1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikIrak

Irak: Todesstrafe für Homosexuelle?

7. September 2023

Iraks Parlament diskutiert eine Gesetzeserweiterung, die ermöglichen soll, Homosexualität mit dem Tod zu "bestrafen". Menschenrechtler sind alarmiert. Sie sehen darin auch den Versuch, von anderen Problemen abzulenken.

Anhänger des irakischen Schiitenführers Muktada al-Sadr trampeln über eine Fahne der LGBTQ-Bewegung, Bagdad, Juli 2023
Anhänger des irakischen Schiitenführers Al-Sadr trampeln verächtlich über eine Fahne der LGBTQ-Bewegung (Bagdad, Juli 2023)Bild: Hadi Mizban/AP/picture alliance

Raad al-Maliki, Mitglied des irakischen Parlaments, ist sich wohl sicher: Von der Norm abweichende Sexualität hält er für eine Gefahr, auch für sein Land. Darum gelte es, "die Einheit der irakischen Gesellschaft vor Abweichungen und dem Ruf nach abnormen sexuellen Impulsen zu bewahren, die die Welt befallen haben". So begründete er - Presseberichten zufolge - den juristischen Antrag, den er Mitte August in die Abgeordnetenkammer des Irak eingebracht hatte. Der Antrag soll das sogenannte "Gesetz zur Bekämpfung der Prostitution" ergänzen - und zwar um ein mit Prostitution nicht in Zusammenhang stehendes Phänomen: die unterschiedlichen Formen nicht-heterosexueller Sexualität und Liebe.

Würde das Gesetz angenommen, könnten gleichgeschlechtliche Beziehungen künftig mit der Todesstrafe oder lebenslänglicher Haft bestraft werden. Ganz wesentlich richtet sich das Gesetz auch gegen Transgender-Frauen. Es sieht Haftstrafen von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe bis zu umgerechnet rund 7100 Euro für jeden vor, der "Frauen imitiert". "Nachahmung von Frauen" wird definiert als "Tragen von Make-up und Frauenkleidung" oder "Auftreten als Frau" in öffentlichen Räumen.

Einer Untersuchung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge setzt der Gesetzentwurf gleichgeschlechtliche Beziehungen mit "sexueller Perversion" gleich. Als solche gelten "wiederholte sexuelle Beziehungen zwischen Mitgliedern des gleichen Geschlechts". Außerdem sieht der Entwurf für die "Förderung von Homosexualität" eine Haftstrafe von sieben Jahren und eine Geldstrafe von bis zu umgerechnet 10.600 Euro vor. Was genau unter "Förderung von Homosexualität" zu verstehen ist, definiert das Gesetz laut HRW nicht.

Zeitpunkt der Initiative kein Zufall

Der Zeitpunkt der Anti-LGBTQ-Initiative sei kein Zufall, sagt Rasha Younes, die bei Human Rights Watch über die Lage queerer Gemeinschaften im Nahen Osten berichtet. Sie stehe in Zusammenhang mit der generellen politischen und sozialen Unzufriedenheit im Lande und daraus entstehenden Protesten. "Die Initiative kommt zu einer Zeit, in der die irakische Regierung Schwierigkeiten hat, die wichtigsten Forderungen der Demonstranten zu erfüllen, was zu einem weiteren Zusammenbruch des Gesellschaftsvertrags zwischen Herrschern und Beherrschten geführt hat", so Younes gegenüber der DW. "Es ist eine staatliche Strategie, Rhetorik und Gesetzgebung gegen die LGBTQ-Bewegung als Waffe einzusetzen. Ziel ist es, eine weitgehend uninformierte Öffentlichkeit gegen eine marginalisierte Gruppe zu mobilisieren."

Teils auf homophobem Kurs: Mitglieder des irakischen Parlaments (Bagdad, Januar 2022)Bild: Iraqi Parliament Media Office/AP/dpa/picture alliance

"Bewaffnete Gruppen und Einzelpersonen führen seit Jahrzehnten Angriffe gegen Menschen aus, die als LGBT gelten, um jegliche Nicht-Normativität, die im Irak zum Ausdruck kommt, zu 'disziplinieren'", so Younes. Die Willkürlichkeit der Angriffe und die Tatsache, dass sie oftmals am helllichten Tag und in der Öffentlichkeit stattfänden, zeugten von einem Klima der Straflosigkeit, in dem die Täter lebten. Sie wüssten, dass sie buchstäblich ungestraft davonkämen, so die HRW-Expertin. "In diesem Zusammenhang gießt die Verabschiedung eines Gesetzes, das Homosexualität unter Strafe stellt, nur Öl ins Feuer. Es ist eine Beleidigung für Einzelpersonen, die bereits jetzt versuchen müssen, sich vor bewaffneten Gruppen zu schützen, die sie in großem Umfang jagen", so Younes zur DW.

Ähnlich sieht es Amir Ashour, Vorsitzender der Nicht-Regierungsorganisation  Iraqueer:  Würde das Gesetz angenommen, müssten die irakische Regierung, bewaffnete Gruppen und andere, die queere Bürger attackierten, mit keinen juristischen Konsequenzen rechnen. "Dieses Gesetz würde gegen irakische und internationale Gesetze verstoßen, die allen Bürgern unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung gleichen Schutz garantieren."

"Abweichung" statt "Homosexualität"

Bereits Anfang August hatte sich der Staat gegen die queere Community gewandt: Am 8. August erließ die irakische Kommunikations- und Medienkommission eine Direktive, die die Medien des Landes dazu verpflichtet, den Begriff "Homosexualität" durch "sexuelle Abweichung" zu ersetzen. Die populistische Strategie, LGBTQ in einem Umfeld politisch-sozialer Unzufriedenheit und Abneigung gegen westliche Einflüsse zum Sündenbock zu machen, scheint zu funktionieren:

Im Umfeld von Protesten gegen die Koranverbrennungen in Schweden diesen Sommer entzündeten Demonstranten auch die Fahne der LGBTQ-Bewegung. Bei anderen Gelegenheiten wurde bewusst verächtlich darauf herumgetrampelt

Auch in der Autonomen Region Irakisch Kurdistan im Nordirak wollen Mitglieder des dortigen Parlaments gegen queere Gemeinschaften vorgehen. Sie brachten im September vergangenen Jahres einen "Gesetzentwurf über das Verbot der Förderung von Homosexualität" ein. Dieser sieht vor, alle diejenigen zu bestrafen, die sich für die Rechte von LGBTQ-Menschen einsetzen.

Im Dezember schließlich hatte der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr auf Twitter eine Erklärung veröffentlicht, in der er dazu aufrief, "gläubige Männer und Frauen auf der ganzen Welt zu vereinen, um die (LGBTQ-Gemeinschaft) zu bekämpfen". Einschränkend fügte er hinzu, dies solle "nicht mit Gewalt, Töten oder Drohungen, sondern mit Bildung und Bewusstsein, mit Logik und ethischen Methoden" geschehen.

Im Nahen Osten treten Mitglieder der queeren Bewegung immer wieder mutig für ihre Rechte ein (Beirut, Juni 2020) Bild: Hassan Ammar/AP/picture alliance

Queer-feindliche Stimmung verbreitet

Immer wieder berichten Betroffene von teils tödlicher Gewalt gegen die LGBTQ-Szene. "Wenn ich von der Ermordung eines jungen Mannes im Irak aufgrund seiner sexuellen Orientierung höre, macht mich das sehr traurig und ängstlich zugleich", sagte etwa ein 43-jähriger transsexueller Iraker im vergangenen Jahr dem Magazin Raseef22, das sich unter anderem für die Rechte queerer Gemeinschaften im Nahen Osten starkmacht. "Ich weiß, dass ich ständig in Gefahr bin und dass ich keine andere Wahl habe, als zu fliehen oder auf den Tod zu warten. Jeder Mensch sollte frei und sicher entscheiden, was er in seinem Leben will", wird der Iraker weiter zitiert.

Zwar gibt es im Nahen Osten durchaus eine heute oftmals geleugnete Jahrhunderte alte Tradition homosexueller Liebe. Homosexualität ist keinesfalls aus dem Westen "importiert" worden Dennoch trifft der nun im Parlament diskutierte Entwurf eine im Irak und weiteren Ländern der Region weit verbreitete queer-feindliche Stimmung, die sich oftmals mit anti-westlichen Ressentiments mischt. Dem auf Queer- und Gay-Rechte fokussierten Index Equaldexzufolge hielten im Jahr 2022 knapp 56 Prozent der Iraker Homosexualität für nicht akzeptabel. Fast ebenso viele konnten sich nicht vorstellen, Homosexuelle als Nachbarn zu haben. Allerdings waren die Werte früher noch schlechter: Im Jahr 2014 hielten noch knapp 84 Prozent Homosexualität für nicht hinnehmbar. Homosexuelle Nachbarn lehnten damals rund 80 Prozent der Befragten ab.

Insgesamt, mit Blick auf Kriterien wie Zensur, Diskriminierung und soziale Anerkennung von LGBTQ, setzt der Equaldex den Irak auf den schlechten Platz 151 - von 197 Plätzen insgesamt.

"Familienerhalt" als oberstes Ziel

Begründet sei die Abneigung gegen praktisch alle Formen queerer Existenz wesentlich im ausgeprägt kollektiven Bewusstsein arabischer Familien, schreibt der heute in Großbritannien und den USA lebende Autor Amrou al-Kadhi - für sich selbst verwendet er im Englischen das Pronomen "they" - in einem Beitrag für den Sammelband "This Arab is queer".

Der irakische Aktivist und Autor Amrou al-KadhiBild: Billy Bennight/Zumapress/picture alliance

"Du bist nicht du, du bist ich", habe ihm seine Mutter gesagt, als er 15 Jahre alt war und rosa Socken tragen wollte, schreibt er in seinem Beitrag. Er könne zwar nicht für alle arabischen Familien sprechen, räumt der Autor ein. "Aber in der irakischen Gemeinschaft, in der ich aufwuchs, betrachten Eltern ihre Kinder als Fortsetzung ihrer selbst - nicht als autonome Individuen mit eigenen Wünschen und Träumen, sondern als Nebenprodukte des irakischen Gen-Pools, dessen einziges Ziel es ist, das Überleben der größeren Familieneinheit zu sichern." Darum seien sexuelle Orientierungen, die nicht der heterosexuellen "Norm" und Zielsetzung der familiären Fortpflanzung entsprächen, oftmals der Ächtung preisgegeben.

In der Summe seien die Entwicklungen im Irak leider nicht überraschend, meint auch Tea Braun, Human Dignity Trust, einer Organisation die für die Rechte von LGBT weltweit eintritt. Hinnehmbar seien sie deshalb aber nicht. Braun kritisiert insbesondere die angestrebte Todesstrafe für Homosexuelle. Diese sei offensichtlich "eine unverhältnismäßige und grausame Strafe für ein einvernehmliches, durch Menschenrechte geschütztes Verhalten", betont sie.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen