Iran: Der gefährliche Traum vom "Regime Change"
23. Juni 2025
Am offensten sprach es bislang Benjamin Netanjahu aus: "Natürlich könne" Israels Operation "in einem Regimewechsel enden", denn die Regierung in Teheran sei "sehr schwach", erklärte der israelische Ministerpräsident in einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender Fox News. US-Präsident Trump sendete widersprüchliche Signale: "Wir wissen genau, wo sich der sogenannte 'Oberste Führer' versteckt hält", verkündete er zunächst auf seinem eigenen sozialen Netzwerk Truth Social. "Er ist ein leichtes Ziel, aber dort ist er sicher - wir werden ihn nicht ausschalten (töten!), zumindest nicht im Moment." Am Sonntag schrieb er dann: "Es ist nicht politisch korrekt, den Begriff Regimewechsel zu verwenden, aber wenn das derzeitige iranische Regime nicht in der Lage ist, den Iran großartig zu machen, warum sollte es dann nicht einen Regimewechsel geben??? MIGA!!!" Das Kürzel steht offenbar für "Make Iran great again!!!".
In der Nacht von Sonntag auf Montag flogen die USA Angriffe gegen die drei wichtigsten Nuklearstandorte des Iran, und Trump drohte später mit weiteren Angriffen, sollte Teheran nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Je länger der Konflikt zwischen Israel und Iran andauert, desto größer könnte in Israel und den USA die Versuchung werden, sich nicht nur des iranischen Atomprogramms, sondern gleich auch des islamischen Gottesstaates zu entledigen.
"Regime Change"-Versuche mit verheerenden Folgen
"Ob man einen derartigen Regime Change von außen per Knopfdruck durchführen kann, da sind doch höchste Zweifel angebracht", warnt Eckart Woertz, Leiter des Hamburger GIGA-Instituts für Nahost-Studien, "und ob es, wenn es denn dazu kommen sollte, dann auch in die gewünschte Richtung geht, ist noch mal eine ganz andere Frage." So könnten sich etwa die Revolutionsgarden an die Macht bringen und nach außen hin noch aggressiver auftreten als bislang schon - oder das Land quasi zerfallen, ähnlich wie der Irak nach der US-Invasion 2003 oder Libyen nach den dortigen NATO-Schlägen 2011. Mit unabsehbaren Folgen für die Region.
Überhaupt sind "Regimewechsel" von außen ein höchst umstrittenes Konzept. Völkerrechtlich sind sie eine eindeutige Verletzung der Souveränität des betroffenen Staates. Auch sind sie oft nicht demokratisch legitimiert; oft führen sie zu einem Machtvakuum oder einer Phase der Gewalt und Instabilität. Die neu eingesetzten Regierungen sind häufig überfordert damit, die Probleme des Landes zu lösen, weitere Krisen und Konflikte sind die Folge.
In der jüngeren Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens gab es schon mehrfach Versuche, Regime Changes von außen herbeizuführen - die Folgen dieser Interventionen sind bis heute spürbar.
Afghanistan
So etwa in Afghanistan: Nach den New Yorker Terroranschlägen vom 11. September 2001 rief die NATO erstmals den Bündnisfall nach Artikel 5 NATO-Vertrag aus. Eine westliche Militärallianz unter Führung der USA wollte das islamistische Taliban-Regime stürzen und die Terrororganisation Al Kaida bekämpfen.
Tatsächlich gelangen erste Erfolge, die Taliban wurden bis Ende 2001 aus Kabul vertrieben. In der Folge versuchte die Allianz, demokratische Strukturen aufzubauen und erzielte tatsächlich auch Verbesserungen, etwa bei Frauen- und Minderheitenrechten sowie im Bildungs- und Gesundheitswesen. Doch in vielen Dingen waren sich die beteiligten Akteure uneins: etwa in der Frage, wie militärische, politische und Entwicklungshilfe miteinander verzahnt werden sollten. Auch gab es keinen Plan, wie die traditionellen Strukturen des Landes beim Neuaufbau angemessen berücksichtigt werden könnten.
Und so blieb auch die Sicherheitslage 20 Jahre lang äußerst prekär. Immer wieder erschütterten Anschläge das Land, die Taliban starteten wiederholt Gegenoffensiven. Rund 3600 westliche Soldaten und fast 50.000 afghanische Zivilisten wurden zwischen 2001 und 2021 getötet, die Gesamtkosten des Afghanistan-Einsatzes betrugen fast eine Billion US-Dollar. Nach dem chaotischen Abzug der USA und ihrer Verbündeten im Sommer 2021 sind die Taliban erneut an der Macht – und nahezu alle Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre wurden zurückgedreht. Immer wieder kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, Folter, außergerichtlichen Tötungen und öffentlichen Hinrichtungen. Das Land ist isoliert und bitterarm, rund 23 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Im Februar 2024 zog die Enquete-Kommission des Bundestages zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan eine desaströse Bilanz: 20 Jahre lang habe es der westlichen Koalition an einer realistischen Strategie gefehlt, einen stabilen Staat aufzubauen, der seine Sicherheit selbst gewährleisten kann.
Irak
Den langjährigen irakischen Diktator Saddam Hussein hatten die USA einst selbst hochgerüstet, doch im Jahr 2003 entschlossen sie sich gemeinsam mit einer "Koalition der Willigen" und ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats dazu, ihn zu stürzen. Als Grund gaben sie an, dass Saddam Hussein Al-Kaida unterstütze und Massenvernichtungswaffen besitze - Behauptungen, die mittlerweile widerlegt wurden. "Saddam Hussein wurde gestürzt, nicht weil er Massenvernichtungswaffen besaß, sondern weil er sie nicht besaß", sagt Nahostexperte Eckart Woertz heute. Das sei damals auch im Iran genau registriert worden.
Nach Saddam Husseins Sturz errichteten die Amerikaner eine Übergangsregierung, die später wegen Missmanagements und mangelnder Kenntnisse über das Land scharf kritisiert wurde. Bestehende Feindseligkeiten zwischen verschiedenen konfessionellen Gruppen im Land führten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Sunnitische Muslime töteten schiitische Muslime und umgekehrt. Fast täglich kam es zu blutigen Anschlägen. Inzwischen begannen entlassene irakische Soldaten gegen die US-Truppen zu kämpfen, die Hussein einst gestürzt hatten.
Jahre später, 2014, gewann in Teilen des Irak die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) enorm an Macht und schuf für mehrere Jahre ein eigenes, staatsähnliches Gebilde, in dem Folter, systematische Menschenrechtsverletzungen und gezielter Massenmord an ganzen ethnischen Gruppierungen, etwa an den Jesiden, an der Tagesordnung waren.
Mehr als 20 Jahre nach der US-Invasion und dem versuchten Regimewechsel ist die Lage im Irak besser. Die Gewalt ist zurückgegangen, die nächsten Parlamentswahlen finden im November statt. Dennoch bleibt der Irak auch zwei Jahrzehnte später ein Land im Wandel.
Libyen
Auch Libyen leidet bis heute an den Folgen eines versuchten erzwungenen Regimewechsels, der von innen kam und von außen flankiert wurde. Der Bürgerkrieg dort begann 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings, mit Protesten gegen die Herrschaft von Langzeitdiktator Muammar al-Gaddafi. Dieser versuchte, die Aufstände blutig niederzuschlagen. Die NATO intervenierte militärisch in Form einer Flugverbotszone, die die protestierende Zivilbevölkerung schützen sollte. Das Regime konnte sich nur wenige Monate lang halten. Am 20. Oktober 2011 wurde Gaddafi getötet.
Doch eine im ganzen Land akzeptierte Regierung etablierte sich nie; stattdessen kam es zu jahrelangen weiteren Kämpfen und Konflikten zwischen rivalisierenden Milizen in Libyen, die bis heute andauern. Der Staat hat sich praktisch aufgelöst, und zwei verschiedene Regierungen kämpfen um die Kontrolle. Die Menschenrechtslage im Land ist äußerst prekär: Durch das weitgehende Fehlen staatlicher Ordnung kommt es unter anderem zu massiven Misshandlungen von Flüchtlingen, Geiselnahmen, Folterungen und Gewalt an Frauen.
Wenig Chancen für einen Regime Change im Iran
Mahnende Beispiele aus der jüngeren Geschichte gibt es also zur Genüge. Aber Eckart Woertz sieht noch ein weiteres Problem: Letzten Endes müsse für einen erzwungenen Regierungswechsel jemand am Boden Gewalt ausüben. "Innerhalb des Iran sehe ich nicht, dass man eine massiv starke Rebellenbewegung hätte, die das aktuelle Regime stürzen könnte", sagt der Nahostexperte.
Und außerhalb? "Immerhin hat es in Deutschland einmal einen erfolgreichen Regime Change gegeben, am Ende des Zweiten Weltkriegs, aber dafür war eine Bodeninvasion nötig", so Woertz. "Und dann braucht es einen Übergang, bei dem man die einheimischen Leute hinter sich gruppiert - da hilft es, wenn es einen gemeinsamen äußeren Feind gibt - wie nach 1945 den Sowjetblock -, wodurch die Unterschiede übertüncht werden. Aber nur mit Bombardements aus der Luft hat noch nie ein Regime Change stattgefunden, und ich glaube nicht, dass der Iran jetzt eine Ausnahme davon sein wird."
Der Beitrag wurde am 23.06. um Donald Trumps jüngste Äußerungen zum Regimewechsel im Iran aktualisiert.