denken geben, bevor sie zustimmen, ihre Staatsangehörigen dieser Gerichtsbarkeit auszusetzen. Irakische Gerichte garantieren keine Gerechtigkeit nach internationalem Recht und Vorschriften.
Wie Menschenrechtsorganisationen und lokale Anwälte berichten, beruhen Urteile häufig auf der Aussage von Informanten, die oft anonym bleiben und nicht immer vertrauenswürdig sind. Verdächtige würden auch zu Geständnissen gezwungen, zum IS gehört zu haben. Die Organisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in ihren Berichten, nicht die Beweise der Staatsanwaltschaft führten zu Gerichtsverfahren, sondern das Geständnis des Beschuldigten. Als müsste er diese Aussage unterstreichen, veröffentlichte der oberste Justizrat die Geständnisse von französischen IS-Kämpfern, kurz nachdem sie von Syrien nach Bagdad kamen.
Verurteilt wegen erzwungenen Geständnissen
Nach Angaben von HRW und anderen kommen viele der Geständnisse durch Folter zustande. HRW beruft sich auf Fälle von Jungen, die behaupten, sie hätten die Geständnisse nur unterschrieben, damit sie nicht mehr geschlagen und mit Zigaretten verbrannt würden. Ein Einwohner aus Mossul, der aus anderen Gründen aufgegriffen wurde und anonym bleiben möchte, sagt, er sei gezwungen worden dabei zuzusehen, wie mutmaßliche Mitglieder des IS im Gefängnis gefoltert wurden. Alle hätten unter Zwang gestanden. Für gewöhnlich ignorieren Richter solche Beschwerden von Verdächtigen, bemerkt HRW, nachdem die Organisation einigen Verfahren beiwohnte.
"Durch Folter erzwungene Geständnisse sind nach der irakischen Verfassung illegal", sagt Abdullah. Sollte die Folter nachgewiesen werden, werden die Vorwürfe gegen den Beschuldigten aufgehoben und die Person wird freigelassen. Aber die Angeklagten vor den irakischen Terror-Gerichten haben meistens keinen Anwalt, der sie verteidigt. Rechtsanwälte waren in solchen Fällen nicht gewillt zu erscheinen, nachdem Kollegen, die IS-Verdächtige vertreten hatten, selbst wegen einer Verbindung zur Terrormiliz angeklagt worden waren.
Wird der ICC doch involviert?
Trotz allem hebt Abdullah hervor, dass das irakische Recht an sich kein Problem darstellt. "Es wird einfach nicht angewendet. Auch für uns gilt, dass die Beweislast beim Gericht liegt und der Angeklagte unschuldig ist, bis seine Schuld bewiesen wird." Ein Geständnis müsse dabei immer durch Beweise unterstützt werden.
Der Irak ist kein Mitglied im Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag und wird bei den Prozessen für IS-Verdächtige auch keine ausländische Hilfe zulassen. Aber da die Zahl der Fälle bereits jetzt so hoch ist und weiter steigen könnte, befürwortet der Rechtsexperte eine Sonderkommission, die neue Lösungen finden soll. "Irak ist zwar kein Mitglied des ICC, aber Bagdad kann das Gericht dennoch bitten ins Land zu kommen und diese Fälle zu übernehmen." Oder der Irak könnte seiner Ansicht nach auch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) darum bitten, irakische Fälle an den ICC zu übertragen. Es sei an der Zeit, ein internationales Sondertribunal einzusetzen.
Ein Hindernis könnte allerdings Iraks Festhalten an der Todesstrafe sein. Nach Angaben der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP wurden seit 2014 ungefähr 250 Todesurteile für IS-Angehörige vollstreckt. Abdullah weist darauf hin, dass aus genau diesem Grund 2017 eine Untersuchungskommission des UN-Sicherheitsrats für IS-Verbrechen ins Stocken geriet. Sein Vorschlag: Der Irak solle dem Beispiel der Region Kurdistan folgen und die Vollstreckung der Todesurteile aussetzen, damit eine Lösung gefunden werde könne.