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Politik

Iran als "größtes Gefängnis" für Journalistinnen

9. September 2019

Laut "Reporter ohne Grenzen" sind derzeit zehn weibliche Berichterstatterinnen im Iran inhaftiert. Die Machthaber sind wegen der Rolle von Journalistinnen in den Protestbewegungen nervös.

Iran Sepideh Gholian, Aktivistin
Bild: HRA-News

19 Jahre und sechs Monate. So lange soll Sepideh Ghalian (Artikelbild) ins Gefängnis. So hat es das für politische Fälle zuständige Teheraner Islamische Revolutionsgericht am 7.September entschieden. Das "Verbrechen" der 23-jährigen Studentin und Aktivistin: Sie hatte im November 2018 in sozialen Netzwerken über Arbeiterproteste in der südiranischen Provinz Chusestan berichtet. Protestierende Arbeiter, die seit Monaten keinen Lohn erhalten hatten, waren von Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen worden.

Sepideh Gholian ist kein Einzelfall. Ende August wurde die Journalistin und Frauenrechtlerin Marzieh Amiri zu zehn Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Amiri war am Rande einer Maikundgebung festgenommen worden, über die sie für die reformorientierte Zeitung "Shargh" berichten wollte, das größte Blatt der Reformbewegung.

Journalistin und Frauenrechtlerin Marzieh AmiriBild: iranhumanrights

Hilfe von den UN gefordert

"Diese langjährigen Gefängnisstrafen sollen die Frauen einschüchtern, man will sie zum Schweigen bringen", sagt Menschenrechtsaktivistin Shiva Nazar Ahari im DW-Interview. "Seit zwei Jahren erleben wir Protestaktionen, bei denen Journalistinnen und Aktivistinnen eine wichtige Rolle spielen: von Protesten gegen den obligatorischen Hidschab bis zu Arbeiterprotesten".

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" ist der Iran mit derzeit zehn inhaftierten Journalistinnen das weltweit größte Gefängnis für weibliche Berichterstatterinnen. "Reporter ohne Grenzen" hat deshalb den UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte im Iran, Javaid Rehman, aufgefordert, sich umgehend für die Freilassung der iranischen Journalistinnen einzusetzen.

Unliebsamer Twitter-Account im Visier

Besonders hohe Wellen schlägt im Iran der Fall von Nooshin Dschafari, einer bekannten Fotojournalistin sowie Film- und Theaterkritikerin. Sie wurde am 4. August verhaftet. Ihr wird vorgeworfen, hinter einem Twitter-Account zu stecken, der angeblich "islamische Werte" beleidige.

Solidarität mit Nooshin Dschafari im regimekritischen Twitter-Account

Irans Sicherheitsbehörden haben mehrere Projekte gestartet, um die Stimmung in sozialen Netzwerken zu analysieren und kontrollieren", erläutert Amir Rashidi, Experte für Internetsicherheit und digitale Rechte im DW-Interview. Rashidi arbeitet für das "Center for Human Rights in Iran" in New York. "Dafür wurden viele junge Leute eingestellt, um die sozialen Netzwerke zu überwachen. Sie sollen einflussreiche Meinungsmacher finden. Letztere werden, wenn es den Sicherheitsbehörden opportun erscheint, verhaftet und eingeschüchtert. Religiöse Vorwürfe sind dabei nur ein Vorwand".

Genau ist es mit Nooshin Dschafari geschehen. Ihr wird vorgeworfen, mit dem Twitter-Account "Yaare Dabestani" (übersetzt: Grundschulfreund) "Verunglimpfung" eines religiösen Feiertags und "Propaganda gegen die Islamische Republik" verbreitet haben. "Yaare Dabestani" ist auch der Titel eines der bekanntesten iranischen Protestlieder. In den letzten 20 Jahren wurde es oft von jungen Menschen bei Protestveranstaltungen gesungen.

Anfang 2018 brachten Proteste der Abeiter das Regime in Bedrängnis - Berichterstattung darüber war nicht erwünscht Bild: Khabargar

Verzweifelter Anruf aus der Einzelzelle

Der Twitter-Account mit mehr als 40.000 Followern spielte eine sehr aktive Rolle bei den landesweiten Protesten, die Anfang 2018 aufgrund wirtschaftlicher Probleme begannen. Später wurden die Proteste um politische Forderungen ergänzt. Die Sicherheitsorgane schlugen die Proteste brutal nieder. Beweise dafür, dass Nooshin Dschafari hinter dem Account steht, wurden bislang nicht vorgelegt. Auch nach Dschafaris Verhaftung ist der Twitter-Account weiterhin aktiv, etwa mit satirischen Beiträgen über die Sicherheitsbehörden.

Am 25. August veröffentlichte Shiva Nazar Ahari in sozialen Netzwerken den Mitschnitt eines Telefonats, das sie mit der inhaftierten Dschafari geführt hatte. Nooshin Dschafari wurde offenbar zu dem Anruf genötigt. Sie weint und sagt, dass sie unter massivem Druck stehe. Sie fleht Shiva an, ihr den Usernamen und das Passwort für den Twitter-Account zukommen zu lassen. "Ich stehe immer noch unter Schock", sagt Shiva Nazar Ahari im DW-Interview. Denn weder sie noch Nooshin hätten irgendetwas mit diesem Account zu tun.

Verhaftung der bekannten Fotografin Nooshin Dschafari (mit Selbstporträt) als "Warnung" an alle Künstler und Journalisten im IranBild: Salamcinema/Reza Hadad

Fabrizierte Kampagne

Shiva kennt Nooshin seit der Protestbewegung 2009. Beide Frauen wurden damals mehrfach verhaftet. Shiva war 2010 wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" ein knappes Jahr im Gefängnis. Ihr Studium durfte sie nicht beenden. Vor kurzem hat sie den Iran verlassen, um ihr Studium im Ausland fortzusetzen.

"Nooshin Jafari hat seit zehn Jahren nichts mehr mit Politik zu tun. Sie ist unschuldig. Aber die Sicherheitskreise wollen Stärke zeigen und behaupten, dass sie alles unter Kontrolle haben. Nooshin ist eine bekannte Journalistin, die in der kulturellen Szene sehr gut vernetzt ist. Ihre Verhaftung kann auch ein Signal an diese Leute sein. Sie haben einen sehr großen Einfluss in sozialen Netzwerken und können mobilisieren".

Angesichts fehlender Beweise liegt die Vermutung nahe, dass Nooshin Dschafaris Verhaftung Teil einer großangelegten Einschüchterungskampagne ist.

 

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