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Politik

Irak-Wahl: Die Kandidatin und die Jugend

Angela Boskovitch Basra / rös
11. Mai 2018

An diesem Samstag wählt der Irak ein neues Parlament. Differenzen der großen Parteien machen Reformen praktisch unmöglich, doch eine ungewöhnliche Kandidatin setzt sich für die Rechte von Frauen und Jugendlichen ein.

Irak - Die Wahl im Irak
Bild: E. F. Yacoub

Eine Gruppe muskulöser junger Männer in einer Sporthalle im südirakischen Basra: Anstatt Gewichte zu stemmen, halten sie Plakate mit dem Bild einer Frau hoch und formen dabei mit ihren Fingern das Victory-Zeichen. Die 36-jährige Evan Faek Yacoub aus Basra dürfte bei der irakischen Parlamentswahl am Samstag kaum Chancen haben, aber es ist ihr gelungen, viele der desillusionierten Jugendlichen in der Stadt neu zu motivieren.

"Dies wird meine zweite Wahl sein, aber beim letzten Mal haben wir keinen Sinn gesehen, weil wir Kandidaten wählten, die sich nicht für das Volk einsetzten," erzählt der 22-jährige Ahmed Sabah der Deutschen Welle. "Wir brauchen neue Gesichter wie Evan angesichts der Krise hier im Land."

Sabah ist mit seiner Familie und Freunden zusammengekommen, um für Yacoub zu werben. Die Kandidatin ist Biologielehrerin und gehört der schwindenden christlichen Minderheit im Irak an. Sabah hat in der ganzen Stadt Flugblätter ausgehängt und seine Social-Media-Kanäle und den Hashtag "Wir alle sind Evan" genutzt, um für die unabhängige Kandidatin zu werben. Sie nimmt für das Chaldäische Bündnis teil, einer Liste, die sich um die fünf für Christen reservierten Parlamentssitze bewirbt - im Rahmen einer Quotenregelung, die die Grundlage auch für Yacoubs Kandidatur darstellt, die auch über Basra hinaus Aufsehen erregt hat. 

"Evan ist eher in unserem Alter, deswegen kann sie auch unsere Situation besser nachvollziehen, und sie setzt sich für die Bedürfnisse der Menschen ein," sagt Sabah. "Die meisten Hochschulabsolventen haben keine Arbeit oder eine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Schuld daran ist unsere Politik."

Junge Leute machen Wahlkampf für eine LehrerinBild: E. F. Yacoub

Alte Geschichte trifft aktuelle Notlage

Der Irak blickt auf die jahrtausendelange Geschichte Mesopotamiens zurück, aber er ist eines der jüngsten Länder der Welt; 60 Prozent der Bevölkerung ist unter 25 Jahren alt. Deren Potenzial bleibt allerdings ungenutzt: Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, die Aussichten auf angemessene Jobs sind schlecht.

Basra ist Iraks Wirtschaftshauptstadt. Es liegt am Fluss Shatt Al-Arab, an dem die Häfen liegen, von denen aus der größte Anteil der irakischen Ölexporte verschifft werden. Die Stadt leidet unter Korruption, dem Zuzug armer Bewohner aus den umliegenden Gebieten und einer bedenklichen Luft- und Wasserverschmutzung. Nach dem Einmarsch der Vereinigten Staaten im zweiten Irak-Krieg und dem Zusammenbruch des Staates von Saddam Hussein im Jahr 2003 bildeten sich religiöse Parteien; in den folgenden Jahren kam es zu Machtkämpfen zwischen rivalisierenden schiitischen Gruppen, und die traditionell weltoffene Stadt wurde immer konservativer. Da die politischen Parteien scheinbar wenig Interesse hatten, musste sich die Zivilgesellschaft der Probleme der Jugendlichen annehmen.

Zum Teil ist Yacoubs politische Anziehungskraft auf ihre Arbeit in der Al-Firdaws-Gesellschaft zurückzuführen, einer in Basra aktiven Nichtregierungsorganisation. Seit ihrer Gründung durch die Aktivistin Fatima Al-Bahadly im Jahr 2003 arbeitete Al-Firdaws daran, Frauen und junge Menschen mit ihren Projekten zu fördern.

"Die jetzige Regierung hat die Gesellschaft mit ihrer Auslegung religiöser Traditionen und Bräuche an den Abgrund geführt," sagt Al-Bahadly zur DW. "Sie wollen nicht, dass junge Leute sich beteiligen, denn sie wissen, dass die jungen Leute Neuerungen fordern würden. Deswegen erhofft sich die Jugend nun, dass neue Kandidaten zu ihrer Stimme werden."

Jugendliche erhoffen sich bessere ZukunftsperspektivenBild: E. F. Yacoub

Irakische Jugend stärken

Al-Firdaws hat ihrerseits daran gearbeitet, jungen Stimmen bei lokalen, schulischen und gesellschaftlichen Entscheidungen Gehör zu verschaffen. Al-Bahadly sagte, die Regierung müsse ebenso daran arbeiten, den jungen Leuten Jobs zur Verfügung zu stellen, wie auch daran, gegen das wachsende Problem des Drogenmissbrauchs vorzugehen. "Was diese Themen betrifft, ist Evan zur Stimme der Jugend geworden." sagt sie.

Der Hashtag "Wir alle sind Evan" hat sich rasch über Social Media unter Yacoubs Unterstützern verbreitet. Sie hoffen, dass ihre Kandidatin im Falle eines Wahlerfolges gegen spaltende Ideologien aktiv werden kann. Yacoub selbst lebte von 2007 bis 2014 in Mossul, bis eine Einheit des "Islamischen Staats" (IS) die Stadt einnahm und die christliche Bevölkerung vertrieb. Sie traf sich in Basra, Nasiriya, Irbil und Mosul mit Wählerinnen und Wählern, um sie für die Anliegen der Vertriebenen zu sensibilisieren. "Ich habe mich mit Christen genauso wie mit anderen Gruppen überall im Irak und im Ausland getroffen," sagt Yacoub der DW. "Aber in Basra gehört die Mehrheit meiner Unterstützer mittlerweile der muslimischen Gemeinschaft an."

Die Kandidatin hält sich für befähigt, die Gegensätze zu überwinden und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was die Menschen bewegt. "Die wichtigsten Punkte in meinem Programm sind es, mit Jugendlichen zu arbeiten und Frauen und Kinder darin zu unterstützen, dass ihre legitimen Rechte in einer Verfassung verankert werden."

Evan Faek Yacoub macht sich für Frauenrechte starkBild: E. F. Yacoub

Mehr Frauen im politischen Prozess

Dieses Jahr sind beinahe ein Drittel der fast 7000 Kandidaten, die für 329 Sitze antreten, Frauen. Seit kurzem kursieren private Videos in den sozialen Netzwerken, die vorgeblich "unmoralisches" Verhalten zeigten, etwa das Tragen "unangebrachter" Kleidung oder die vermeintliche Beteiligung an sexuellen Handlungen. "Diese Videos sind eine reale Verletzung der Menschenrechte von Frauen, denn sie zielen darauf, sie vom politischen Prozess auszuschließen," sagt Yacoub. "Frauen können und sollten eine wesentliche Rolle im Parlament spielen, indem sie wichtige Projekte fördern, die sich zum Beispiel mit Traumaversorgung, Gesundheitsvorsorge und häuslicher Gewalt beschäftigen."

Einer von Yacoub's ersten Anhängern, der mittlerweile ihr Wahlkampfmanager geworden ist, stimmt dem zu. "Ich sähe gerne mehr Frauen, die ihrer Rechte beraubt wurden, im politischen Prozess", sagt Azhar Al-Rubaie, ein 26-jähriger Tierarzt aus Basra, der DW. "Evan ist eine Aktivistin, die daran gearbeitet hat die Bürgerrechte der Menschen unabhängig von ihrer Religion, politischen Ausrichtung, ihrem Geschlecht oder ihrer Herkunft aus Land oder Stadt zu verteidigen."

Ob Yacoub gewählt wird oder nicht - ihre Kandidatur war schon insofern erfolgreich, als dass es ihr gelungen ist, viele regionale, ethnische und religiöse Unterschiede zu überbrücken. "Die meisten der Nachrichten, die wir auf unseren Social-Media Seiten erhalten, stammen von jungen Leuten," sagt Al-Rubaie. "Sie wollen eine Veränderung in ihrem Leben und einen Wechsel der Menschen, die dieses Land führen. Und viele haben gesagt, dass sie vorhaben, diesmal zum ersten Mal zu wählen."

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